Die Linke: Eine enorm wichtige politische Kraft – trotz alledem

Die Linke muss eine Strategie zum konstruktiven Umgang mit den fortbestehenden inneren Konflikten finden

Die Linke ist und war eher eine sozialdemokratische Partei. Sie hat den Platz eingenommen, den SPD und Grüne seit 1998 mit dem ersten Kriegseinsatz der Bundeswehr seit dem Kriegsende 1945 und der Verabschiedung der Erwerbslosendrangsalierungsgesetze namens Hartz I bis IV geräumt haben. Das ist angesichts der herrschenden Kräfteverhältnisse durchaus ein hohes Gut. Denn diese Verhältnisse haben seither keine relevante Kraft links der Linken wachsen lassen oder sie gar selbst in eine ernsthaft antikapitalistische Kraft verwandelt. Im Gegenteil: Die anderen politischen Parteien sind mittlerweile immer weiter nach rechts gedriftet, was sich derzeit eindrücklich an deren Haltung in der Asylpolitik studieren lässt.

Insofern ist eine Kraft links von all dem eine objektive Notwendigkeit, so halbherzig bei ihr politische Praxis und Gesellschaftsanalyse daherkommen mögen. Ob sie wieder eine Kraft mit relevantem Wähler- und Unterstützerpotenzial aus sozialen und zivilgesellschaftlichen Gruppen werden kann, ist angesichts ihrer Schwächung infolge des Dauerkonflikts mit dem Lager um Sahra Wagenknecht und Oskar Lafontaine in den letzten Jahren offen. Daran ändert sich auch nach dem Exodus dieser Leute nichts, deren Kritik seit 2017 immer destruktiv, unsolidarisch und inhaltlich schon länger mit nach rechts offenen Politikansätzen verbunden war.

Die alten Grundkonflikte innerhalb der Linken werden derweil auch nach dem Weggang Wagenknechts und ihrer Getreuen fortbestehen. Sie könnten in absehbarer Zeit erneut zu tiefen Zerwürfnissen führen. Es sei denn, es gelingt ihr, mit ihnen konstruktiv umzugehen. Das wird nicht einfach. Und natürlich braucht die Partei Konzepte, wie sie auch mit praktischen Maßnahmen aus der Krise kommt. Einige gibt es schon, sie umzusetzen wird angesichts der in den letzten Jahren stark gesunkenen Mitgliederzahl eine gewaltige Herausforderung. Denn einige Hundert Neueintritte aktuell sind wohl eher die sprichwörtliche Schwalbe, die noch keinen Sommer macht.

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Radikale Antikapitalisten und PDS-Reformlager

Bei ihrer Gründung wurde der Pluralismus in der Linken als Vorteil angesehen. Radikale Antikapitalisten etwa aus der Gruppe Marx 21, aus deren Umfeld Linke-Ko-Chefin Janine Wissler und viele in der Arbeitsgemeinschaft Bewegungslinke Aktive kommen, konnten sich hier ebenso willkommen und respektiert fühlen wie die Protagonisten des PDS-Reformerlagers. Aus letzterem kommt der Ko-Vorsitzende Martin Schirdewan, insofern herrschst an der Parteispitze nicht nur Ost-West-, sondern auch eine gute Strömungsparität. Als Schirdewan 2014 den Einzug ins Europaparlament ganz knapp verfehlte, arbeitete er übrigens bis zu seinem Nachrücken ins Brüsseler Parlament 2017 zunächst für den Bundestagsabgeordneten Roland Claus. Der war einer jener PDS- und Linke-Protagonisten, die vor allem auf Integration der Partei ins herrschende System bedacht waren. Von Claus stammt das Postulat, die PDS sei nicht »die Westentaschenreserve der SPD«. Was sie in ostdeutschen Landesparlamenten doch fast immer war, besonders, wenn sie mitregierte oder »duldete«.

Die beiden politischen Pole – Mitregierenwollen, teils bedingungslos, teils unter der Prämisse der Einhaltung von »Haltelinien« versus konsequente Opposition und Akteurin in außerparlamentarischen Bewegungen – sind heute längst nicht mehr die einzigen. Die Haltungen zu Asyl- und Migrationspolitik, zum richtigen friedenspolitischen Ansatz, zum Stellenwert des sozialökologischen Gesellschaftsumbaus und des Einsatzes gegen Diskriminierungen differieren vielfach auch innerhalb dieser Lager stark. Das hat sich spätestens seit dem Beginn von Russlands Krieg gegen die Ukraine gezeigt.

