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Teilchen im Energiesparmodus

Große Teilchenbeschleuniger sollen effizienter werden, indem ein Teil der aufgewendeten Energie recycelt wird

  • Dirk Eidemüller
  • Lesedauer: 6 Min.
Im Elektronenbeschleuniger »S-DALINAC« am Institut für Kernphysik der Technischen Universität Darmstadt bewegen sich Elektronenpakete mit über 99,9 Prozent der Lichtgeschwindigkeit.
Im Elektronenbeschleuniger »S-DALINAC« am Institut für Kernphysik der Technischen Universität Darmstadt bewegen sich Elektronenpakete mit über 99,9 Prozent der Lichtgeschwindigkeit.

Große Teilchenbeschleuniger verbrauchen sehr viel Energie. Künftig soll ein Teil davon zurückgewonnen und so Strom gespart werden. Ein Team an der TU Darmstadt hat bereits eine zweistufige Energierückgewinnung demonstriert.

Aus vielen Bereichen der Forschung sind Teilchenbeschleuniger nicht mehr wegzudenken. Sie sind unverzichtbare Werkzeuge – nicht nur in der Kern- und Teilchenphysik, sondern zunehmend auch in der Materialforschung und Medizin. Sie bringen üblicherweise aber auch eine gesalzene Stromrechnung mit sich, da sie sehr viel Energie zum Betrieb benötigen. Zumindest für bestimmte Typen von Teilchenbeschleunigern soll sich das in Zukunft ändern. Mit Hilfe einer intelligent designten Energierückgewinnung soll der Stromverbrauch sinken – beziehungsweise sollen wesentlich stärkere Beschleunigungsleistungen bei gleichem Stromverbrauch möglich werden.

Teilchenbeschleuniger bringen geladene Teilchen – meist Elektronen oder Protonen – auf extrem hohe Energien und auf Geschwindigkeiten nahe der Lichtgeschwindigkeit. Viele Experimente sind so angelegt, dass die Teilchen zunächst in Paketen durch ein elektrisches Feld beschleunigt und dann zur Kollision gebracht werden. Dabei kollidiert allerdings oft nur ein sehr kleiner Teil der hochenergetischen Teilchen. Die restlichen Teilchen werden in einen Strahlfänger geleitet. Dort werden sie gestoppt, wobei ihre Energie verloren geht.

»Die Idee hinter der Energierückgewinnung ist es nun, die im Strahl verbliebenen Teilchen nicht irgendwo zu stoppen, sondern sie noch einmal durch den Teilchenbeschleuniger laufen zu lassen«, erklärt Norbert Pietralla, geschäftsführender Direktor des Instituts für Kernphysik an der Technischen Universität Darmstadt. »Nun werden sie jedoch abgebremst und geben dabei ihre Bewegungsenergie wieder an das elektromagnetische Feld im Beschleuniger ab.« Diese Energie kann dann genutzt werden, um den nächsten Teilchenstrahl zu beschleunigen. Von außen muss deshalb der Beschleunigeranlage weniger Energie zugeführt werden und der Teilchenbeschleuniger läuft »im Energiesparmodus«.

Um Teilchen zu beschleunigen, gibt es verschiedene Möglichkeiten. Heutzutage nutzt man meistens starke elektromagnetische Wechselfelder in speziell geformten Hohlräumen, durch die die Teilchen fliegen. In der gesamten Anlage herrscht Vakuum, damit sich die Teilchen frei bewegen können. Die Wechselfelder schwingen mit hoher Frequenz, im Bereich von Mikrowellen, ähnlich wie die in den Küchengeräten – allerdings mit sehr viel mehr Energie.

Die Welle schiebt den Surfer

Will man nun etwa Elektronen auf hohe Energien beschleunigen, speist man sie in kleinen Paketen in die Hohlräume ein. »Das macht man genau dann, wenn das Wechselfeld gerade so schwingt, dass die Elektronen darin eine nach vorne gerichtete Kraft erfahren«, erklärt Pietralla. Wenn das elektromagnetische Feld wieder zurückschwingt, hat das Elektronenpaket bereits den Hohlraum verlassen. Das nächste Elektronenpaket lässt sich erst dann beschleunigen, wenn die Welle wieder vorwärts schwingt. Durch die Größe der Hohlräume und die Frequenz der Schwingungen ist deshalb festgelegt, in welchem Abstand die Elektronenpakete aufeinander folgen können.

Die Elektronenpakete durchlaufen mehrere solcher Beschleunigungsstrecken hintereinander, wobei die Felder in den nachfolgenden Hohlräumen zeitlich aufeinander abgestimmt sind. So werden die Teilchen wie ein Surfer auf einer Wasserwelle beschleunigt und verlassen die Beschleunigungsstrecke mit hoher Energie.

Die nötige Energie muss der Beschleunigeranlage durch geeignete Mikrowellensender von außen zugeführt werden. Noch effizienter wird es, wenn man den Strahl mehrmals durch den gesamten Beschleuniger schickt. Dafür wird der Strahl mithilfe von Magnetfeldern zurück zum Anfang des Beschleunigers geführt und wieder zum genau richtigen Zeitpunkt in die Hohlräume eingeschossen. Dadurch werden die Elektronenpakete immer weiter beschleunigt. »Am supraleitenden Linearbeschleuniger S-DALINAC in Darmstadt, an dem ich mit meinem Team arbeite, rezirkulieren wir den Strahl bis zu dreimal, bevor die Teilchen kollidieren«, so Pietralla.

