Sächsische Integrationsprojekte fürchten »Maulkorb«

Landesrechnungshof kritisiert politische Positionierung von Vereinen. Vernichtende Kritik am Ministerium von SPD-Spitzenkandidatin

  • Hendrik Lasch
  • Lesedauer: 4 Min.

Sächsische Vereine und Initiativen, die seit 2015 Fördermittel des Landes für die Integration von Geflüchteten erhalten haben, müssen diese womöglich teilweise zurückzahlen. Das fordert der Sächsische Rechnungshof (SRH) nach einer Prüfung des vom Sozialministerium verantworteten Bereiches, bei der zahlreiche Missstände und Verstöße festgestellt wurden. In einem Sonderbericht der Kassenprüfer, der jetzt vorgelegt wurde, heißt es: »Bei Projekten, die unzulässig gefördert wurden, ist eine Rückforderung zu prüfen und gegebenenfalls einzuleiten«. Konkrete Aussagen zur Zahl betroffener Projekte und der Höhe etwaiger Rückzahlungen gibt es nicht.

Der Bericht stellt der Förderpolitik des Ministeriums, das von der SPD-Politikerin Petra Köpping geführt wird, ein verheerendes Zeugnis aus. Man habe ein »in außergewöhnlichem Maße rechtswidriges Verwaltungshandeln« festgestellt, sagte Gerold Böhmer, der zuständige SRH-Direktor. Moniert wird etwa eine schlechte Aktenführung und die unzureichende Prüfung der Wirtschaftlichkeit und Wirksamkeit geförderter Projekte. Die Gelder seien »fachlich weitgehend ungesteuert« vergeben worden; Entscheidungen zugunsten oder zum Nachteil einzelner Antragsteller seien »stark intransparent« getroffen worden.

SRH-Präsident Jens Michel bezeichnete die Integration von Flüchtlingen als aktuell »eine der wichtigsten gesellschaftspolitischen und staatlichen Maßnahmen«. Er verwies darauf, dass Sachsen so viel Geld für entsprechende Projekte ausgibt wie kein anderes Bundesland. Von 2017 bis 2022 sei die Fördersumme von 9,5 auf 15 Millionen Euro erhöht worden. Trotz der immensen Herausforderungen müsse kontrolliert werden, wofür das Geld ausgegeben werde: »Es gibt keine prüfungsfreien Räume.« Der konkrete Prüfvorgang dauerte nach seinen Angaben vier Jahre. Erste Details aus dem brisanten Bericht wurden vor einigen Wochen just zu einem Zeitpunkt publik, als Köpping als Spitzenkandidatin der SPD für die Landtagswahl 2024 präsentiert werden sollte. Es gab Spekulationen, wonach es sich um ein politisches Störmanöver handle. Michel, ein ehemaliger CDU-Landtagsabgeordneter, betonte jetzt indes, der Beschluss zur Prüfung sei bereits unter seinem Vorgänger gefasst worden. Dass der noch interne Bericht an Medienvertreter gelangt sei, nannte er »eine ungewöhnliche und unschöne Sache«.

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Die jetzt vorliegende offizielle Fassung des Berichts verstärkt den Druck auf Köpping. Diese hatte im Landtag bereits eingeräumt, man habe »das Richtige getan, aber wir haben es nicht immer richtig getan«. Zudem hatte sie sich von ihrem Staatssekretär getrennt. Aktuell verweist das Ministerium auf eine im November vom Kabinett beschlossene überarbeitete Förderrichtlinie, die Forderungen des Rechnungshofes aufgreife. So würden Entscheidungen über Förderanträge nun ausschließlich von der Sächsischen Aufbaubank (SAB) getroffen. Das begrüßte SRH-Präsident Michel, der die Richtlinie aber ansonsten allenfalls als »Schritt in die richtige Richtung« sieht; weitere Kritikpunkte seien nicht ausgeräumt. Dagegen fordert ein aktueller, von 55 Vereinen und Initiativen unterzeichneter offener Brief, die Entscheidung über Förderanträge statt in der Bank in einem »fachlich geeigneten Ministerium« zu bündeln, in dem »demokratisch legitimierte und fachliche Kontrolle« möglich sei. Verwiesen wird auf das Beispiel anderer Bundesländer. In dem Brief werden eine erfolgreiche Bilanz der Integrationsarbeit in Sachsen gezogen und ein »deutliches Bekenntnis und ein deutlicher Ausbau der bisherigen Förderprogramme« gefordert.

Für die Vereine und Initiativen haben die Prüfung des Rechnungshofes und die an dessen Maßgaben angepasste Förderrichtlinie gravierende Folgen. Schließlich gehört zu den schwerwiegendsten Kritikpunkten der Kassenprüfer ein von diesen als einseitig empfundenes politisches Engagement. Es gebe bei einem Teil der Fördergeldempfänger eine »unzureichende Trennung« von politischen Aktivitäten und Projektarbeit. Diese hätten sich etwa zu Asyl- und Migrationspolitik, Rechtsextremismus und -populismus, den Corona-Protesten oder zur Arbeit von Verfassungsschutz und Polizei geäußert. Dabei würden aber teilweise »nur bestimmte Positionen vertreten und unterstützt«. Auch habe man sich »direkt oder indirekt in der Öffentlichkeit gegen einzelne Parteien und politische Strömungen« positioniert. Es könne daher »nicht davon ausgegangen werden, dass die Zuwendungsempfänger überwiegend politisch neutral handeln oder eingestellt sind«, heißt es in dem Sonderbericht, in dem zugleich darauf hingewiesen wird, dass »staatliche Förderung die (partei-)politische Neutralität nicht verlassen« dürfe.

Die neuen Richtlinie des Sozialministeriums kommt dieser Forderung bereits nach. Zuwendungsempfänger seien »im Hinblick auf die geförderten Maßnahmen zu parteipolitischer Neutralität verpflichtet«, heißt es. Genaueres soll laut einem Bericht der Chemnitzer »Freien Presse« in einem »Leitfaden« geregelt werden. Zwar versichert das Ministerium laut dem Bericht, es gehe nicht um eine neue »Extremismusklausel«. Bei sächsischen Vereinen ist indes bereits von einem »Maulkorb« die Rede. Die Linksabgeordnete Jule Nagel kritisierte, das Ministerium begegne Projektträgern »mit Misstrauen«. Etwaige Hoffnungen, damit diejenigen zu beruhigen, »denen die ganze Richtung nicht passt«, seien aber trügerisch. Wie zum Beleg geißelte die AfD-Fraktion im Landtag eine angebliche »Vetternwirtschaft zugunsten der Asylindustrie«. Der Forderung des Rechnungshofes, wonach Vereine Fördergelder zurückzahlen sollten, schließe man sich ausdrücklich an.

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