Trauma statt Traum

An der Berliner Schaubühne verleiht Jette Steckel Heinrich von Kleists Kriegsdrama »Prinz Friedrich von Homburg« eine unerhörte Aktualität

  • Gunnar Decker
  • Lesedauer: 6 Min.
Helden? Nein, bloße Funktionselemente des Krieges.
Helden? Nein, bloße Funktionselemente des Krieges.

Am Anfang verwandeln sich Menschen in Soldaten. Kleiderwechsel vorn an der Bühnenrampe. Jeans und T-Shirts fallen. Tarnfleckige Hosen und Jacken, schließlich Helme und Maschinenpistolen machen aus hochindividuellen Männern und Frauen auswechselbare Kampfmaschinen.

Jeder Krieg bedarf seiner Vorbereitungszeit, während der man sich hochrüstet und zivile Werte entsorgt. Helden? Nein, bloße Funktionselemente des Krieges, des blutigen Schlachtens. Jette Steckel hat Heinrich von Kleists 1811 (kurz vor seinem Freitod) vollendetes Schauspiel in eine sehr gegenwärtige Beleuchtung getaucht und diese ist ziemlich grell: eine ganze Batterie von Scheinwerfern blendet immer wieder auf, wie rasende Autos nachts auf der Überholspur.

Im Vordergrund des Bühnenbildes von Florian Lösche: eine Schräge, mit grauen sandgefüllten Plastikbeuteln. Dort klettern die Soldaten herum, als wäre dies die letzte Befestigungslinie der Front. Sofort ist klar, dass dieser »Prinz von Homburg« nicht in der historischen Kulisse der Schlacht von Fehrbellin 1675 zwischen Brandenburg-Preußen und den Schweden, die Teile Norddeutschlands besetzt halten, spielen wird. Nein, dieser Abend ist eine Innenansicht jener Kriegsmaschine, die nach der Seele der Beteiligten greift, auch eines so merkwürdig »unaussprechlichen Menschen«, wie Kleist seinen Prinzen von Homburg nannte. Ein Schlafwandler, der Leben und Träumen nicht recht zu trennen weiß, unbegabt ist für die kalte Rationalität des Tötens nach Plan. Er träumt davon, ein verwegener Held zu sein, ist voller großer Gefühle für sein bedrohtes Vaterland – aber die Wirklichkeit des Krieges ist eine andere.

Das sehen wir gleich zu Beginn in einer Gefechtsszene zwischen dem Prinzen von Homburg und einem schwedischen Soldaten. Der Prinz in rötlicher Kampfmontur hat seinen Finger schneller am Abzug seiner Maschinenpistole als der Schwede. Töten ist so anfangs noch wie in einem Computerspiel: Wer schneller drückt, hat gewonnen. Aber dann liegt der Schwede vor ihm, halbtot röchelt er und stöhnt furchtbar. Homburg tötet ihn nach langem Zögern mit einem Messer, steht blutverschmiert da wie ein Mörder. Der Krieg ist schmutzig und wer hier noch träumen kann, der träumt sich weit weg. Das ist die Nahaufnahme des Krieges wie unter Ernst Jüngers Mikroskop: ein Bestiarium, in dem der Schrecken wilde Blüten treibt. Regisseurin Jette Steckel zelebriert diese Todesszene förmlich, die Ästhetik des Schreckens ist ihr weitaus wichtiger als die seelischen Labyrinthe des Prinzen. Trauma statt Traum – so könnte man diese erste Schlüsselszene überschreiben.

Prinz von Homburg sitzt mit einer ihn verwirrenden Liebe zur Prinzessin Natalie im Herzen im Bauch des Krieges gefangen. Verliert er da seinen Verstand? Nein, er kommt – jenseits aller romantischen Träumereien – erst nach und nach zur Vernunft. Für Kleist selbst bedeutete ein solches Zur-Vernunft-Kommen, zu erkennen, dass ihm »auf Erden nicht zu helfen war«. Steckel stellt in ihrer Inszenierung dem Stücktext Briefe von Kleist hinzu und rückt damit die existenzielle Selbstbefragung, die der Dramatiker mit dem »Prinz von Homburg« vollzog, ins Zentrum. Ihm sei das »Soldatentum so verhasst geworden«, dass er es nicht länger ertrage, sollte Kleist an anderer Stelle notieren.