Die Friedensfrage

Konflikte könnten insbesondere in der Außen- und Sicherheitspolitik bald wieder aufbrechen. Denn gerade Akteure des Netzwerks Progressive Linke streben eine tiefgreifende Revision der programmatischen Grundsätze der Linken auf diesem Gebiet an. Sie wollen eine stärkere Offenheit für Auslandseinsätze der Bundeswehr und für Waffenlieferungen nicht nur an die Ukraine. Das ist unter anderem in Positionspapieren des Bremer Linke-Landessprechers Christoph Spehr nachzulesen. Er warf Gegnern von Waffenlieferungen gar vor, das Geschäft des russischen Präsidenten und Aggressors Wladimir Putin zu betreiben. Ähnlich positioniert sich der frühere Bundestagsabgeordnete Thomas Nord, einer der Gründer des Netzwerks.

Derzeit sind solche Positionen nicht mehrheitsfähig in der Linken. Es ist aber nicht unwahrscheinlich, dass sie es in absehbarer Zeit werden. Denn auch in der innerhalb des Bundesvorstands dominierenden Bewegungslinken sind in der Friedensfrage alle Positionen vertreten. Käme es dazu, hätte die Partei vielleicht ihr wichtigstes Alleinstellungsmerkmal verloren. Was natürlich nicht gleichbedeutend mit Marginalisierung in Sachen Wählerzustimmung wäre. Auf die kommt es nicht nur Sahra Wagenknecht und Anhängern zuvörderst an, sondern auch nicht wenigen in der Partei Verbliebenen, die diese ebenfalls nach ihren Vorstellungen umgestalten wollen. Und bei Nichterfolg ebenfalls auf die Barrikaden oder woandershin gehen könnten.

»Unsere Demokratie«?

Dazu kommt, dass inzwischen mehrere Wählergenerationen mit dem Glauben herangewachsen sind, das im Westen dominierende parlamentarische System sei gleichbedeutend mit dem herrschenden Gesellschaftssystem, ja, es sei das System selbst – nämlich: »unsere Demokratie«. Die beiden Worte in Kombination finden sich auch in zahlreichen Papieren aus der Linken und in Reden und Statements ihrer Politikerinnen und Politiker. So, als handle es sich nicht um eine in der Realität recht exklusive Veranstaltung und als hätten mächtige Lobbyisten großer Konzerne nicht den entscheidenden Einfluss auf die Arbeit der Parlamente und ihrer Abgeordneten, auf die der Regierungen sowieso.

Das Verhalten der Linkspartei in der Pandemie: Ein schwieriges Erbe

Was die Partei ebenfalls als schwieriges Erbe mit sich herumschleppt, ist ihr Verhalten in den Zeiten der Corona-Pandemie, in denen Bürger sie durchaus zu Recht als eine Kraft wahrnahmen, die teils irrational-repressive Entscheidungen der Bundesregierung und der Länder mittrug und sogar für noch schärfere Maßnahmen eintrat. Akteure der Linken beteiligten sich in teils inquisitorischem Ton daran, jeden Zweifel, jeden Protest als rechts oder zumindest als Verschwörungsideologie und »Schwurbelei« zu brandmarken. Das haben viele Mitglieder und Sympathisanten als Anbiedern an die Regierungspolitik wahrgenommen. Auch deshalb haben sich viele Menschen von ihr abgewandt.

In dieser und vielen aktuellen Auseinandersetzungen war und ist es objektiv schwer, die richtige, auf Gesellschaftsanalyse beruhende Position zu finden. Der Krieg in der Ukraine ist so ein Fall, der neue »gegen die Hamas« nach deren grauenhaften Massakern an israelischen Bürgern ein weiterer, in dem es schnell zu hitzigen Debatten kommt. Diese mit einer gewissen Grundsolidarität untereinander zu führen und nach außen die gemeinsamen Positionen zu vertreten, auf die sich alle verständigen können, ist die große Herausforderung, vor der die Linkspartei steht. Sie muss sie annehmen und bewältigen, wenn es ihr wirklich um die von ihr postulierte Vertretung der Interessen der zunehmend ausgeplünderten Mehrheit geht.

