Israel und Hamas: Feuerpause mit unklarem Ausgang

Im Austausch für Geiseln und Gefangene wollen Israel und die Hamas für vier Tage ihren Kampf einstellen

  • Oliver Eberhardt
  • Lesedauer: 4 Min.

Bis tief in die Nacht hinein hatte Israels Kriegskabinett in der Nacht zum Dienstag getagt. Thema: die geplante Vereinbarung, einen Teil der im Gazastreifen festgehaltenen Geiseln im Gegenzug für eine Waffenruhe und die Freilassung von weiblichen und minderjährigen palästinensischen Gefangenen freizubekommen.

Am Donnerstag soll es losgehen: Ab zehn Uhr Ortszeit morgens sollen die Waffen für vier Tage ruhen. In diesem Zeitraum sollen 50 Geiseln, die entweder minderjährig sind oder eine ausländische Staatsbürgerschaft haben, gegen 150 Palästinenser in israelischen Gefängnissen ausgetauscht werden. Außerdem werden rund 300 zusätzliche Lastwagenladungen an Hilfsgütern in den Gazastreifen eingeführt.

Nach der nächtlichen Sitzung des dreiköpfigen Kriegskabinetts aus Regierungschef Benjamin Netanjahu, Verteidigungsminister Joaw Galant und Oppositionsführer Benny Gantz machten die drei deutlich: Es sei nicht das Ende der Kämpfe, sondern eine Pause. Das oberste Ziel sei die Zerstörung der militärischen und politischen Fähigkeiten von Hamas und Islamischem Dschihad. Direkt danach komme die Befreiung der verbleibenden Geiseln.

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Für sie und ihre Angehörigen geht das Bangen also weiter, während die gut eine Million Menschen, die aus dem Norden des Gazastreifens in dessen Süden geflüchtet sind, weiter am Rande einer humanitären Katastrophe leben muss. Auch zusätzliche Hilfsgüter und Treibstofflieferungen lindern die Not nur für sehr kurze Zeit.

Auf der israelischen Seite ist die Ablehnung des Deals groß: Die Angehörigen der Geiseln, die keine Chance auf Freilassung haben, werfen der Regierung vor, auch deren Tod in Kauf zu nehmen. Der Rest der Gesellschaft befürchtet, dass es so laufen könnte wie vor neun Jahren, nach dem Gazakrieg 2014: Damals wurde die Waffenpause auf Druck der internationalen Gemeinschaft zur Waffenruhe und die Hamas erholte sich nicht nur, sondern baute ihre Fähigkeiten sogar noch weiter aus. Die Folge: das Massaker am 7. Oktober und ein Vielfaches der Raketenabschüsse, die im Krieg 2014 verzeichnet wurden. »Israels Führer wiederholen die Fehler der Vergangenheit«, kommentiert die größte israelische Zeitung »Jediot Achronot«. Angemerkt wird auch, dass es ein Gefangenenaustausch 2011 im Gegenzug für den israelischen Soldaten Gilad Schalit war, der Yahya Sinwar, dem wahrscheinlichen Kommandeur des Massakers, den Weg aus einem israelischen Gefängnis zum Chefposten der Hamas in Gaza ebnete.

Mehrere Medien äußern auch die Befürchtung, dass die Hamas durch den Deal an Legitimität gewinnen könnte, während sie die Waffenpause dazu nutzen werde, mit Bildern der Zerstörungen in Gaza international um Unterstützung dafür zu werben, Israels Regierung zu zwingen, den Krieg zu stoppen.

Aber was wäre die Alternative? Diese Frage wird derzeit auch von vielen Vertretern der arabischen Regierungen gestellt. Man weiß, dass es mit der Hamas nicht weitergehen kann. Als erste Führung der Region forderte die Regierung der Vereinigten Arabischen Emirate einen Wechsel an der Spitze der Palästinensischen Autonomiebehörde. Nur die Autonomiebehörde könne Gaza regieren, aber das gehe nicht ohne einen Neuanfang, heißt es in einer Mitteilung des Außenministeriums.

Doch wirklich in Sicht ist dieser Neuanfang nicht. Zwar signalisierte der palästinensische Regierungschef Mohammed Schtajjeh mittlerweile, dass man durchaus dazu bereit sei, die Kontrolle über Gaza zu übernehmen, wenn Israel und die internationale Gemeinschaft bereit dazu wären, Palästina als unabhängigen Staat anzuerkennen und Verhandlungen über einen endgültigen Frieden zwischen Israel und Palästina aufzunehmen. Doch die Forderung nach einem Führungswechsel wies die palästinensische Regierung als »Einmischung in die inneren Angelegenheiten« zurück.

Auch mit der Waffenruhe kommt der Krieg aber nicht vollständig zum Stillstand: Die Hisbollah und das israelische Militär liefern sich immer wieder Schusswechsel. Nun wurde auch der Kommandeur Hamas im Libanon getötet. Dort verfügt die Organisation unter den palästinensischen Flüchtlingen und deren Nachkommen über starken Rückhalt – ein Problem, auch für die Hisbollah, die damit die Kontrolle darüber verlieren könnte, ob und wann der Krieg auf den Südlibanon übergreift.

Im Westjordanland geht das israelische Militär indes noch immer gegen Zellen der Hamas vor, teilweise geschieht dies auch mit Unterstützung der palästinensischen Regierung, die diese ebenfalls als Bedrohung sieht. Zudem greifen rechte Siedler immer wieder Palästinenser und ihr Eigentum an, ohne dass Polizei und Militär einschreiten.

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