- Politik
- AfD
Neuer Bericht: Rechtsextremismus ist auf dem Vormarsch
Ultrarechte finden zunehmend Anklang in der Mitte der Gesellschaft, insbesondere auf dem Land. Aktivisten fühlen sich mit ihrem Kampf alleine gelassen
Rechtsextremismus ist näher gerückt und spürbar in den Alltag vieler Menschen vorgedrungen. So lautet das besorgniserregende Fazit des ersten Jahresberichts der Mobilen Beratungen gegen Rechtsextremismus, der am Montagmorgen in Berlin vorgestellt wurde. Zwar halten demokratische Kräfte überall im Land gegen die Ultrarechten, doch ihre Arbeit ist zunehmend bedroht – von der Politik fühlen sie sich oft alleine gelassen.
»Wir empfinden die Situation jetzt als gefährlicher als in den Baseballschägerjahren«, erzählt Dorothea Schneider, Vorsitzende des Vereins »Augen auf – Zivilcourage zeigen« im sächsischen Zittau. Heutzutage könne man Rechten oftmals nicht mehr ansehen, aus welchem sie Milieu sie kämen. Das mache es schwieriger, gegen sie vorzugehen und sich vor ihnen zu schützen, so die Aktivistin.
Mit unserem wöchentlichen Newsletter nd.DieWoche schauen Sie auf die wichtigsten Themen der Woche und lesen die Highlights unserer Samstagsausgabe bereits am Freitag. Hier das kostenlose Abo holen.
Was sich schrecklich anhöre, fühle sich in Wirklichkeit auch schrecklich an, erzählt Schneider. »Inzwischen habe ich Kameras rund um mein Haus installiert«, die Aufklärungsarbeit, die sie betreibe, gehe nunmal mit Besuchen von Rechten einher. Immer wieder sagten Politiker der Aktivistin, es handele sich bei den Rechtsextremen um Ausnahmen in der Region. »Bei uns gibt es inzwischen keine Ortschaft mehr, in der es keine rechtsextremen Strukturen gibt.«
Für das Erstarken der ultrarechten Kräfte nennt das Beratungsbündnis drei Hauptfaktoren. »Die AfD ist erfolgreicher denn je«, erklärt Dominik Schumacher, Vertreter des Bundesverbandes aus Düsseldorf, »es gibt eine Erosion der Abgrenzung zu anderen Parteien.« Immer beschwerten sich Lokalpolitiker bei ihm darüber, dass sich Mitglieder anderer demokratischer Parteien mit AfD-Politikern träfen – für strategische Besprechungen oder auch mal auf ein Bier. Auch die Inhalte der Rechtsaußenpartei würden immer häufiger von Vertreter*innen demokratischer Parteien übernommen, so Schumacher.
Als zweiten Grund für die rechte Normalisierung nennt der Jahresbericht die Corona-Protestbewegung der vergangenen Jahre. Aus dieser sei ein antidemokratisches Milieu entstanden, das die Krisen verschwörungsideologisch auflade. Rechte Parteien, darunter auch die AfD, seien an vielen Orten aktiv in die Bewegung hineingegangen, um Leute zu rekrutieren und ihr Netzwerk zu erweitern, so Schumacher.
Dazu komme, dass Rechtsextreme vielerorts durch den Kauf von Immobilien weiter in die Sozialräume vorgedrungen seien. Insbesondere in Ostdeutschland sei das ein wachsendes Phänomen, so Schumacher.
Laut der Rechtsextremismusforscherin Beate Küppe bestätigen diese Ergebnisse die Befunde der großen Mittestudie der Friedrich-Ebert-Stiftung, die vor einigen Wochen vorgestellt wurden. Demnach teilen 8,3 Prozent der Bevölkerung ein geschlossen rechtsextremes Weltbild, weitere 20 Prozent bewegten sich in einem Graubereich. »Die Erkenntnisse der Mobilen Beratung spiegeln sich in einem drastischen Anstieg demokratiegefährdender Einstellungen in der breiten Bevölkerung.« Demokratiefeindliche Positionen seien zudem selbstbewusster geworden und erreichten zunehmend die Mitte der Gesellschaft, so Küpper.
Antifaschismus in Gefahr
Laut Bericht hat die demokratische Zivilgesellschaft zwar auch in diesem Jahr auf den Rechtsruck reagiert und zahlreiche Maßnahmen ergriffen, um Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus die Stirn zu bieten. »Doch die Zivilgesellschaft ist ausgebrannt, es kommt kein Nachwuchs«, beklagt der Verbandsvertreter.
Viele Menschen, die sich gegen Rechtsextremismus einsetzten, seien ermüdet und fühlten sich von der Politik im Stich gelassen. Immer wieder würden sie für ihre Arbeit bedroht und angefeindet. Das gelte vor allem für Regionen, in denen demokratische Parteien die viel beschworene »Brandmauer« zur AfD eingerissen hätten. »Wir werden angegriffen von rechts, dann fühlt es sich an, als bekämen wir von hinten noch ein Messer in den Rücken«, so Dorothea Schneider.
Sie selbst habe es oft erlebt, dass Politiker aus demokratischen Parteien Narrative der AfD einfach übernähmen. »Dann stehe ich in meinem Kampf gegen rechts ganz alleine da.« Immer wieder müsse Schneider zudem ihre Arbeit vor Förderinstitutionen, die die Beratung jährlich finanzieren, rechtfertigen. Das liege meist daran, dass ihre Organisation als zu politisch oder zu links wahrgenommen werde. »Bei uns in der Ecke ist links ein Schwimpfwort.«
Insbesondere die »Extremismusklausel«, die in vielen Förderanträgen stehe, verhindere an vielen Stellen die demokratische Arbeit. Die Klausel beruht auf der Grundannahme der häufig kritisierten Hufeisentheorie, dass linke Kräfte ein gleiches Gefährdungspotenzial hätten wie rechte. Werden Akteure als linksextrem eingestuft, können ihnen deshalb Fördermittel verwehrt werden.
Die Politik muss handeln
Gegen Ende der Pressekonferenz formulierte das Bündnis dringende Forderungen an die Politik: Bei den Landtags- und Kommunalwahlen 2024 könne die AfD weitere Gewinne einfahren, so Schumacher. »Umso wichtiger ist es, dass sich Politiker*innen jetzt an die Seite von demokratisch Engagierten stellen, sie nachhaltig unterstützen und schützen.«
Das heiße zum einen, die Ampel-Koalition müsse endlich das versprochene Demokratiefördergesetz auf den Weg bringen, damit die Mobile Beratung und andere Demokratieprojekte langfristig abgesichert seien – »und zwar ohne Extremismusklausel«. Außerdem müssten sich Politiker*innen klarer von der AfD abgrenzen und demokratische Antworten auf die Probleme unserer Zeit finden. »Die Übernahme rechtsextremer Forderungen ist kein Mittel gegen Rechtsextremismus.«
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.