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Wiener Umland: Hotspot des Klimawandels
Im Südosten Österreichs wird das Wasser immer knapper
»Es war immer mein Traum, einen kleinen Fischteich und eine Hütte zu haben«, sagt Karl Schmidt. »Aber heute ist’s aus.« Schmidt, 82 Jahre alt, ein Jägerhut auf dem Kopf, spaziert durch seinen Garten, in dem er sich diesen Traum erfüllt hat. Drei Schritte über eine Holztreppe, dann steht er auf einer Veranda mit Holzgeländer. Vor 40 Jahren hat er sich das Grundstück in Rohrbach gekauft, 40 Kilometer südlich von Wien. Direkt vor der Hütte hat er einen Teich angelegt. »Ich esse selbst keinen Fisch. Aber ich hab’s so gern gehabt, da zu sitzen und zuzuschauen, wie sie Fliegen fangen«, erzählt Schmidt wehmütig.
Heute schwimmen auf der Wasseroberfläche Algen, das Wasser wirft Schlieren, sieht schmutzig aus. Als vor drei Jahren immer weniger Wasser aus der nahegelegenen Quelle kam, musste er seine kleine Forellenzucht aufgeben. Jetzt rinnt nur noch ein dünner Strahl Wasser aus dem vermoosten Zuflussrohr. »Es war wunderschön, hier abends zu sitzen. Aber jetzt ist’s vorbei«, sagt er. Immerhin habe er genügend Trinkwasser – keine Selbstverständlichkeit mehr im südlichen Niederösterreich. Die Region wurde von der Trockenheit der vergangenen Jahre hart getroffen und ist deswegen so etwas wie eine negative Modellregion für Österreich.
Karls Schmidts Fischteich zählte zu den ersten Opfern des zunehmenden Wassermangels, mittlerweile sieht man die Folgen überall in der Region. Nicht nur verschwanden in den vergangenen Jahrzehnten immer mehr Bäche. Seen trocknen aus, Brunnen versiegen. Die Lage ist so dramatisch, dass einige Haushalte schon notversorgt werden mussten. Und der vergangene Oktober war der wärmste seit Beginn der Messungen. Ist es Zufall, dass in dieser Region an gleich mehreren Orten das Wasser ausbleibt, oder ist das schon der Klimawandel? Und was können die Menschen und die Gemeinden dagegen tun?
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Grundwasserstände schwanken
Ein Anruf bei Martin Angelmaier in St. Pölten: Angelmaier ist Leiter der Abteilung Wasserwirtschaft in der Landesregierung und dieser Tage ein gefragter Mann. Nach Tiefständen des Grundwasserpegels im Frühjahr ist er heute vorsichtig optimistisch: »Die Grundwasserstände liegen zwar immer noch unter den langjährigen Mittelwerten, aber doch deutlich über den Tiefstwerten.« Das betreffe vor allem die Mitterndorfer Senke, im Bereich Wiener Neustadt. Sie liegt rund 60 Kilometer südlich von Wien und ist das größte Trinkwasserreservoir in Mitteleuropa.
Die Tiefststände fielen vor Ort teils dramatisch aus: Wer im Sommer mit dem Zug von Wien Richtung Süden fuhr, blickte auf Sandwüsten, wo einmal Baggerseen gewesen waren. Die Wasserstände von Anemonensee, Föhrensee und Achtersee sind innerhalb von 15 Jahren um sieben Meter gesunken. Wohnhäuser, einst in Traumlage am See, bieten auch heute nur noch einen traurigen Ausblick. In Bad Fischau-Brunn, im pittoresken Thermalbad mit Habsburger-Flair, mussten im Sommer Schwimmbecken geschlossen werden, weil zwei von drei Quellen nur noch schwach vor sich hin tröpfelten. Wer sehen will, was der Klimawandel anrichtet, findet im Osten Österreichs anschauliche Beispiele.
Relevant ist aber nicht nur die Regenmenge. Mindestens genauso wichtig ist auch die zeitliche Verteilung des Regens über das Jahr. Wasser aus der Schneeschmelze oder lange anhaltender Nieselregen sickert langsam ins Erdreich und speist damit den Grundwasserkörper. Gibt es aber Starkregen, also viel Wasser in kurzer Zeit, rinnt ein guter Teil davon an der Oberfläche ab und landet in Flüssen.
»Wir beobachten auch, dass die Quellschüttungen zurückgehen, also die Wassermenge, die aus den Quellen ausfließt. Das wird weniger«, sagt Angelmaier. Ob das Zufall oder eine Auswirkung des Klimawandels sei, werde man erst in ein paar Jahren verlässlich sagen können, meint er, denn: »Grundwasserstände schwanken von Natur aus.« Manche Forscherinnen versuchen aber schon jetzt, in die Zukunft zu schauen.
