Sozialistische Klassik in Köpenick

Mit den alten Griechen gegen den Kapitalismus: Das FUGA-Theater zeigt Peter Hacks’ »Geldgott«

  • Jakob Hayner
  • Lesedauer: 4 Min.
Als das Rauchen noch geholfen hat: Peter Hacks als betagter Kommunist und Dichter
Als das Rauchen noch geholfen hat: Peter Hacks als betagter Kommunist und Dichter

Creative Directors aller Länder zermartern sich die Hirne: Welcher Stoff taugt zum Kassenschlager? Eine Komödie wäre gut, weil die meisten Menschen im Leben wenig zu lachen haben. Immer muss man sich tüchtig machen, erst für den Weltmarkt, nun auch für Krieg, es zehrt an den Nerven. Den Rest fressen die Preise. Allein die jetzigen Mieten lassen die Abgabe eines Zehnten im Mittelalter inzwischen fast menschlich erscheinen. Gibt man dann den letzten Taler der Kultur, soll das Vergnügen nicht zu kurz kommen – also Komödie, aber bloß kein Kitsch.

Ein bisschen postmodern darf’s auch sein, sodass der Zuschauer einbezogen wird, wie in den coolen Serien, »House of Cards« oder »Fleabag« oder so. Nur klüger müsste es noch sein, es reicht nicht, einfach nur ab und zu die »vierte Wand« zu durchbrechen, weil es cool ist: Man muss damit auch etwas über die gestörte Beziehung von Kunst und Publikum in einer der dümmsten aller Welten erzählen. So wie der Mensch lebt, so glotzt er auch. Und er lebt nicht gut im Desasterkapitalismus. Gut ist auch, wenn es schlüpfrig und anzüglich wird, »sexpositiv« heißt das heute.

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Und bitte nicht die Kritik vergessen, das verzückt auch das Feuilleton. Ob mit funkelnden Formulierungen oder brachialen Bildern, die nihilistische Gegenwart will gegeißelt sein. Wenn es geht, besser als in »Triangle of Sadness«, wo die Reichen auf den Yachten brutzeln, lieber mit dem diskreten Charme des Marxismus wie im südkoreanischen Film »Parasite«. Aber auch ein bisschen Drama à la Ken Loach geht klar, da treibt das gescheiterte Aufstiegsversprechen ein Liebespaar in die Prostitution. Oder warum nicht ein bestialisches Schuldendrama wie beim Netflix-Hit »Squid Game«, ebenfalls aus Südkorea. Okay, liebe Creative Directors, wir hätten da etwas: »Der Geldgott« von Peter Hacks.

Das kennt man natürlich zur Genüge, dass einem im Feuilleton andauernd erzählt wird, welche Klassiker heute »aktuell wie nie« sind und leider von der verblendeten Künstlerschaft verschmäht werden. Hacks ist so ein Beispiel: In den Feuilletons geliebt, auf den Bühnen kaum gespielt. Man muss schon die Off-Off-Bühnen in der Provinz (»Jona«) oder in Berliner Kellern (»Omphale«) abklappern, um Hacks-Stücke gespielt zu sehen. So würde in einer anderen Welt »Der Geldgott« ein Blockbuster sein. In dieser Welt fährt man jedoch nach Berlin-Köpenick zum Amateurtheater.

Wo einst im legendären Arthur-Becker-Club (ABC) Hirschgarten der Ostrock blühte, hat nun die Theatertruppe FUGA unter der Leitung von Jörg Mischke die Bühne erobert und mit gemalten Kulissen bestückt. Ein Olivenbaum zwischen griechischen Säulen erinnert daran, dass Hacks seinen komödiantischen Marxismus-Crashkurs zwar 1991 schrieb, sich aber beim antiken Dichter Aristophanes bediente. 1993 wurde das Stück in Greifswald »vor nichtdeutschsprachigem Saal (Germanistikstudenten)« uraufgeführt, wie Hacks in einem Brief an André Müller sen. schreibt.

Worum geht’s? Der vom Weltgeist (im Stück: Zeus, in echt: Sozialismus) mit Blindheit geschlagene und heruntergekommene Geldgott Pluto wird von dem kleinbürgerlichen Töpfer Chremylos aufgegriffen, der ihn wieder heile macht, weil er sich »Liebe im Wohlstand« für sich und seine geliebte Sklavin Fifine erhofft. Doch nichts da: Kaum sieht der Geldgott wieder klar, gesellt er sich zu Beutelrock und Lüsterblick, den Reichen. Nun taucht Plutos Schwester auf, die Armut. Unterm Kapital gibt es das eine nicht ohne das andere, es brechtelt: Wär ich nicht arm, wärst du nicht reich.

Weder wird der Reichtum bei Hacks verteufelt noch die Armut verklärt. Nur hat die widerspruchsfreie Produktion von Schund auf Kredit nichts mit wahrem Reichtum zu tun, der Utopie der Gebrauchswerte ist Fifine näher als Chremylos, der in Mischkes Inszenierung zum Schluss die Axt hebt. Gerahmt wird das durch die Auseinandersetzung mit einer Parodie des antiken Chors, dem Zuschauer Herr Kohr, der alle 400 Tickets der gesponserten Aufführung innehat. Bis auf kleine Änderungen folgt die Inszenierung dem Text von Hacks, ein verlässliches Gerüst.

Artiom Chernyak als Chremylos und Manon Zenk als Fifine haben an diesem Abend vom Text und Schauspiel die größte Aufgabe und bewältigen diese mit Bravour, wie auch Nikolaos Zervas als titelgebender Geldgott. Die raschen Wechsel der Tonlage, die zahlreichen Doppelbödigkeiten, die Schärfe der Gedankenführung, das alles würde auch Profis herausfordern und gelingt doch so, dass es sich auch aufs Publikum überträgt. Und warum sollte, was auf der kleinen Bühne mit geringen Mitteln sich bewährt, nicht auch im Größeren Erfolg haben? Man wird ja noch träumen dürfen.

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