Kein Plan für Gaza

In Israels Regierung ist umstritten, wie man mit der Region nach dem Krieg verfahren soll

  • Oliver Eberhardt
  • Lesedauer: 5 Min.

Die Berichterstattung in den israelischen Medien ist momentan eine Mischung aus Berichten über die Grausamkeit des Massakers am 7. Oktober und über die Erfolge der israelischen Streitkräfte im Kampf gegen die Hamas und den Islamischen Dschihad im Gazastreifen.

Nach Angaben des israelischen Militärs haben Bodentruppen nun den Landstrich zweigeteilt, Gaza-Stadt umzingelt. 130 jener Tunnel seien zerstört worden, in denen die Terrororganisationen ihre Kommandoeinrichtungen betreiben und Raketen lagern. Auch Yahya Sinwar, Chef der Hamas im Gazastreifen, sei in seinem Bunker isoliert. Dabei sollte man sich immer darüber im Klaren sein: Alle diese Informationen stammen vom Militär selbst, sind nicht überprüfbar, genauso wie die Angaben der palästinensischen Seite.

Die Zahl der Todesopfer im Gazastreifen soll nun die Marke von 10 000 überschritten haben; die Angaben der palästinensischen Behörden sind aber ebenfalls nicht überprüfbar. Sicher ist, dass viele getötet wurden. Unklar ist, wie viele Zivilisten darunter sind.

Überhaupt ist vieles offen, und vor allem die Antwort auf die wichtigste Frage: Was soll nach dem Krieg mit dem Gazastreifen und den Menschen dort geschehen? Israels Führung ist sich darin überhaupt nicht einig – und das ist dieses Mal wirklich sicher: Wenige Tage nach dem 7. Oktober hatte Verteidigungsminister Joaw Galant erklärt, wenn man mit der Hamas fertig sei, werde Israel jegliche Verantwortung für den Gazastreifen von sich weisen. Anfang der Woche sagte Regierungschef Benjamin Netanjahu in einem Gespräch mit dem US-Sender ABC, Israel werde den Gazastreifen »auf unabsehbare Zeit« kontrollieren. Eine Aussage, die nahezu unmittelbar auf Gegenwehr stieß: Benny Gantz, ehemaliger Generalstabschef und Mitglied des dreiköpfigen Kriegskabinetts, ließ erklären, über die Zukunft Gazas werde entschieden, wenn alle Optionen bekannt seien.

Und auch viele Abgeordnete äußerten sich ablehnend. Denn de facto hatte Israel schon jetzt die Kontrolle über die See- und Landwege in den Gazastreifen. Funktioniert hat das ganz offensichtlich nicht. Und eine Besatzung wäre extrem personalaufwändig und teuer. Schon jetzt wird geschätzt, dass der Krieg Israels Staatshaushalt bislang umgerechnet um die zehn Milliarden Euro gekostet hat. Nur die ganz rechten Parteien sind ganz dabei: Sie hoffen auf eine Wiedererrichtung der 2005 geräumten Siedlungen im Gazastreifen.

Deutlicher Widerspruch kam aber auch aus dem Ausland. US-Außenminister Anthony Blinken sagte am Rande des G7-Außenministertreffens, der Gazastreifen dürfe weder blockiert noch belagert oder verkleinert und die Bevölkerung nicht vertrieben werden. Er dürfe aber auch nicht als Ausgangspunkt für Terrrorismus und andere Gewalttaten dienen. Und Bundesaußenministerin Annalena Baerbock mahnte, es dürfe keine Lösung über die Köpfe der Palästinenserinnen und Palästinenser hinweg geben: »Wir brauchen kluge Lösungen, wie und von wem Gaza in Zukunft verwaltet werden kann.«

Doch das ist derzeit allerhöchste Wissenschaft: Der palästinensische Präsident Mahmud Abbas ist alt und unbeliebt; die Autonomiebehörde, die er anführt, ist nahezu pleite. Gut ausgebildetes Führungspersonal ist ins Ausland gegangen. Die Voraussetzungen für einen Neustart sind also wirklich nicht gut.

Und dann zeichnen sich auch noch neue Herausforderungen für beide Seiten ab: Die israelische Militäroperation dürfte die Kommunikationsmöglichkeiten der Führungen von Hamas und Islamischem Dschihad untereinander und mit den einzelnen militanten Gruppen deutlich stören. Und damit stellt sich die Frage, was passiert, wenn diese kleinen Gruppen aus meist jungen, stark radikalisierten und sehr gewaltbereiten Männern mit Waffen und Raketen keine Kommandostrukturen mehr hinter sich haben. Es werde dann zunehmend schwerer, irgendeine Vereinbarung zu treffen, sagen US-Diplomaten, die genau dies im Irak erlebt haben: Wer Führungsstrukturen zerstöre, müsse im nächsten Schritt auch die Waffen aus dem Spiel nehmen. Denn die Leute gehen danach nicht einfach nach Hause und leben ihr Leben. Aber eine Entwaffnung sei eine extrem schwierige und meist illusorische Aufgabe.

In Paris haben sich erst einmal Vertreter von westlichen und arabischen Staaten sowie der Vereinten Nationen und von Hilfsorganisationen zu einer Geberkonferenz getroffen. Viele forderten erneut eine Waffenruhe. Und Israels Regierung wies die Forderung erneut zurück: Eine Kampfpause könne nur mit einer Freilassung der israelischen Geiseln einhergehen, so Regierungschef Netanjahu. Katar und Ägypten versuchen derzeit, zumindest die Übergabe von 15 der Geiseln zu erreichen.

Es geht aber nicht nur um eine Waffenpause und darum, woher das Geld kommt, um den bis zu zwei Millionen notleidenden Menschen auf engstem Raum zu helfen. Würde der Übergang Kerem Schalom im Dreiländereck Gaza-Ägypten-Israel geöffnet, wäre die Einfuhr von Hilfsgütern viel einfacher. Aktuell schaffen es die Vereinten Nationen nicht, ausreichend Güter über den kleinen, schlecht zu erreichenden Übergang Rafah zwischen Ägypten und dem Gazastreifen zu befördern, selbst wenn genug davon da sind.

Bei den Vereinten Nationen macht man sich aber auch Sorgen über ganz andere Dinge. Im Team des UN-Nothilfekoordinators Martin Griffiths fragt man sich, wie lange überhaupt genug Geld da sein wird, um die Versorgung der Bevölkerung zu finanzieren. Und was das für die vielen anderen Orte bedeutet, an denen Menschen ebenfalls auf die Unterstützung der Uno angewiesen sind. Schon seit Jahren beklagen die Vereinten Nationen, dass längst nicht genug Geld reinkommt, um allen zu helfen. Im Jemen musste man die Hilfe zeitweise ganz einstellen. Nun wird alles noch viel schwieriger.

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