Für Helga Lindinger wohnt Karl Schmidt in der »Szenarienregion fünf«. Lindinger ist Geographin und Grundwasserexpertin, sie erforscht am Wiener Umweltbundesamt die verfügbaren Wasserressourcen Österreichs. Daraus lässt sich wiederum die Planung für die Wasserversorgung der Zukunft ableiten. Lindinger hat zuletzt für eine Studie im Auftrag des Bundesministeriums für Land- und Forstwirtschaft, Regionen und Wasserwirtschaft gemeinsam mit Experten der Universität für Bodenkultur Wien und einem Ingenieurbüro untersucht: Wo gibt es wie viel Wasser und wer benötigt davon welche Menge?
Nicht nur Menschen trinken Wasser und befüllen ihren Pool, auch Tiere und Pflanzen, die Landwirtschaft und Industriebetriebe brauchen Wasser. Hier spielt das Grundwasser die entscheidende Rolle. Lindinger und ihre Kollegen können zwar sagen, wo in Österreich es wie große Grundwasserressourcen gibt – das Komplizierte aber ist: »Das Grundwasser endet nicht an administrativen Grenzen.« Die Geographin kann daher nur Aussagen über »Szenarienregionen« treffen. Und Rohrbach, wo Karl Schmidt lebt, ist Teil des südlichen Wiener Beckens, in Lindingers Kategorisierung eben Szenarienregion fünf.
»Jetzt, und wirklich jetzt«
»Heute ist die Nutzungsintensität im südlichen Wiener Becken relativ hoch«, sagt sie. 70 Prozent der verfügbaren Grundwasserressource würden bereits genutzt, der Großteil davon für die Wasserversorgung der Haushalte und der Industrie, kleinere Anteile für landwirtschaftliche Bewässerung und die Tierhaltung. In Zukunft werde der Wasserbedarf in der Region noch zunehmen, jener für Haushalte ebenso wie jener für die Bewässerung. Und zwar, weil die Trockenheit für ein doppeltes Problem sorgt: Nicht nur bildet sich weniger Grundwasser; weil weniger Niederschlag fällt, wird auch mehr Wasser genutzt, um Felder zu bewässern oder den Rasen vor dem Haus.
Deswegen erklärt Lindinger: »Es müssen jetzt, und wirklich jetzt, vorausschauende und langfristige Maßnahmen gesetzt werden, damit es eben nicht dazu kommt, dass der Wasserbedarf die verfügbaren Ressourcen übersteigt.« Denn insgesamt landen nur rund 27 Prozent des Niederschlags im Grundwasser. Zudem seien wir vermehrt mit extremen Ausprägungen der Witterung konfrontiert. Einmal trocken, dann wieder sehr viel Niederschlag innerhalb kurzer Zeit – schlecht für die Grundwasserbildung.
Aber die Politik ist nicht untätig. Im Frühjahr haben die Vereinten Nationen eine
Trinkwasserkonferenz abgehalten, in Österreich hat der Landwirtschaftsminister zu einem »Wassergipfel« geladen. Besonders im südlichen Niederösterreich
beraten Wasserverbände über Zusammenschlüsse, neue Leitungen werden gebaut, um die trockenen Regionen aus den wasserreichen Gebieten heraus zu versorgen. Mancherorts hilft aber nur noch die Wünschelrute.
Drei Kilometer von Karl Schmidts Grundstück entfernt steht Franz Stern im Matsch auf einer Wiese. Es ist Januar, es liegen ein paar Zentimeter Schnee. »Bei Gestein schaffen wir bis zu 60 Meter am Tag, aber weicher Untergrund verstopft den Bohrer.« Stern muss seine Stimme heben, um den Maschinenlärm zu übertönen. Er ist Brunnenbohrer und für seinen Arbeitgeber, die Firma Allinger, Jahr und Tag in allen Ecken Niederösterreichs unterwegs.
Erst spürt er Wasseradern auf, mit der Wünschelrute, dann mit dem Bodenradar. Mit wissenschaftlichen Methoden lässt sich kaum belegen, dass das Wünschelrutengehen funktioniert, Stern schwört aber darauf. Erst dann folgt das
schwere Gerät, um die Quellen anzuzapfen. So wie hier, etwas außerhalb der Ortschaft Maria Raisenmarkt. Sterns Arbeitsanzug ist voller Dreckspritzer. »Imlochhammer!«, schreit er schon beinahe, um den Presslufthammerlärm zu übertönen.
