Westbank: Siedler als Soldaten

Im Schatten des Kriegs im Gazastreifen nimmt auch die Gewalt im Westjordanland zu

  • Oliver Eberhardt
  • Lesedauer: 3 Min.
Israelische Soldaten zwischen Siedlern und Palästinensern: So wie hier in Deir Sharaf sieht es bei Konflikten oft nicht aus.
Israelische Soldaten zwischen Siedlern und Palästinensern: So wie hier in Deir Sharaf sieht es bei Konflikten oft nicht aus.

Der ARD-Korrespondent Christoph Kitzler und sein Team waren auf dem Rückweg von einem Interview im israelisch besetzten Westjordanland, als sie an einem Kontrollpunkt des Militärs von Soldaten bedrängt und beschimpft wurden. Erst nach gut einer Stunde habe sich die Situation entschärft, berichtete tagesschau.de später. Erst nachdem die Pressstelle des Militärs um Hilfe gebeten und andere Soldaten vorbeigeschickt worden waren.

Offenkundig habe es sich um Siedler gehandelt, die zum Reservedienst einberufen worden waren, so tagesschau.de. Die Menschenrechtsorganisation BeTselem betont, das sei kein Einzelfall. Schon vor dem Krieg war die Liste der Berichte lang, in denen die Organisation auf ihrer Webseite die Übergriffe durch radikale Siedlergruppen dokumentiert. Seit dem Massaker an 1400 Menschen in Israel durch die Hamas und den Islamischen Staat ist die Zahl der Vorfälle nun rasant angestiegen.

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Nach Angaben des Hochkommissariats für Menschenrechte bei den Vereinten Nationen lebten Anfang 2023 mehr als 700 000 Israelis in 279 Siedlungen im Westjordanland. 229 000 davon lebten in 14 Siedlungen in Ostjerusalem. Alle davon sind nach internationalem Recht illegal; 147 davon sind auch nach israelischem Recht illegal. Der allergrößte Teil dieser Menschen ist wegen des billigen Wohnraums in eine Siedlung gezogen; oft sind auch die Grenzen zwischen dem international anerkannten Staatsgebiet und der Siedlung nicht mehr erkennbar. Die israelische Polizei stufte vor dem Krieg rund 7000 Siedler als gewaltbereit ein. Dabei handele es sich überwiegend um Jugendliche und junge Erwachsene, die Gruppen wie der in Israel als terroristische Vereinigung geltenden Kach-Bewegung nahestehen. Auch einige Politiker des Parteibündnisses »Religiöser Zionismus«, das seit Dezember Teil der Regierungskoalition ist, stammen aus dem Umfeld von Kach.

Es sind, da sind sich Polizei und Menschenrechtsorganisationen einig, diese Personen, die die Situation für Angriffe auf Palästinenser und ihren Besitz nutzen: Autos werden mit Steinen beworfen, Felder verwüstet. Mehrfach zogen Gruppen von Siedlern durch palästinensische Ortschaften und richteten dort Schäden an. Hinzu kommen Operationen des israelischen Militärs. Insgesamt wurden im Westjordanland seit Kriegsbeginn gut 100 Palästinenser getötet, davon ungefähr 15 durch Siedler. Die Betroffenen haben dabei nicht das Privileg des ARD-Teams, das auf die Unterstützung der Pressestellen von Militär und Regierung vertrauen konnte. Diejenigen, die die Menschen im Westjordanland eigentlich schützen sollen, stammen vielfach aus den Reihen der Angreifer. Reguläre, spezialisierte Einheiten wurden nach Gaza oder in den Norden Israels abgezogen. Dienst haben nun meist Reservisten aus den Siedlungen. Sie können auf die oberste Führungsebene vertrauen. Nach der Regierungsbildung im Dezember wurde ausgerechnet Itamar Ben Gvir von den Religiösen Zionisten, gegen den mehr als 50 Mal wegen Aufstachelung zum Hass ermittelt wurde, Minister für nationale Sicherheit – und ließ nach Kriegsbeginn tausende Waffen an Siedler verteilen. Zur Selbstverteidigung. Die Aufsicht über die Zivilverwaltung im Westjordanland führt nun Finanzminister Bezalel Smotrich, ebenfalls religiöser Zionist.

Doch auch wenn sich die meisten endlich Wahlen, eine neue palästinensische Führung wünschen und die Hamas in Umfragen vor dem 7. Oktober führte, liegt das vor allem hieran: Zur Auswahl stehen meist nur Fatah und Hamas. Und viele wollen schlicht die Fatah nicht mehr.

Mitten in dieser drohenden Eskalation wurde Ende der Woche auch bekannt, dass Autonomiebehörde und israelisches Militär gemeinsam 5000 Palästinenser aus Jericho in den Gazastreifen abgeschoben haben, die meisten davon hielten sich legal im Westjordanland auf. Doch nun sah man in ihnen ein »Sicherheitsrisiko«. Tatsächlich aber wird das die Wut weiter anfachen.

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