Streik um faire Löhne: »So viele haben sich noch nie beteiligt«

Im Rahmen der Tarifrunde der Länder kämpfen auch Beschäftigte am Uniklinikum Leipzig für höhere Löhne

Am Donnerstag findet die dritte Verhandlungsrunde in der Tarifauseinandersetzung mit den Arbeitgebern der Länder statt. Dabei geht es um bessere Löhne und Arbeitsbedingungen. Wie sind diese bei Ihnen im Universitätsklinikum?

Die haben sich in den letzten Jahren stark verändert. Wir haben viel weniger Zeit, um neue Kollegen einzuarbeiten. Wir sind überarbeitet, kommen gestresst auf die Station und sollen dann noch jemandem erklären, wie alles funktioniert. Man muss schauen, dass keine Fehler gemacht werden. Das passiert alles neben der normalen Arbeit. Darunter leidet die Pflege, aber auch das Sozialleben. Man hat den Ausgleich nicht mehr. Es ist schwierig, Zeit zu finden für das Privatleben, für die Familie, Freunde oder auch einfach mal für sich. Man hat keine Zeit für den Partner und für die Kinder. Das ist belastend.

Die aktuelle Corona- und Grippewelle macht das bestimmt nicht leichter.

Nein, wir müssen viel einspringen, um die Versorgung zu gewährleisten. Wenn man Glück hat, bekommt man direkt in der nächsten Woche einen Ausgleichstag. Es kann aber auch sein, dass Not am Mann ist, weil gerade drei Leute gleichzeitig krank sind. Dann ist der freie Tag erst mal aufgeschoben.

Am Freitag könnte es ein Verhandlungsergebnis geben. Was würde eine Lohnerhöhung von 10,5 Prozent oder mindestens 500 Euro für Sie bedeuten?

Interview

Susen Nimmrich (32) arbeitet seit elf Jahren als Gesundheits- und Krankenpflegerin auf der Station für Hämatologie und Infektiologie am Uniklinikum in Leipzig. Wir haben mit ihr über Arbeitsbedingungen und erste Streikerfahrungen gesprochen.

Es wäre ein Schritt in die richtige Richtung seitens der Politik oder von Deutschland überhaupt. Es wäre ein Signal, dass man uns wertschätzt und uns dafür entlohnt, was wir den ganzen Tag leisten, dass wir das Getriebe am Laufen halten. Ohne die kleinen Rädchen funktioniert das große Gebilde nicht.

Und was würde es für Sie persönlich bedeuten?

Für mich geht es um die 500 Euro. Denn mit 10,5 Prozent mehr Lohn bleibe ich unter dem Betrag, obwohl ich Vollzeit arbeite. Es geht mir darum, meine Miete bezahlen zu können, und darum, das bisschen Freizeit, was ich habe, interessant zu gestalten und dafür Geld zu haben. Es ist nicht schön, sich beim Einkaufen dreimal überlegen zu müssen, was man sich leisten kann, sich fragen zu müssen, ob man in den Urlaub fahren oder welche Wünsche man sich erfüllen kann. Also, ob ich mir einen neuen Anorak für den Winter kaufen kann, weil es kalt ist.

Was benötigen Sie für ein gutes Leben?

Ich brauche auf jeden Fall einen besseren Ausgleich. Das bedeutet eine Gehaltserhöhung, aber auch die Zeitreduktion, um die wir im Anschluss an die jetzigen Verhandlungen kämpfen werden, damit wir die psychische und körperliche Belastung ausgleichen können. Um ein paar Tage zur Ruhe zu kommen, auch um die Familie zu sehen. Ich bin in Berlin aufgewachsen. Ich habe meine Familie seit dem Sommer nicht gesehen, weil ich keine Zeit dafür hatte. Das belastet mich. Aber nur mehr Zeit bringt mir nichts, wenn ich das Geld nicht habe, um sie zu gestalten. Mit den 500 Euro mehr könnte ich mir auch das Zugticket leisten, sie zu besuchen.

Sind Sie das erste Mal in einer Tarifbewegung aktiv?

