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Junta und Fußball: Michael Feichtenbeiner trainiert Myanmars Team
Mit dem deutschen Trainer geht es sportlich bergauf. Ist er Kollaborateur oder Entwicklungshelfer?
Als Michael Feichtenbeiner im Mai wieder in seine Wahlheimat Myanmar zurückkehrte, traute er seinen Augen nicht. »Wir hatten in Kambodscha bei den Südostasienspielen teilgenommen und dort den vierten Platz gemacht. Und wir wussten zwar, dass das ein guter Erfolg für uns war«, erinnert sich der 63-Jährige. »Aber die Bedeutung hatte ich komplett unterschätzt. Ich dachte, das wäre halt irgendein Turnier.« Offenbar war es aber viel mehr.
Am Flughafen standen uniformierte Regierungsvertreter Spalier für Feichtenbeiner. Dahinter, so erinnert sich der gelernte Fußballlehrer, haben um die 800 Menschen gejubelt. »Mein Präsident sagte mir, für die Spiele unserer Mannschaft haben in Myanmar 10 Millionen Menschen die Fernseher eingeschaltet. Alle waren happy!« Kurz darauf kam noch der Sportminister vorbei, um Feichtenbeiner persönlich zu gratulieren. Angesichts von Erfahrungen wie dieser ist sich der gebürtige Stuttgarter sicher: »Unsere Arbeit wird hier sehr positiv bewertet.«
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Seit März dieses Jahres ist Michael Feichtenbeiner Trainer der Fußballnationalmannschaft von Myanmar. Dieser Job ist nicht nur deshalb besonders, weil hier auch kleinere regionale Erfolge groß gefeiert werden. Aber: An den meisten Tagen des Jahres dürfte kaum jemandem nach Feiern zumute sein. Denn seit zweieinhalb Jahren herrschen in weiten Teilen des südostasiatischen Landes mit seinen 54 Millionen Einwohnern bürgerkriegsähnliche Zustände.
Im Februar 2021 setzte sich eine Junta aus Generälen an die Macht und nahm mehrere der wichtigsten und erst kurz zuvor noch demokratisch gewählten Politiker fest. Das Militär rechtfertigte seinen Schritt mit dem Vorwurf des Wahlbetrugs, blieb aber Belege dafür seither schuldig. Mit dem Putsch wurde nicht nur eine erst rund ein Jahrzehnt zuvor zaghaft eingeführte Demokratie um Jahrzehnte zurückgeworfen. Als Antwort auf anfangs friedliche Proteste im ganzen Land rollten bald auch Panzer. Noch mitten in der Pandemie griff das Militär sogar Krankenhäuser und Schulen an.
Noch immer bekämpft das Militär Teile der Demokratiebewegung, teilweise auch mit Luftangriffen. Laut der myanmarischen Hilfsorganisation für politische Gefangene sind bis jetzt schon rund 25 000 Menschen festgenommen und mehr als 4100 durch das Militär getötet worden. Im ethnisch höchst diversen Land hat sich nicht nur die Demokratiebewegung längst selbst bewaffnet, sondern auch mehrere ethnische Gruppen, die schon in den Jahrzehnten zuvor immer wieder um ihre Autonomie gekämpft hatten. Das Land droht zu zerfallen. Und ein Ende des Konflikts zeichnet sich nicht ab.
Michael Feichtenbeiner aber, der betont, im Rahmen seiner sportlichen Arbeit keinen Kontakt mit der Regierung zu haben, ist nicht wegen der Politik hier. Er lebt für den Fußball. Und er hat sich mit diesem Posten in Myanmar auch einen eigenen Traum erfüllt. »Es war immer ein Berufswunsch, einmal eine A-Nationalmannschaft zu trainieren«, erzählt er in einem Videogespräch. Zwischen 2015 und 2019 trainierte er mehrere Jugendauswahlmannschaften des Deutschen Fußball-Bundes, davor und danach war er in Indonesien und Malaysia tätig. Über einen myanmarischen Spieler, den er in Malaysia trainiert hatte, kam schließlich der Kontakt zum Verband zustande.
»Manche haben mir auch abgeraten, den Job anzunehmen«, räumt Feichtenbeiner ein. Aber die sportliche Herausforderung habe überwogen. Und die hohen Einschaltquoten, die die Spiele seiner Mannschaft im Land erzielten, bestätigen ihn in seiner Entscheidung: »Wir repräsentieren nicht nur das Militär, sondern alle Menschen im Land.« Ein politisches Urteil über die Situation wolle er sich nicht erlauben, das sei nicht seine Kernkompetenz. »Ich bin Angestellter vom Verband, der einen Fachmann will, der Myanmar wieder auf bessere Beine bringt.«
Schon lange ist der myanmarische Fußball nicht mehr das, was er einstmals war. Bis in die 70er Jahre galt das Land als Regionalmacht, fiel dann aber hinter Nachbarländer wie Thailand, Indonesien, die Philippinen oder Vietnam zurück. Heute steht Myanmar in der Ffia-Weltrangliste der Männer auf Platz 161, schwächer schneiden in der Region nur Kambodscha, Laos und Macau ab. Seit Feichtenbeiners Amtsantritt geht es jedoch wieder bergauf. Neben dem umjubelten Erfolg bei den Südostasienspielen schafften es die myanmarischen Fußballer bei den Asian Games im Oktober erstmals seit einem halben Jahrhundert durch die Gruppenphase.