Der Surfer schiebt die Welle

Der Trick bei der Energierückgewinnung besteht nun darin, am Ende des Beschleunigungsvorgangs – am S-DALINAC also nach bis zu drei Runden – die übriggebliebenen Elektronen sozusagen nicht mit der Welle, sondern gegen sie zu schicken. Dabei durchlaufen sie noch dreimal dieselben Hohlräume wie bei der Beschleunigung. »Aber anstatt sie nun von der Welle beschleunigen zu lassen, stoßen die Elektronenpakete ihrerseits die Welle an und geben dabei Energie an das Wechselfeld ab«, sagt der Forscher. Um diesen Effekt zu erreichen, muss man die Weglänge der Elektronen zum Wiedereinschuss in den Beschleuniger verändern – und zwar so, dass sie genau dann in die mit Mikrowellen gefüllten Hohlräume eintreten, wenn die Welle gerade zurückschwingt. Dann werden die Elektronenpakete abgebremst und ein Teil ihrer Bewegungsenergie geht in das Mikrowellenfeld über.

Dabei konnten die Wissenschaftler schon überzeugende Resultate erreichen. »Bei einem Beschleunigungsvorgang mit nur einem einzelnen Umlauf ist die Rückgewinnung bereits sehr gut und kann 99 Prozent erreichen«, so Pietralla. »Aber meistens nutzen wir mehrere Umläufe, bis die beschleunigten Elektronen miteinander kollidieren – beim S-DALINAC bis zu drei.« Es wird umso schwieriger, die Gesamtenergie der restlichen Elektronen zurückzugewinnen, je öfter die Elektronen im Beschleuniger zirkuliert sind. Das liegt daran, dass sie nach mehreren Bremsrunden immer ungeordneter durch den Beschleuniger sausen.

»Wir haben in unseren jüngsten Versuchen bei zwei Runden bei einem schwachen Strahl aber immerhin 87 Prozent der Bewegungsenergie zurückgewinnen können«, sagt der Wissenschaftler. Bei einem sehr intensiven Strahl mit vielen Teilchen werden die Elektronen etwas ungeordneter, sodass sich dann nur rund 60 Prozent der Energie zurückholen lassen. Die Effizienz hängt also nicht nur von der Zahl der Umläufe, sondern auch von der Strahlstärke ab. »Dazu muss man aber sagen, dass der S-DALINAC ursprünglich nicht für die Energierückgewinnung gebaut und optimiert wurde«, sagt Pietralla. »Für diese Machbarkeitsstudie haben wir ihn etwas umbauen müssen.« Künftige Beschleuniger, bei denen das von Anfang an implementiert ist, sollten noch sehr viel effizienter die Energie der Teilchenstrahlen recyceln können.

Mit dem Verfahren lassen sich nun prinzipiell zwei Effekte erzielen. Erstens kann man Energie einsparen, weil man weniger Strom für den Betrieb der elektromagnetischen Wechselfelder benötigt. Dabei kann die Leistung der Mikrowellengeneratoren von wenigen Kilowatt – wie am Darmstädter S-DALINAC – bis hin zu vielen Megawatt bei großen Anlagen reichen. Wenn man eine Rückgewinnung von über 90 Prozent erzielt, spart das nicht nur Energie, sondern drückt bei großen Anlagen auch die Betriebskosten deutlich. Und zweitens kann man die zurückgewonnene Energie auch nutzen, um stärkere Teilchenstrahlen zu erzeugen, als das bisher technisch möglich ist. Denn die Mikrowellengeneratoren können nur innerhalb gewisser Grenzen Energie in die Wechselfelder einspeisen. Diese Gesamtenergie lässt sich durch Recycling der Teilchenenergie innerhalb der Anlage erhöhen.

Bedarf auch in der Industrie

Diese Technik eröffnet nun neue Möglichkeiten – sowohl in der Teilchenphysik als auch in der Industrie. In der Grundlagenforschung werden zurzeit Konzepte für extrem starke Elektronen-Collider diskutiert. »Wenn eine solche Anlage aber einen so hohen Stromverbrauch hat, dass mehrere Großkraftwerke zur Energieversorgung nötig sind, dann wären diese Pläne finanziell nicht realisierbar und in der heutigen Zeit der Energieknappheit auch nicht zu vertreten«, erklärt Pietralla. Die Energierückgewinnung könnte den Stromverbrauch solcher Anlagen auf ein vertretbares Maß reduzieren.

Auch in der Industrie gibt es Bedarf an starken Elektronenbeschleunigern – zum Beispiel als Quelle für Gammastrahlung, wie sie etwa für die Herstellung von Siliziumchips gebraucht wird. Hier ließe sich ebenfalls der Stromverbrauch reduzieren. Die Entwicklung solcher Anlagen schreitet deshalb rasch voran – und auch deutsche Institute sind vorne mit dabei. In Mainz entsteht mit dem MESA-Beschleuniger gerade ein Teilchenbeschleuniger, der von Anfang an zur Energierückgewinnung konzipiert wurde und als Prototyp für weitere Modelle dienen soll. »Ich bin mir sicher, dass sich das Konzept bei vielen neuen Teilchenbeschleunigern durchsetzen wird«, schließt Pietralla.

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