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Barbara Henniger: Die denkende Hand
Komik mit tieferer Bedeutung: Ein Geburtstagsbrief an Barbara Henniger
Liebe Barbara,
ja, da sind wir nun. Du wirst 85 und ich bin 92. Du bist immer noch voll im Einsatz. Und hast noch nicht mal so etwas wie einen abgehobenen Altersstil gefunden. Du spielst auf jung. Ich kenne das. Wir haben ja einiges gemeinsam. Wir sind echte, von der Stadt Dresden geprägte Sachsen. Uns ist da etwas in die Wiege gelegt worden. Und wenn es nur die lebensrettende Gabe ist, in der Tragik gleichzeitig die Komik zu bemerken und damit fertig zu werden. Und eine denkende Hand, die in klar beweglicher Handschrift einigermaßen Ausdrucksvolles dazu zu Papier zu bringen vermag.
Ja, tatsächlich, wir haben von leichter Altersweisheit besonnt, auch die 1990 beginnende zweite Lebenshälfte bewältigt, ohne dass wir uns vom Ereignis dieser Selbstbefreiung überwältigen ließen. Höhenflüge der Kritikfähigkeit versuchend, wagten wir den Spagat zwischen Übereinstimmung und Ablehnung.
Journalismus und Kunst in einem. Das ging früh los. Eine manische Leidenschaft fürs Papier als Unterlage für das, was die Hand zum Ausdruck bringt. Was da das Kind so zeichnet. Alle gucken hin und wundern sich, im kaputten Dresden. Die Achtjährige schleppt der Onkel zur Kunstakademie zum Beurteilen. Mich 15-Jährigen lässt mein Vater die beiden Architekturspezialisten Paul Wolf und Fritz Beckert begutachten. Karikaturen seien das. Als Pressezeichner könnte ich eines Tages davon leben. Ich hatte mich einfach nur probiert, deutlichen und deutbaren Ausdruck zu finden für meinen Blick auf die Menschen. Diese Lust ist uns offenbar zugewachsen.
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Dann kam der Parforceritt über vielerlei Niederlagen und Widerstände, Hindernisse und Katastrophen. Deiner ganz anders als meiner. Wider Erwarten belohnte uns am Ende oft genug das Glück, genannt Erfolg. Jetzt stellst du im Greizer Satiricum »Werke aus sechs Jahrzehnten« aus. In der Katalogreihe »Persona grata« bist du nach Cleopetra Kurze, Rainer Schade und Henry Büttner nun schon die Vierte. Du beschreibst da in dem Gespräch mit Museumschef Ulf Häder, wie du dich von Barbara Grahl verabschiedetest und Barbara Henniger wurdest. Du und dein Mann Heinfried, ihr habt euch beim liberaldemokratischen Zeitungsprojekt »Sächsischen Tageblatt« kennengelernt. Vom unvollendeten Architekturstudium kamst du als Newcomerin unter die Fittiche von Fritz Greuner, einem Liberalen von altem Schrot und Korn. Und dann zur »Eule«, zum »Eulenspiegel«, wo Gerd Nagel ab 1967 der neue Chef war.
Das Journalistische hattest du bereits intus. Er von Hamburg über Erfurt auf topsauberer Parteischiene ebenfalls. Ein hanseatisch penibler Apparatschik unter lauter schöpferischen Chaoten. Fortan entlockte ihm der ständige Vizechef Karl Kultzscher die erforderlichen Witzqualitäten. Und dir alles, was eine Top-Zeichnung eines Satireblattes ausmacht. Manfred Bofinger und Peter Muzeniek neben dir. Mich ließen Sie derweil mein Ding auf der inzwischen freieren Kulturstrecke des Verbandes machen. All die zugewachsenen jüngeren Talente waren zu entdecken. Dass ich dich dann zu uns in den »Sektion« geschimpften kleinkarierten Verein im »Verband« gelockt habe, deutest du in dem Gespräch mit Hader an.
