»The Silence« an der Schaubühne: Eltern schweigen, Kinder leiden

An der Berliner Schaubühne nähert sich Falk Richter in »The Silence« seiner eigenen Autobiografie an

  • Michael Wolf
  • Lesedauer: 5 Min.
Dimitrij Schaad läuft und sitzt in der Seelenlandschaft von Falk Richter.
Dimitrij Schaad läuft und sitzt in der Seelenlandschaft von Falk Richter.

Zu verzeichnen sind ein Comeback und ein Debüt. Der Schauspieler Dimitrij Schaad spielt zum ersten Mal an der Berliner Schaubühne. Halb ironisch, halb scheu macht er sich am Anfang mit dem Publikum bekannt: »Dimi: Schaubühne, Schaubühne: Dimi.« Schaad spielte in den letzten Jahren Hauptrollen in erfolgreichen Kino-Produktionen wie etwa in den Känguru-Filmen nach Marc-Uwe Kling oder jüngst in »Sophia, der Tod und ich«. Dem Berliner Publikum ist er schon länger bekannt, gehörte er doch bis 2019 zu den Stars im Ensemble des Maxim Gorki Theaters. Dort war auch Falk Richter engagiert, dessen Karriere zuvor hier am Lehniner Platz Fahrt aufnahm, mit Aufsehen erregenden Arbeiten wie dem Stück »Fear«, das ihm eine lange juristische Auseinandersetzung mit AfD-Politikern einbrachte.

Mit der Zeit sind Richters Texte persönlicher und intimer geworden. Vor drei Jahren kam am Gorki die Stückentwicklung »In my Room« heraus, in dem die Schauspieler monologisch und musikalisch die Beziehungen zu ihren Vätern aufarbeiteten und um Verständnis für deren Wut, Trauer und Schweigen rangen. Die neue Produktion darf man als Fortführung dieses Stoffs verstehen, nunmehr mit Fokus auf die eigene Biographie des Autors und Regisseurs. Schaad spielt Richter, »The Silence« ist ein autofiktionales Stück, es geht um das Aufwachsen in einem unglücklichen Elternhaus.

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Die Mutter sperrte den kleinen Falk in einen Schrank ein, wenn er »nicht lieb« war, spionierte ihm hinterher, las seine Tagebücher. Der Vater schlug ihn, als ihm aufging, dass er homosexuell sein könnte. Die Schwester lud ihn nicht zu ihrer Hochzeit ein, da man »nur im engsten Familienkreis« feiern wollte. In diesem engsten Kreis war kein Platz für den fantasievollen Jungen, der sich nach Kunst, nach Männern, nach einem anderen Leben sehnte, eines, in dem er gehört und gesehen würde.

Offen, mit Witz und Charme erzählt Schaad, greift sich immer mal wieder ins Gesicht und atmet schwer, um Traurigkeit zu markieren, erhebt dann die Stimme, wütet über den Skandal, als schwuler Mann nicht sicher zu sein in dieser Gesellschaft. Ab und zu spielt er kleine Szenen, telefoniert mit dem Partner seiner Figur, will ihn zu einer offenen Beziehung überreden, um nicht die freudlosen Muster zu wiederholen, in denen seine Eltern gefangen waren. Man sieht und hört ihm gerne zu, weil Schaad ein redlicher Schauspieler ist, einer, der keine Show aus dem Leben eines anderen machen muss, der sich zurücknehmen kann und dabei zugleich präsent bleibt.

Die Bühne: eine karge Seelenlandschaft. Einige Steinbrocken, rot-schwarze Fransenteppiche, ein entlaubter Baum, an der Seite ein Tisch, an dem Schaad sitzt und schreibt, bevor er seine Entwürfe zusammenknüllt. Nicht zu Unrecht, denn der Text fällt ab gegen die Videos, die den Monolog immer wieder unterbrechen. Richter selbst spricht darin mit seiner Mutter über deren Vergangenheit und seine eigene Jugend. Anders als im Stück kann sich hier die Beschuldigte und zugleich Bemitleidete selbst verhalten. Auch Richter wirkt deutlich sensibler, sympathischer, erscheint als ein Sohn, der sich bemüht, der Fragen hat. Und seine Mutter – hellwach, gequält, um Schadensbegrenzung bemüht – verwickelt sich in Widersprüche. Man sieht ihr tragisch an, wie sie ein Selbstbild verteidigt, wie sie an der eigenen Erzählung ihres Lebens festhält.

»The Silence« schließt auch an erfolgreiche Schaubühnen-Produktionen von Intendant Thomas Ostermeier an. Er adaptierte hier den Bestseller »Rückkehr nach Reims« von Didier Eribon und Bücher von Édouard Louis. Die beiden gehören zu den bekanntesten Protagonisten einer Literatur, in der Soziologie und Biographie aufeinandertreffen. Über die Rückschau auf das eigene Leben, die Beschäftigung mit ihrer Familie machen sie auf die gesellschaftlichen Dynamiken und politischen Bedingungen aufmerksam, die Existenzen prägen, ermöglichen, im Zweifel zerstören.

Auch Richter folgt diesem Programm, sein Stück ist keine Abrechnung mit dem Elternhaus, vielmehr treibt ihn ein Erkenntnisinteresse an. Zu klären ist die Frage, warum die Eltern so kalt, so misstrauisch, und dabei so desinteressiert waren. Das eigene Unglück, so die Vermutung, kann nicht einfach nur privat oder zufällig sein, da muss etwas dahinterstecken. Richter hat eine Ahnung, er vermutet transgenerationale Traumata als Gründe für seinen Schmerz und den seiner Eltern. Nie sei in seiner Familie darüber gesprochen worden, dass sein Vater mit siebzehn an die Front kam, nie darüber, dass seine Mutter mehrere Jahre dessen Geliebte war, dass sie von ihm in einer Wohnung versteckt wurde, als sie ein Kind erwartete.

Sind das Schweigen und die Kälte Ausdruck früher Verletzungen? Richter hält diese Lösung für das eigene Unglück nicht lang zurück. Der Rest des Abends ist der Versuch einer Beweisführung, jedoch einer, die nur dem Sohn nützen kann. Denn so wie hier vom Schicksal der Eltern erzählt wird – etwa von der Flucht am Ende des Krieges, in deren Verlauf der Bruder der Mutter erfror – hat es den Anschein, als wäre das Leid von einst nur von Bedeutung, insofern es das eigene Unglück erklärt, ihm einen Sinn gibt.

Das erinnert an tiefenpsychologische Verfahren, und dem entsprechend rückt Richters Therapeutin, die Schaad am Ende mit Perücke spielt, die Verhältnisse schließlich zurecht. Was er denn erwarte, fragt sie ihn. »Dass Ihre Mutter sie um Verzeihung bittet? Dass sie all ihre Kindheitserlebnisse noch einmal mit Ihnen gemeinsam durchlebt? Nein, das wird sie nicht machen. Ihre Mutter kann diese Gefühle nicht fühlen. Der Schmerz würde sie fluten und ihr Leben würde auseinanderbrechen.« Das nenne man Resilienz, nur so könne sie sich selbst schützen. Hier am Schluss des knapp zweistündigen Abends wendet sich das Blatt noch einmal auf überraschende Weise. »The Silence« ist nun nicht mehr die Geschichte einer kaputten Kindheit, nicht die einer schlechten Mutter. Sondern die einer Frau, die zumindest sich selbst hat retten können.

Nächste Vorstellungen: 05.12., 06.12., 07.12., 10.12., 11.12., 12.12

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