Aber nicht jeder bewertet Feichtenbeiners Arbeit deshalb positiv. Vielen stellt sich die Frage: Ist er ein sportlicher Entwicklungshelfer oder ein Kollaborateur, der die brutale Militärregierung durch seine Arbeit unterstützt? Einige Größen aus Myanmars Sportwelt haben sich entschlossen, nicht mehr unter der Nationalflagge an Wettbewerben teilzunehmen, solange sich das Putschregime an die politische Macht klammert. Denn der Sport ist hier eher eng mit der Regierung verflochten. Wobei der myanmarische Sport durch die Weigerungshaltung mehrer Athleten wieder akut geschwächt ist.
Der Schwimmer Win Htet Oo, der in Australien lebt, erklärte im Vorfeld der Olympischen Sommerspiele von Tokio 2021, dass an der Flagge seines Heimatlandes nun »Blut klebt«. Daher würde er nicht für Myanmar starten. Einige einstige Fußballer tragen statt Stollenschuhen jetzt feste Stiefel, um die Demokratiebewegung an der Waffe zu unterstützen. Pyae Lyan Aung, ehemaliger Ersatztorhüter des Fußballnationalteams, zeigte vor einem Länderspiel in Japan den Dreifingergruß, der mit der Demokratiebewegung in Verbindung gebracht wird. Direkt danach setzte er sich in Japan ab und wurde zum politischen Flüchtling.
Die Bilder eines Nationalspielers mit einer politischen Geste gegen das Militärregime sah ganz Myanmar im Fernsehen. Die Junta hat dieser Vorfall nervös gemacht: Spieler werden seither nicht mehr nur nach ihren fußballerischen Fähigkeiten bewertet, sondern auch hinsichtlich möglicher politischer Einstellungen oder Aktivitäten.
Diese Umstände machen auch die Arbeit als Nationaltrainer schwierig. Aber es gibt noch viel mehr Herausforderungen. »Um Mitternacht ist hier Ausgangssperre«, berichtet Feichtenbeiner, der in einem Hotel in Yangon wohnt, der Wirtschaftshauptstadt des Landes. »Wenn man sich daran hält, ist man hier schon sicher«, sagt er. Aber so eine Regel offenbart auch, dass man sich im Land kaum frei bewegen kann. Das wirkt sich auf alle Lebensbereiche aus, auch im Sport. Die nationale Fußballliga etwa findet nur noch in Blöcke aufgeteilt statt, bei denen Klubs aus dem ganzen Land im Schnelldurchlauf mehrere Spiele hintereinander in Yangon austragen.
»Für mich als Trainer ist das einerseits ein Vorteil, weil ich die Spiele viel einfacher sichten kann«, erklärt Feichtenbeiner. »Aber fußballerisch ist das natürlich ein großes Problem. Denn den Spielern fehlt über weite Phasen der Saison die Spielpraxis.« Erschwerend kommt hinzu, dass es allmählich auch am Geld fehlt. Denn durch die Sanktionen, die vor allem die westliche Welt seit dem Militärputsch über Myanmar verhängt hat, sowie die andauernden Boykottbemühungen der Demokratiebewegung steckt das Land längst auch in einer tiefen wirtschaftlichen und humanitären Krise.
Michael Feichtenbeiner versucht, das alles trotzdem positiv zu sehen: »Ich habe hier ein Land kennengelernt, von dessen Menschen ich viel lerne. Man lacht hier unglaublich viel, auch wenn die Situation so schwierig ist.« Durch Siege mit seinen Fußballern will er die Stimmung im Land verbessern: »Das ist mein Antrieb.« Ein weiterer Antrieb, gibt Feichtenbeiner zu, ist die Möglichkeit einzigartiger Auslandsreisen. Und davon stehen ihm nun einige bevor. In der noch in diesem Monat startenden Qualifikationsrunde für die WM 2026 in Kanada, Mexiko und den USA trifft Myanmar auf Japan, Syrien und Nordkorea. Gegen jeden dieser Gegner sind Feichtenbeiners Fußballer krasse Außenseiter. Womit aber jeder einzelne Sieg wiederum ein Riesenerfolg wäre.
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