Antisemitismus in Brandenburg: Anhitlern per Mobiltelefon

Antisemitische Schmierereien in Brandenburg haben zugenommen

  • Matthias Krauß
  • Lesedauer: 5 Min.

»Land unter in Brandenburg?« So lautete die Überschrift der »Debatten zum Antisemitismus«, zu denen die F.C.-Flick-Stiftung am Mittwochabend ins Haus der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte eingeladen hatte. Leider lautet die Antwort auf die Frage: Ja.

Sie sei nach der zweistündigen Debatte keineswegs optimistischer geworden, sagte gegen Ende der Veranstaltung eine Lehrerin. Dieses Gefühl teilte sie mit weiteren Anwesenden im restlos gefüllten Vortragssaal des Museums. Wobei an diesem Abend gar nicht so viele Beispiele für Antisemitismus in Brandenburg Erwähnung fanden. Museumschefin Katja Melzer äußerte eingangs, ein Mädchen habe ihr gesagt: »Ich mag keine Juden.« Der Kriminologe und Opferberater Hannes Püschel erklärte, eine Zunahme der Zahl unmittelbarer Angriffe oder Beispiele für offene Gewalt sei derzeit noch nicht zu beobachten. Wenn antisemitische Taten begangen würden, dann »richten sie sich fast nie gegen Jüdinnen und Juden«.

Brandenburgs Verfassungsschutzchef Jörg Müller steuerte bei, dass man der AfD
unmittelbaren Antisemitismus eher selten nachweisen könne. »Das finden Sie dort nicht ganz so häufig.« So werde in diesen Kreisen nicht von »jüdischer Weltverschwörung« gesprochen, wohl aber von »Globalisierern«. Zweifellos sei die AfD aber rassistisch, indem sie zwischen »Bio-Deutschen« und einem minderwertigen Rest der Menschheit unterscheide.

So war es an diesem Abend weniger der Antisemitismus als vielmehr die offenbar ungebremste Ausbreitung von rechtsextremem Denken ganz allgemein, die erschreckte. Einmal hing während der Debatte der Haussegen auf dem Podium schief, als Opferberater Püschel dem Verfassungsschutz vorwarf, an Rechtsextremisten Pistolen ausgehändigt zu haben. »Das ist eine üble Unterstellung«, rief Verfassungsschützer Müller. Im Allgemeinen aber herrschte Einigkeit in der Beschreibung der bedrückenden Lage.

Zugenommen hat die Zahl antisemitischer Schmierereien. Diese Vorfälle bestimmten Tätern zuzuordnen, sei aber sehr schwierig, sagte Verfassungschef Müller. Antisemitismus ist für ihn bei aller Tarnung »das Bindeglied aller Verschwörungserzählungen«. Dagegen vorzugehen, sei in Zeiten der sozialen Medien unglaublich schwer. »Wissen Sie, was anhitlern ist?«, fragte er ins Publikum. Seine Kinder wüssten es: Wenn nämlich unter Kindern und Jugendlichen Smartphone-Filmchen die Runde machten, auf denen Adolf Hitler im Trainingsanzug zu sehen und der Satz zu hören sei: »Ich habe die Öfen angeheizt.« In Gesprächen mit Müller haben Minderjährige Hitler als »erfolgreich« gelobt, »vielleicht vom Ende seiner Herrschaft abgesehen«. Müller beklagte: »Ich bin ein alter, weißer Mann und erreiche sie nicht mehr.«

»Die Zivilgesellschaft ist ermüdet, ermattet«, bedauerte Susanne Krause-Hinrichs von der Flick-Stiftung. Die 2015 breit getragene Willkommenskultur gebe es nicht mehr. »Sie wurde in vielen Bereichen von den Kirchen getragen, das haben sie aber nicht fortgesetzt.« Menschen müssten ihr Engagement inzwischen selbst in der eigenen Familie verheimlichen. Angesichts einer wachsenden rechtsextremen Stimmung fühlten sich Lehrer oft von ihren Vorgesetzten alleingelassen. »Antisemitismus kommt in der Lehrerausbildung nicht vor«, sagte Krause-Hinrichs. Deshalb habe ein Teil der Pädagogen Schwierigkeiten, Antisemitismus zu erkennen.

»Im Süden Brandenburgs hat der Staat den Anspruch aufgegeben, sein Gewaltmonopol gegen rechte Straftäter durchzusetzen«, kritisierte Hannes Püschel. Er stieß mit dieser Aussage auf Widerspruch, blieb aber angesichts einer von ihm beobachteten Untätigkeit von Staatsanwaltschaft und Gerichten und vor allem aufgrund der jahrelangen Dauer der Verfahren dabei. »Es entsteht bei Menschen der Eindruck, dass den Tätern, die sie angreifen, nichts passiert.« Allzu oft würden nur geringe Bußgelder verhängt oder die Verfahren eingestellt. Ihm sei unbegreiflich, »was die Staatsanwaltschaft in Cottbus da treibt«. Püschel zufolge hätten entgegen einer verbreiteten Annahme die gewaltbereiten jungen Neonazis der 90er Jahre nicht aufgegeben, nachdem sie Familien gegründet hätten. Vielmehr seien sie in der Lauerstellung geblieben. Inzwischen gebe es schon Regionen, »in denen Minderheiten aufstehen müssten gegen rechtsextreme Mehrheiten«.

Verfassungschef Müller bestritt entschieden, dass Richter von der Verurteilung rechter Straftäter absehen würden: »Das ist schlicht falsch.« Doch erwarte auch er von dieser Seite mehr. »Auch mir geht das nicht schnell genug.« Die Wehrhaftigkeit der Demokratie habe in den vergangenen Jahren gelitten. Auch aus Sicht des Verfassungsschützers ist eine rechtsextreme Gesinnung an bestimmten Stellen in Brandenburg schon die Mehrheitsmeinung. »Die Stadt Burg hat eine Einwohnerschaft, die kein Problem mit Rechtsextremismus oder Antisemitismus hat.« Die Verantwortlichen von Feuerwehr und Sportvereinen müssten mehr gegen rechtsextreme Gesinnungen ihrer Mitglieder tun, forderte Müller. Wenn ein Sportler sich »Spielführer« nenne und bewusst die Nummer 18 trage (ein Code für Adolf Hitler), »dann plädieren wir für Spielsperre«. Dann dürfte nicht gesagt werden: »Er spielt doch aber gut Fußball.« Und: »›Deutschland erwache‹ ist kein Sportlergruß!« Er erwarte von der Feuerwehr, dass sie einen wie den Landtagsabgeordneten Lars Schieske (AfD) nicht in ihren Reihen dulde und dagegen vorgehe, wenn im Einsatz Kleidung ausgewiesen rechtsextremer Marken getragen werde.

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Die Sozialwissenschaftlerin Friederike Lorenz-Sinai verwies auf ihren Befund, dass Lehrer vielfach selbst Teil des Problems seien – aktiv in rechten Chatgruppen, wo sie antisemitische Inhalte teilten. Wenn Impfgegner demonstrativ den gelben Davidstern trügen, dann seien nicht alle Lehrer bereit, darin Antisemitismus zu sehen.

Verfassungschef Müller versicherte: »Wir haben Polizisten entlassen.« Dafür habe schon ein über Funk verbreiteter antisemitischer Tarn-Code ausgereicht. Es seien auch Lehrer entlassen worden, »wenn es ging«. Mindestens seien sie sanktioniert worden, wenn Zweifel an ihren rechtsstaatlichen Gesinnungen aufgekommen waren.

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