Die einzig relevante Kraft, die sich ernsthaft für soziale Gerechtigkeit einsetzt

Weiterhin ist Die Linke bei allen Defiziten die einzige relevante politische Kraft in der Bundesrepublik, die sich ernsthaft für soziale Gerechtigkeit, für friedliche Außenpolitik und Abrüstung, für Sondervermögen für Bildung, Verkehrswende und klimaneutralen Gesellschaftsumbau einsetzt. Sie streitet zudem für Chancengleichheit für alle unabhängig von Herkunft, Hautfarbe, Religion und Dauer des Lebens in Deutschland. Und sie steht für internationale Solidarität in einer Welt, in der es seit mindestens 100 Jahren für das Kapital keinerlei Grenzen gibt, sondern nur für Menschen, die nur ihre Arbeitskraft haben. Angesichts der dominierenden Tendenz zu Entsolidarisierung, Nationalismus und Repression gegen Geflüchtete, Migranten, Arme, Obdachlose ist all das von unschätzbarem Wert. Trotz aller grenzwertigen Kompromisse, die Linke in Regierungen akzeptiert haben, etwa bei Autobahnprivatisierungen oder Polizeigesetzen.

Führen inhaltliche Auseinandersetzungen erneut zu der zuletzt oft beklagten »Vielstimmigkeit«, dürfte der Weg in die Bedeutungslosigkeit ungebremst weitergehen. Immerhin: Die Priorität einer sozial gerechten Klimawende und einer solidarischen Fluchtpolitik dürften nach dem Weggang von Wagenknecht und Co. von der weit überwiegenden Mehrheit in der Partei geteilt werden.

Und es gibt zahlreiche aktuelle Positionierungen und Strategiepapiere von Mitgliedern des Parteivorstands und langjährig gewerkschaftlich Engagierten, die erkennbar um konstruktiven, an der Sache orientierten Disput und Dialog bemüht sind. Die jüngste Stellungnahme, wie andere auf dem Debattenportal der Partei, »Links bewegt«, veröffentlicht, stammt von gewerkschaftlich engagierten Akteuren: der Bundestagsabgeordneten Susanne Ferschl, Vorstandsmitglied Jan Richter und Ulrike Eifler, Sprecherin der Bundesarbeitsgemeinschaft Betrieb und Gewerkschaft der Partei. Veröffentlicht erst am Donnerstag. Die drei reagieren auf ein Papier vom Koordinierungskreis der Bewegungslinken.

Eifler, Ferschl und Richter halten dessen Autoren vor, die Partei könne sich nicht einfach »neu erfinden«, wie von diesen gefordert. Vielmehr müsse sie zunächst Instrumente für eine ernsthafte Gesellschaftsanalyse entwickeln. Sie müsste sich »so verorten, dass ihre Vision von einer freien und gleichen Gesellschaft für die Mehrheit der Menschen zur Antwort auf die tiefe systemische Krise des Kapitalismus wird«. Es gehe »um weit mehr als den Austausch von Meinungen. Wir brauchen mehr Geschichts- und Gesellschaftsverständnis und weniger kurzlebige Twitter-Diskussionen.«

Das dürfte tatsächlich die Voraussetzung dafür sein, dass die Partei nach »positiver Selbstbefassung« eine echte »gemeinsame Identität ausbilden« kann, wie Vorstandsmitglied Daphne Weber, die für das Europaparlament kandidiert, in einem eigenen Papier schreibt. Eine weitere Voraussetzung: Debatte um Inhalte und Vorschläge. Und nicht gleich wieder Vorwürfe, dass Weber etwa die Schwarze US-Bürgerrechtlerin, Feministin und Kommunistin Angela Davis zitiert, die auch deutsche Linke als Antisemitin diffamieren, weil sie Israels Regierung seit Langem scharf für die Unterdrückung der Palästinenser kritisiert und sich kürzlich erneut in dieser Richtung positioniert hat.

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