Mit 20 bar in den Untergrund
Imlochhammer nennt sich die Maschine, die Stern mit einem Kollegen seit Stunden auf der Wiese betreibt. Ein blaues Kettenfahrzeug mit einem acht Meter hohen Bohrarm, eben der Imlochhammer, der sich in den Boden frisst. Die Spitze des Bohrers sei eine sich drehende Krone, erklärt Stern, während die Maschine ein seltsames Pfeifen von sich gibt, um dann gleich wieder in Stakkatolärm überzugehen. Mit bis zu 20 bar Druck hämmert sich der Drehbohrer in den Untergrund.
80 bis 90 Brunnen im Jahr bohrt Stern. Über eine schlechte Auftragslage könne sich sein Chef nicht beklagen. Überall würden Brunnen versiegen, sagt er. Früher mussten sie maximal 30 Meter tief bohren, heute oft doppelt so tief. Der Wasserspiegel sinke überall. Also bleibt vielen Haushalten und Gemeinden keine Wahl – und nur der Griff in die Geldtasche. Selbst wenn die Trockenheit die Grundwasserversorgung nicht fundamental bedroht, teurer wird sie allemal. Das österreichische Landwirtschaftsministerium will zusätzlich 100 Millionen Euro bereitstellen.
Kontinuierlicher Niederschlag hilft, wie er im Frühjahr eintrat und sich aktuell fortsetzt, nach einem sehr trockenen Jahresanfang. Pendelt sich nun alles ein? Am besten weiß das der Meteorologe Klaus Haslinger. Er ist Leiter der Kompetenzeinheit Klimasystem und Klimafolgen bei der Geosphere Austria. Zwar brachten die ersten Monate des Jahres deutlich weniger Regen und Schnee als üblich, langfristig sei aber keine Abnahme der Niederschlagsmenge im Südosten Niederösterreichs zu erkennen. »Im Jahresschnitt haben wir bisher sogar eine positive Niederschlagsanomalie«, sagt Haslinger, sprich: mehr Regen als üblich.
Das Problem sei aber nicht nur die Menge und Gewichtung des Niederschlags, sondern auch die steigenden Temperaturen selbst: »Eine Zunahme der Verdunstung ist sehr gut belegt.« Im Zeitraum der vergangenen 40 Jahre habe die Verdunstung in Österreich um 18 Prozent zugenommen. Fast die Hälfte davon machten höhere Temperaturen und mehr Sonnenstrahlung aus, ein Drittel entfalle auf die damit einhergehende Verlängerung der Vegetationsphase der Pflanzen. Solange diese wachsen, ziehen sie Wasser aus dem Boden und verdunsten es über ihre Blätter: wieder Wasser, das nicht zur Grundwasserbildung beitragen kann.
»Das ist ja keine Zukunft«
Karl Schmidt schaut sich in seinem Garten um. »Ein ungutes Gefühl ist es schon«, sagt der 82-Jährige. In seiner Kindheit habe es in der Umgebung noch Bäche und Tümpel mit Fischen und Krebsen gegeben. Heute sei oft nur ein Rinnsal übrig. Noch reiche das Wasser aus der Quelle neben seinem Garten für die paar Haushalte, die es in der kleinen Ortschaft zu versorgen gibt. Doch der Wasserdruck sinke auch hier. »Das ist ja keine Zukunft, wenn du immer tiefer graben musst«, findet der Rentner.
Drei Kilometer weiter hat der Bohrer von Franz Stern endlich die wasserführende Schicht erreicht. Matschiger Dreck prasselt auf die schneebedeckte Wiese. Jedes Mal, wenn man den Bohrer mit Druckluft durchbläst, schießt eine Schlammlawine gut zehn Meter in die Luft. Stern ist zufrieden, in wenigen Tagen wird ein Haushalt an die neue Wasserzufuhr angeschlossen werden.
Letzten Endes ist kaum sicher zu sagen, ob der Klimawandel allein für den
austrocknenden Fischteich von Karl Schmidt und für die vollen Auftragsbücher der Brunnenbohrer sorgt. Sicher ist für Helga Lindinger vom Umweltbundesamt nur, dass der Klimawandel vermehrt Stress für die Wasserressourcen bedeutet. Und das könnte erst der Anfang sein: »Die Herausforderungen in der Wasserversorgung können speziell in trockenen Jahren viel, viel größer sein.« Immerhin könne die Grundwasserneubildung in einem Trockenjahr auf die Hälfte des normalen Durchschnitts abfallen. »Wenn mehrere trockene Jahre aufeinander folgen, wie wir das seit 2015 beobachten, kann das bei bereits heute intensiv genutzten Grundwasserkörpern zu sehr angespannten Nutzungsverhältnissen führen«, sagt die Expertin. Dann braucht es noch mehr Krisengipfel, noch mehr neue Leitungen – und noch mehr Wünschelruten.
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