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Studie »Entkoppelte Lebenswelten?«: In der eigenen Blase leben

Der neue Zusammenhaltsbericht zeigt auf, wie groß die Spaltung der Gesellschaft und der Einfluss auf den Zusammenhalt in Deutschland sind

  • Louisa Theresa Braun
  • Lesedauer: 4 Min.
Bewegen sich Menschen unterschiedlicher Netzwerke immer weiter voneinander weg?
Bewegen sich Menschen unterschiedlicher Netzwerke immer weiter voneinander weg?

Große Teile der Bevölkerung bewegen sich in sogenannten Blasen, also in Netzwerken von Personen, die einem selbst ähnlich sind. Die Polarisierung zwischen gegensätzlichen Blasen ist auf politischer Ebene am größten. Das heißt, dass Menschen mit linkem oder Grünen-nahem Umfeld und solche mit rechtem beziehungsweise AfD-nahem Umfeld immer mehr unter sich bleiben und sich von der Gegenseite abspalten. Das ist das Fazit des ersten Zusammenhaltsberichtes »Entkoppelte Lebenswelten?« des Forschungsinstituts Gesellschaftlicher Zusammenhalt (FGZ).

Untersucht wurden acht Gegensatzpaare in vier gesellschaftlichen Dimensionen: Neben der politischen (links/rechts und Grünen-/AfD-nah) sind das die sozio-ökonomische (arm/reich und gering/hochgebildet), die kulturelle (deutsch/migrantisch und christlich/muslimisch) sowie die regionale Dimension (ost-/westdeutsch und ländlich/städtisch). Bisherige Studien hätten bei diesen Merkmalen die größten ideologischen Distanzen aufgezeigt, erklärt Olaf Groh-Samberg bei der Vorstellung des Berichts am Mittwoch. Er ist geschäftsführender Sprecher des FGZ und Soziologieprofessor an der Universität Bremen.

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Die Daten stammen aus einer repräsentativen Befragung des German Social Cohesion Panel von Ende 2021 bis Frühjahr 2022. »Netzwerke gelten als homogen, wenn im Bekanntenkreis einer Person jeweils ein Merkmal überwiegend vorkommt«, erklärt Groh-Samberg. Solche Blasen seien einerseits davon abhängig, wie häufig ein Merkmal in der Bevölkerung vorkomme und wie oft sich Menschen mit unterschiedlichen Merkmalen begegnen. Bei Ost- und Westdeutschen könnte die räumliche Entfernung häufigen Begegnungen im Wege stehen, bei Armen und Reichen unterschiedliche Wohngegenden, Hobbys oder Berufe.

Darüber hinaus trage zu einer solchen »Netzwerksegregation« aber auch die Bevorzugung von Gleichgesinnten oder die Ablehnung von anderen bei. Letzteres könne sowohl unbewusst als auch offen feindselig sein. Eine solche Distanzierung sei bei 50 Prozent der befragten potenziellen AfD-Wähler*innen und bei 62 Prozent der potenziellen Grünen-Wähler*innen ausgeprägt. Auch in Bezug auf die meisten anderen Merkmale gebe es viele homogene Netzwerke, mit Ausnahme von Armut, Reichtum oder Migrationsgeschichte.

Daraus ergeben sich Folgen für den gesellschaftlichen Zusammenhalt, je nachdem welche Werte die verschiedenen Blasen teilen, wie groß ihr Vertrauen in demokratische Institutionen ist, welche Erfahrungen sie mit Zusammenhalt gemacht haben und welche Emotionen gegenüber anderen Gruppen vorherrschen. So würden in ländlichen Netzwerken mehr traditionalistische als universalistische Werte vertreten, in großstädtischen Netzwerken sei es umgekehrt. Christliche Netzwerke seien ein wenig zufriedener mit der Demokratie als muslimische – aber nicht so zufrieden wie migrantische, sagt Clara Dilger, wissenschaftliche Mitarbeiterin und Ko-Autorin der Studie.

In Arbeitswelt und Nachbarschaft würden arme Netzwerke mehr Abwertungserfahrungen machen und deshalb Gemeinschaftlichkeit in der Familie bevorzugen, während Personen mit reichen Netzwerken ungebundener seien. Wichtig sei, dass es hier weniger auf die eigenen Merkmale, sondern vor allem auf die des Netzwerks ankomme: »Arme, die sozial segregiert sind, unterscheiden sich stark von denen, die nicht in einer Bubble leben, und gering Gebildete nicht so sehr von Gebildeten, wenn sie in derselben Bubble sind«, erklärt Groh-Samberg.

Die größte »affektive Polarisierung« bestehe wiederum zwischen Grünen- und AfD-nahen Personen: »Beide Gruppen hegen systematisch negative Gefühle für die jeweils andere, aber positive für die eigene Gruppe«, heißt es in dem Bericht. Daraus ergebe sich »eine ausgeprägte Entkopplung« dieser sozialen Netzwerke. Im Vergleich dazu hätten Land- und Stadtbewohner*innen beispielsweise wenig negative Emotionen für die jeweils anderen, weil Menschen weniger für ihren Wohnort als für ihre politische Einstellung verantwortlich gemacht würden.

Noch sei die deutsche Gesellschaft zwar nicht in vollständig separierte Blasen gespalten. Doch 55 Prozent der Deutschen bewegten sich in Netzwerken, die in mindestens vier Merkmalen homogen sind, was die geteilten Werte, Einstellungen, Erfahrungen und Emotionen stark beeinflusse. »Wir können allerdings nicht sagen, was Henne und was Ei ist, also ob zuerst die Bubble da war oder erst die Ideologie«, sagt Groh-Samberg. Klar sei nur: Menschen mit homogenen Bekanntenkreisen »denken, fühlen und handeln anders als Personen, die sich in eher gemischten Netzwerken bewegen«. Letzteres könne helfen, Verständnisbarrieren und Feindseligkeiten abzubauen.

Die Segregation dagegen werde zum Problem, »wenn die Bereitschaft schwindet, sich auch jenseits der eigenen Netzwerke auf soziale Interaktionen einzulassen – wenn also die eigene Blase zur Komfortzone wird«, heißt es im Bericht. Daher wirft die Studie die Frage auf, ob der Segregation entgegengewirkt werden könne. Er halte zum Beispiel die Idee eines sozialen Pflichtjahrs für förderlich, so der FGZ-Sprecher. »Ich würde mir schon Sorgen machen, weil die Aufgaben, die wir als Gesellschaft zu stemmen haben, Zusammenhalt erfordern.«

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