Ja, bislang habe ich immer gedacht: »Es ist eine schöne Sache, wenn Verdi das für uns macht, aber es ist nichts für mich.« Und auch jetzt bin ich eher zufällig hineingeschlittert. Eine Kollegin von Verdi kam vorbei und hat uns aufgeklärt, dass es jetzt wieder in die Verhandlungen geht. Ich kam da gerade zum Spätdienst in den Raum und wusste nicht, worüber geredet wird. Meine Kollegen haben sich zu mir umgedreht und gesagt: »Mensch, hättest du nicht Lust, mitzumachen?« Ich dachte mir: Klar, warum eigentlich nicht? Ich bin dann da reingewachsen, sagen wir mal. Und ich habe angefangen, mich dafür zu begeistern. Auch weil ich das erste Mal die Erfahrung gemacht habe, dass wir zusammen Stärke aufbauen und gegenüber dem Arbeitgeber Forderungen für bessere Arbeitsbedingungen aufstellen können.

Wie nehmen Sie die Streikbewegung wahr?

So viele wie jetzt haben sich an der Uniklinik Leipzig noch nie an den Streiks beteiligt, und wir haben Unterstützung aus Kliniken in anderen Bundesländern bekommen. Nordrhein-Westfalen hat da eine wichtige Rolle gespielt, weil die schon große Streiks organisiert haben. Und innerhalb der Uniklinik hier gibt es eine solidarische Zusammenarbeit. Wir haben gemerkt, wie wichtig es ist, sich berufsgruppenübergreifend miteinander zu unterhalten. Wir arbeiten alle zusammen, aber haben uns oft noch nie kennengelernt. Das ist jetzt passiert. Ich habe zum Beispiel mit den Kolleginnen aus der Apotheke gesprochen, die auch dafür sorgen, dass meine Patienten ihre Chemotherapie oben bekommen. Sie haben mir erzählt, wie die Bedingungen bei ihnen sind, was sie leisten müssen und was ihre Probleme sind.

Und wie reagieren die Patienten?

Die unterstützen uns. Wir haben ihnen erklärt, wieso es zu Streiks kommt und dass es auch ein bisschen chaotisch werden könnte. Sie verstehen, warum wir das machen. Sie sehen, was wir an Arbeit leisten, und sagen: »Mensch, ihr seid ständig für uns da. Es ist traurig, wie wenig ihr verdient für die Arbeit, die ihr leistet.«

Das motiviert vermutlich noch mal extra

Ja, das motiviert auf jeden Fall. Was weniger motiviert, ist, wenn unser Vorstand behauptet, wir würden mit dem Streik unsere Patienten gefährden. Die liegen uns sehr am Herzen. Damit die Klinik die Chance hat, sich vorzubereiten, haben wir bewusst mehr als eine Woche vorher angekündigt, dass wir streiken wollen und in welchem Ausmaß. Und wenn man dann liest, wir seien schuld, dass die Patienten nicht versorgt werden können … Das ist sehr frustrierend. Wir haben von Anfang an dafür gekämpft, die Notversorgung für die Patienten sicherzustellen.

Hat die Betriebsleitung versucht, den Streik zu behindern?

Ja, wir haben uns früh um eine Notdienstvereinbarung bemüht. Aber die Leitung hat nicht darauf reagiert. Dadurch gab es beim ersten Streiktag noch keine gute Vereinbarung. Auch weil die Leitung utopische Forderungen aufgestellt hat. Sie wollte für den Notdienstplan mehr Personal als an normalen Tagen. Zudem hat die Leitung zum Streiktag kaum Betten gesperrt. Dadurch konnten die Kollegen nicht streiken. Also es wäre rechtlich möglich gewesen, aber das will man als Pflegerin nicht.

Und wie haben die Beschäftigten darauf reagiert?

Wir haben uns dagegen gewehrt – und es hat geklappt. Jetzt sind auch Betten- und Stationsschließungen möglich, wenn die Streikbereitschaft da ist. Und in manchen Bereichen funktioniert es selbstorganisiert, wenn die Pflege- und Ärzteteams zusammenarbeiten und sagen: »Wir wollen das ermöglichen, indem wir Betten abbestellen.« Ich wünsche mir, dass das öfter passiert. Mit der jetzigen Bewegung haben eine gute Basis geschaffen, auf die wir in Zukunft aufbauen können.

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