Aus der anfangs so kleinkariert altbackenen Interessenvertretung von Berliner Pressezeichnern wuchs etwas, was heute offiziell im Systemschubkasten »Der Zensur abgetrotzt« abgelegt wird. Da kann ich nur noch lachen. Werner Becker lernte ich 1970 bei Rückgabe von Leihgaben kennen. Als ich 1972 privat bei ihm übernachten musste, kamen wir auf die verrückte Idee: etwas zu schaffen, was wir schon kurz danach Satiricum nannten. Der Sondergenosse Künstler mit dem überzeugten linken Christdemokraten als staatlichem Leiter. Zweck: Sozialisierung eines superschön feudal geprägten Museums. Und als Startplatz für das, was in diesem sehr speziellen Land an Bildsatire nötig – und möglich war. Modern als wortloser Cartoon oder Collage, Objekt oder Plastikatur. Rein menschlich war es wie so vieles eine exaltierte Privatinitiative, zu der wir alle beide neigten. Doch die herrschende Gesellschaft war genauso vom Ehrgeiz besessen. Anders als die auf faule Weise eifrige Demokratie brauchte sie uns. Da fängt schon die Komik mit tieferer Bedeutung an.
Du bist im Verband aufgestiegen – bis ins Präsidium und in dessen engstes Auflösungsteam im April 1990. Auf dieser Höhe bliebst du kraft deiner Zeichenkunst bis heute. Und du warst die beste Garantie dafür, dass unser Team mit dem Westen eine Vereinigung auf Augenhöhe vollziehen konnte. Die Gothaer Caricade brachte dir und uns jene Preise, die wir vorher nur im westlichen Ausland bekamen. Und im auf die Provinz zurückgeworfenen Greiz glänzte seit 1993 eine gesamtdeutsche Triennale nach der anderen. Am Anfang mit unserer schwindenden Mehrheit. Ein Genuss, heute die ersten Kataloge Revue passieren zu lassen. Dort wurden wir gesamtdeutsch im paritätischen Sinn.
Im Grunde waren wir alle Autodidakten. Bofinger wurde in seiner Layouterzeit bei der »Eule« von Karl Schrader und Charly Sturtzkopf zum kritischen Zeichner gemacht. Kurt Klamann und Schrader waren in ihrem erst bei der »Eule« gefundenen Stil vom Bildredakteur Bernhard Nowak entwickelt. Die vom Leipziger kritischen Geist beseelten Tübke-Schüler waren akademisch versiert. Dafür ging ihnen das journalistische Muss für so etwas wie Programmsatire ab. Das ist das Journalistische an uns. Dein konkret menschenbewegter Zeichenstil ist sehr farbig geworden. Und es sind lebendige Wesen karikiert. Nicht nur Komikattrappen am laufenden Band. Auch einige Sammlungsgrößen von Alt-Greiz zieren üppige Sprechblasen.
So ging uns das Ideal des Cartoon als Bildsatire weitgehend verloren. Ich habe Bücher für Searle, Ungerer und Mordillo gemacht. Wortlos ein Gipfel. Diese Blüte des international modernen Bildwitzes machte uns politisch und künstlerisch frei. Wir glänzten auf den Cartoonalen. Nur so konnten wir gleichberechtigt durchstarten in eine im Land hochqualifizierte Kunstszene. Und selbst in unseren Jurys bestimmen. Wir haben doch alles selbst machen müssen. Waren wir korrumpiert, weil wir es uns vom Staat gut bezahlen ließen? Heute will niemand ernsthaft noch etwas von uns. Wir beide sind trotzdem noch da. Und können gerade dir dafür danken. Und uns gemeinsam dazu gratulieren. Am politisch so von Top-Erinnerungen belasteten 9. November gibt es da außer der Maueröffnung den Barbara-Henniger-Geburtstag zu feiern. Top!
Barbara Henniger: Meister der komischen Kunst. Antje Kunstmann Verlag. 112 S., geb., 16 €, Ausstellung »Werke aus sechs Jahrzehnten«, Sommerpalais, Satiricum, Greiz, bis 24. März
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