Berlin-Pankow: Eingezäunte Erholung

Im Streit um eine Hofbebauung setzen sich vorerst die Bäume gegen eine modulare Geflüchtetenunterkunft durch

  • Jule Meier
  • Lesedauer: 4 Min.
Der Spielplatz im Hof der »Ossietzkystraße« in Berlin-Pankow ist seit über einem Monat eingezäunt. Ein trauriger Anblick für die Kinder der 670 angrenzenden Wohnungen und der sechs angrenzenden Kinderläden.
Der Spielplatz im Hof der »Ossietzkystraße« in Berlin-Pankow ist seit über einem Monat eingezäunt. Ein trauriger Anblick für die Kinder der 670 angrenzenden Wohnungen und der sechs angrenzenden Kinderläden.

400 Menschen mit Fluchterfahrung Wohnraum ermöglichen oder 66 Bäume und einen Spielplatz als Erholungsstätte erhalten? Beim ersten Blick auf den Streit zwischen Nachbarschaft und dem landeseigenen Wohnungsunternehmen Gesobau in der Ossietzkystraße in Pankow stellt sich die Gretchenfrage. Wohnraum für Geflüchtete ist Mangelware, Lebensraum für Flora und Fauna allerdings auch. Schaut man sich den Konflikt in Pankow genauer an, wird deutlich, dass sich soziale nicht gegen ökologische Argumente ausspielen.

Pünktlich zum »Einheitstag« standen in der Ossietzkystraße eine Securityfirma, Polizei mit zwei Wachhunden und Arbeiter*innen mit Bauzäunen vor Britta Krehls Haustür. Die Anwohnerin engagiert sich in der Initiative »Grüner Kiez Pankow« und hatte mit dem Aufgebot gerechnet, denn die Gesobau plante, am 3. Oktober den Innenhof zu roden. Gefällt wurde jedoch nichts und wird auch bis auf Weiteres nicht. Das konnte die Klage der Umweltverbände Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland, Naturfreunde und der Landesarbeitsgemeinschaft Naturschutz beim Bezirksamt Pankow wenige Tage später erwirken.

2020 hatte die Gesobau beim Bezirksamt einen Antrag auf Bebauung des Hofs in der Ossietzkystraße gestellt – ohne Erfolg. Zu DDR-Zeiten wurden die Gebäude mit »Wohngrünflächen« stadtplanerisch erbaut, um für circa 700 Anwohnende einen Ausgleich für ihre kleinen Wohnungen mit niedriger Deckenhöhe zu haben. Die Gesobau wollte die Fläche 2020 bebauen, bekam jedoch wegen zu »groß befundener Gebäude« keine Genehmigung. Anfang dieses Jahres hatte sie Erfolg – diesmal mit modularen Geflüchtetenunterkünften (MUFs) durch das Sonderbaurecht beim Senat.

Mit dem 2014 in Kraft getretenen Flüchtlingsunterbringungsmaßnahmengesetz wurde in Berlin das Baugesetzbuch geändert. Seitdem zählt das Bauen für Flüchtlingsunterbringungen zu den »Belangen des Allgemeinwohls« – ein Status, der mehr Freiheiten in Bezug auf die Vorgaben des Bebauungsplans ermöglicht. Dieses Sonderrecht ist entscheidend im Pankower Streitfall.

Die Initiative »Grüner Kiez Pankow« will ihren »Erholungsraum« nicht missen und erarbeitete mit dem Bezirk einen alternativen Bebauungsplan. »Unser Kompromiss erhält bis auf 14 alle Bäume und schafft bis auf 40 Wohneinheiten den geplanten Wohnraum für Geflüchtete. So gibt es Raum für Erholung, Natur und Integration«, betont Krehl gegenüber »nd«. »Eine Aufstockung der Bestandshäuser durch Dachgeschosswohnungen würde sogar noch mehr Wohnraum ermöglichen.« Dies wäre auch im Sinne des Klimaschutzes, denn der »Erholungsraum« für die Mieter*innen ist zugleich Lebensraum für unter Artenschutz stehende Nachbar*innen.

MUFs können in sozialen Wohnraum überführt werden und sind ökologischer als Leichtbauhallen wie in der »Kleinstadt Tegel«. Gleichzeitig ist die Modulbauweise in ihrer schnellen Anfertigung nicht besonders nachhaltig und teuer – das geht aus einer Recherche des Berliner Mietervereins hervor. MUFs ermöglichen hingegen, dass weniger Menschen mit Fluchterfahrung auf der Straße oder in Sammelunterkünften landen. Sascha Lagenbach vom Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten spricht gegenüber »nd« von derzeit 9000 Plätzen in MUFs und kaum mehr als 200 Wohnungen auf dem freien Markt, die Geflüchteten vom Land zur Verfügung stünden.

»Der Spielplatz und der Erholungsraum mit zwei Grünflächen sind für die Kinder von sechs Kinderläden und Anwohner*innen aus 670 Wohnungen nun nicht nutzbar«, klagt Krehl, die sich über den eingezäunten und von zwölf Wachschützer*innen beaufsichtigten Hof ärgert. Die Kosten für den Wachschutz sollen sich monatlich auf etwa 150 000 Euro belaufen.

Wachschutz, Baumrodungen und MUFs neu zu bauen, ist jedoch unökologisch und teuer. 400 Geflüchtete in einem Haus zu konzentrieren, ist zudem wenig sozial. MUFs sind ein kleines Pflaster für ein großes Berliner Wohnraumloch, aber keine gelungene Integration. Leerstandsnutzung und Mietpreisbremse bleiben also weiterhin nachhaltiger – im Sinne von Menschen, Klima und Kosten.

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