Schattenhaushalte in Schieflage

Das Urteil des Verfassungsgerichts könnte weitere Milliardenvorhaben der Bundesregierung stoppen

  • Hermannus Pfeiffer
  • Lesedauer: 4 Min.

Seit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Klima- und Transformationsfonds (KTF) wird gerätselt und diskutiert, welche Folgen es für die Haushaltspolitik der Ampel haben wird. Karlsruhe hatte vor einer Woche bestimmt, dass die Koalition nicht länger auf alte, aus dem Jahr 2021 stammende Kreditgenehmigungen über 60 Milliarden Euro für den KTF zurückgreifen darf. Kredite und Ausgaben müssten grundsätzlich dem Jahr zugeordnet werden, in dem sie fällig werden – das Gericht könnte noch weitere Schattenhaushalte in Bund und Ländern zum Einsturz bringen.

Neben dem Klimafonds gibt es noch weitere 28 »Sondervermögen« des Bundes. Das erste Treuhandvermögen (für den Bergarbeiterwohnungsbau) war bereits 1951 geschaffen worden. Nur wenige dieser Töpfe haben eigenes Vermögen, das Gros ist fremdfinanziert – entweder durch den Bundeshaushalt oder wie der KTF durch eigene Kreditermächtigungen. Zusammen sind die Schattenhaushalte aktuell rund 900 Milliarden Euro schwer – der offizielle Bundeshaushalt für dieses Jahr ist kaum mehr als halb so groß.

Der Haushaltsausschuss des Bundestages wollte deshalb am Dienstag von Sachverständigen wissen, ob nun auch alle diese Sondervermögen vom Urteil betroffen sind. »In dieser Pauschalität sind die Warnungen weit überzogen«, sagte Jörg Krämer, Chefvolkswirt der Commerzbank. Beträchtliche Risiken sehen er und andere Experten vornehmlich bei dem ursprünglich mit Kreditermächtigungen in Höhe von 200 Milliarden Euro ausgestatteten Wirtschafts- und Stabilisierungsfonds (WSF). Dieser sollte ab 2022 die Belastungen durch den Ukraine-Krieg und die massiv gestiegenen Energiepreise abfedern. Finanziert wurden daraus die Rettung von Energielieferanten wie Uniper ebenso wie die Preisbremsen bei Strom und Gas.

nd.DieWoche – unser wöchentlicher Newsletter

Mit unserem wöchentlichen Newsletter nd.DieWoche schauen Sie auf die wichtigsten Themen der Woche und lesen die Highlights unserer Samstagsausgabe bereits am Freitag. Hier das kostenlose Abo holen.

Nun hat das Verfassungsgericht in seiner Entscheidung Sondervermögen nicht per se untersagt. Die Richter kritisieren vor allem die Übertragung der Kreditermächtigungen und deren Verbuchung bei der Berechnung der Schuldenbremse, die beim KTF vom damaligen Finanzminister Olaf Scholz (SPD) trickreich ausgehebelt worden war. Auch beim WSF wurde die Gesamtsumme für das Jahr 2022 verbucht, als die Schuldenobergrenze noch ausgesetzt war. Damit erfolgte auch hier die von Karlsruhe bemängelte »Bevorratung« finanzieller Mittel, um diese in Folgejahren 2023/2024/2025 zu verwenden, ohne sie bei der dann wieder greifenden Schuldenbremse anzurechnen. »Dem Wirtschaftsstabilisierungfonds droht dasselbe Schicksal wie dem KTF«, befürchtet Rudolf Hickel von der Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik. »Auch viele Sonderfonds bei den Bundesländern stehen nun auf der Kippe.«

Friedrich Merz droht bereits mit einer Klage gegen den WSF. Wie bei dem erfolgreichen Verfahren gegen den Klimafonds wird der Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion von dem Heidelberger Rechtsprofessor Hanno Kube beraten. Dass dieser auch die Umsetzung des WSF für verfassungswidrig hält, wurde vor dem Haushaltsausschuss deutlich.

Da Karlsruhe nicht die Einrichtung von Sondervermögen per se ablehnt, sondern nur die Berücksichtigung bei der Berechnung der Schuldenbremse, halten es Experten für erforderlich, die Verbuchung auch beim WSF zu verändern. Damit fiele die Haushaltsbilanz für 2022 deutlich besser aus, da in diesem Jahr nur ein kleinerer Teil der 200 Milliarden Euro tatsächlich verwendet wurde, und die für 2023 deutlich schlechter, da hier nun unter anderem die Ausgaben für die Strom- und Gaspreisbremsen berücksichtigt werden müssten.

Da das Jahr aber bereits so gut wie gelaufen ist, ergäben sich hieraus wohl keine handfesten Folgen für die Bundesregierung. Anders sähe dies für das kommende Jahr aus, in dem die Schuldenbremse nach dem erklärten Willen von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und insbesondere von Finanzminister Christian Lindner (FDP) wieder eingehalten werden soll. Die für 2024 geplanten Ausgaben aus dem WSF – unter anderem für die bis April laufenden Preisbremsen – müssten nun eigentlich bei der Schuldenbremse berücksichtigt werden.

Aber die Schuldengrenze für 2024 dürfte bereits ohne Berücksichtigung eines weiteren Urteils ausgereizt sein. Die Löcher beim Klimafonds (30 Milliarden Euro) und beim WSF, überschlägig von Commerzbank-Volkswirt Krämer auf weitere 10 Milliarden taxiert, könnten logischerweise dann nur durch Steuererhöhungen oder Ausgabenkürzungen an anderer Stelle gestopft werden. Für Professor Hickel gibt es hingegen nur eine dauerhafte Lösung: »Die Schuldenbremse als wirksame Zukunftsbremse muss aus der Verfassung gestrichen werden.« Mit dem Verfassungsziel der Generationengerechtigkeit sollte dann »die goldene Regel« wieder eingeführt werden: Öffentliche Investitionen dürfen durch Kredite finanziert werden.

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.