Dieser Hintergrund ist wichtig, um zu erkennen, was Kleist eigentlich anhand des Prinzen von Homburg verhandelt: die Frage nach der Freiheit des eigenen Entschlusses und der Unterwerfung unter einen fremden Willen. Was für ein »Gesetz« gilt dabei? Jenes, dessen Text gedruckt vorliegt oder das des eigenen Herzens? Und welcher Ordnung soll sich die Freiheit beugen – und zwar aus freien Stücken?

Darum geht es, wenn der Prinz, weil er mit den Gedanken ganz bei der Prinzessin Natalie (Alina Vimbai Strähler) ist, der Befehlsausgabe des Kurfürsten nicht zuhört und so nicht mitbekommt, dass er mit seiner Truppe erst auf ausdrücklichen Befehl angreifen soll. Gegen diese Befehl verstoßend, greift er zu früh an und erlangt – sei es aus Zufall oder weil er intuitiv das Richtige tat – den Sieg. Dieser aber bereitet dem Kurfürsten keine Freude. Was wird aus seiner Macht, wenn solcherart Disziplinlosigkeit zur Mode wird? Man statuiert ein Exempel am Helden der Schlacht: Ein Kriegsgericht verurteilt ihn zum Tode. Erst will der Prinz das nicht glauben, dann aber kann er nicht aufhören, daran zu glauben – und widersetzt sich sogar den Freunden, die ihn retten wollen. Diese Einübung in die fatale Logik des Selbstopfers zeichnet Steckel minutiös nach.

Renato Schuchs Prinz von Homburg wirkt wie ein eher unscheinbarer Held, fast schon ein Anti-Held. Alle Dinge seines Lebens geschehen ihm wie unter Vorbehalt. Das hier ist keiner, der den gängigen Mustern von Erfolg und Misserfolg verhaftet ist, er könnte jederzeit das Gegenteil dessen tun, was er jetzt gerade unternimmt. Das macht ihn gefährlich, weil unberechenbar. Liegt in dieser Unbestimmtheit der Figur seine Modernität? Ganz anders Friedrich Wilhelm, Kurfürst von Brandenburg, den Axel Wandtke als menschgewordenes Herrschaftsprinzip spielt. Disziplin ist alles und Befehl bleibt Befehl. Daraus besteht seine Welt, die er mit Sturheit bewacht.

Der gut zweieinhalbstündige Abend vereinfacht Kleist nicht, sondern gibt ihm mit dem Blick auf die Gegenwart eine unerhörte Aktualität. So heißt es, die Opfer eines Angriffs bedenkend: »Ein Sieg, zu teuer erkauft. Gebt mir den Preis, den er gekostet, wieder.« Aus einem spielstarken Ensemble ragt Jule Böwe hervor, die die Rolle des Obristen Kottwitz mit aller Selbstverständlichkeit als Obristin spielt: ein vermittelnder Geist, der das Militärische nicht als Selbstabtötung von Gefühl und Verstand begreifen will und damit ziemlich allein und bald auch im Abseits steht.

Man meint, solch einem Stück sei ein asketisches Grau angemessen, zumal es Kleist immerzu regnen lässt. In diesem Stil hatte Armin Petras 2007 am Gorki Theater den »Prinz von Homburg« auf die Bühne gebracht – im endlosen brandenburgisch-tristen Dauerregen. Und Robert Kuchenbuchs Prinz von Homburg stand als glatzköpfiger Querkopf meist mit dem Rücken zum Publikum. Eine massige Botschaft eher regionaler Natur. Jette Steckel dagegen setzt hier vor allem auf Körper und Bewegung, meist zu suggestiver Musik. Tschaikowskis Nussknacker-Ballett etwa wird zum universalen Totentanz. Soldaten verenden unter grotesken Bewegungen und man fragt nicht einmal mehr, welcher Kriegspartei sie angehören. Dieser Wechsel von Spiel und Bewegung mit Worten und ohne diese ist rhythmisch klug komponiert.

Damit ist der Gestus eines Antikriegsstücks gesetzt – doch irritieren manche filmisch breit ausgemalten Szenen; sie wirken allzu opulent bebildert. Effekthaschend ist dieser Abend jedoch nicht, denn er nimmt Kleists Text ebenso ernst und unernst zugleich wie die Geschichte jedes anderen marktschreierisch ausgerufenen Helden, der dann doch einen unvermeidlich banalen Tod stirbt. Und sei es mit dem heute lächerlich anmutenden Ruf: »In Staub mit allen Feinden Brandenburgs!«

Nächste Vorstellungen: 17. 11, 7. 12., 8. 12. www.schaubuehne.de

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