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Der 1. FC Union Berlin und die Angst im Angesicht des Abgrunds
BallHaus Ost: Für immer Punk und die Angst vor Prenzlberger Schwaben in Köpenick
Alles fing ganz harmlos an. Aber dann wurde ich am vergangenen Wochenende für drei Sekunden der 1. FC Union Berlin. Doch der Reihe nach.
Mein Lieblingspunkrockort ist auf ewig das SO36 in Berlin-Kreuzberg. Dort hörte ich 1984 die Dead Kennedys und erlebte seitdem unzählige Konzerte. Am Sonnabend durfte ich mal wieder selber im SO ran. Im Rahmen des seit Wochen ausverkauften Schleimkeim-Konzerts las ich im Vorprogramm aus »Betreten auf eigene Gefahr«, einem Schleimkeim-Songcomic, den ich gemeinsam mit acht Zeichnerinnen und Zeichnern im Frühjahr herausgegeben habe.
Mehr als 800 Menschen sorgten für eine kuschlige Atmosphäre, die mich kurz vor Konzertende zum Pogen in Reihe eins katapultierte. Für immer Punk, im zarten Alter von 60 – es war die richtige Entscheidung, obwohl ich mich plötzlich auf dem Boden wiederfand.
Frank Willmann blickt auf den Fußball zwischen Leipzig, Łódź und Ljubljana.
Pogo ist kein Kuschelrock. Ich fiel in Zeitlupe auf den herrlich dreckigen Untergrund und fühlte mich abgehängt wie Union Berlin in der Bundesliga und der Champions League. Ich war der Wischmopp und feudelte mit meinem Resthaar den scherbenbedeckten Boden. Gestern noch auf hohen Rossen, heute durch die Brust geschossen. Im kühlen Grab des SO36 welkten Schönheit und Gestalt. Ich war Urs Fischer, Christopher Trimmel, Christian Arbeit und Frederik Rönnow. In wenigen Sekunden zog mein Leben an mir vorbei, ein Licht schien aus der Ferne, die rote Laterne der Bundesliga.
Wie durch ein Wunder zog mich der starke Arm meines Freundes Jörg nach oben. Ich wurde nicht zertreten wie ein armes Würmchen, obgleich ich für einen Moment den Pesthauch des Todes fühlte.
Der 1. FC Union senkte sich nach dem 0:4 unter dem Bayer-Kreuz einen Tag später auf den letzten Platz der Bundesliga. Abgeschlachtet von gnadenlosen Pillendrehern, die dem traurigen Union-Torso den Garaus machten. He Union, es ist noch nichts verloren, du hast die Länderspielpause vor dir. Es sind noch 23 Spieltage, der Abstieg kann verhindert werden, reißt das Steuer radikal rum, lasst euch von eurem Jörg aus dem Dreck ziehen, kämpft! Von Kampf war in Leverkusen nichts zu sehen, nur pure Verzweiflung auf Spielfeld und Bank. Angst im Angesicht des Abgrunds.
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Wie schnell es noch tiefer gehen kann, beweist Arminia Bielefeld, deren Abwärtsspirale Richtung Regionalliga zeigt. Gut, dort bin ich mit Carl Zeiss Jena seit Jahren unterwegs. Das hat aber mit schönem Fußball und Bundesligaglück nichts zu tun. Auch wenn sich viele ältere Unioner vielleicht nach der 2. Liga sehnen, als es an der Alten Försterei auch noch schön kuschelig war und kein Goosens oder Bonucci das Mittelmaßgeschwader störten.
Erfolg macht sexy, manchmal macht er hässlich. Wenn die alten Zöpfe nicht mehr funktionieren, kappt sie rechtzeitig. Bundesliga ist mächtige Show und fette Beute. Das kann braven Fans wie Funktionären zu Kopf steigen. In tieferen Ligen passiert das nicht, dort regieren Knödelfußball und ewiger Schmerz. Bauerntrampel in Meuselwitz, fiese Feuchte in Eilenburg, ekliger Wind in Luckenwalde, elendste Schlagerbeschallung bei Altglienicke. Das muss man annehmen wollen. Ob die vielen Neu-Unioner in der 60 000-Fangemeinde (die größte Angst der Köpenicker ist, von den Prenzlberger Schwaben gentrifiziert zu werden) und die gut gestopften Werbepartner Bock auf Meuselwitz haben?
In den kommenden Wochen dürfen wir teilhaben an einem interessanten Union-Experiment. Good Luck, FCU! Und sei dir nicht zu fein, die Spreu vom Weizen zu trennen.
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