Kriegsdienstverweigerer: Niemand muss töten müssen

Aktion am Brandenburger Tor erinnert an die Rechte von Kriegsdienstverweigerern

  • Daniel Säwert
  • Lesedauer: 4 Min.
Mit einer Performance machten Aktivisten auf die Strafen für Kriegsdienstverweigerer in Russland, der Ukraine und Belarus aufmerksam.
Mit einer Performance machten Aktivisten auf die Strafen für Kriegsdienstverweigerer in Russland, der Ukraine und Belarus aufmerksam.

Sonnabendmittag am Brandenburger Tor. Drei Soldaten – ein russischer, ein ukrainischer und ein belarussischer – entledigen sich ihrer Uniformen und werden dafür in Handschellen gelegt. Mit der Aktion verdeutlichen Aktivisten, was Kriegsdienstverweigerern und Deserteuren in den drei Staaten droht.

Zum Tag der Menschenrechte haben 80 Aktivisten in der Hauptstadt im Rahmen einer bundesweiten Aktionswoche an das Schicksal von Menschen erinnert, die nicht im Ukraine-Krieg kämpfen wollen. Bereits zu Beginn der Aktionswoche hatte sich der Friedensbeauftragte des Rates der Evangelischen Kirche, Friedrich Kramer, für Asyl für Kriegsdienstverweigerer und Deserteure aus Russland, Belarus und der Ukraine eingesetzt und daran erinnert, dass Kriegsdienstverweigerung ein Menschenrecht ist. Eines, dass insbesondere im Krieg gilt, betonte Christine Hoffmann, Generalsekretärin der internationalen katholischen Friedensbewegung pax christi, in Berlin.

Teller und Rand – der Podcast zu internationaler Politik

Teller und Rand ist der nd.Podcast zu internationaler Politik. Andreas Krämer und Rob Wessel servieren jeden Monat aktuelle politische Ereignisse aus der ganzen Welt und tischen dabei auf, was sich abseits der medialen Aufmerksamkeit abspielt. Links, kritisch, antikolonialistisch.

In Belarus droht Deserteuren die Todesstrafe

Russland und Belarus gehen immer rigider gegen Männer vor, die sich nicht an Moskaus Invasion der Ukraine beteiligen wollen. Wer sich in Russland unerlaubt von seiner Einheit entfernt, kann bis zu sieben Jahre ins Gefängnis gehen, sagte Artjom Klyga von der russischen Bewegung der Kriegsdienstverweigerer. In Belarus, das offiziell kein Kriegsteilnehmer ist, verfolgt das Regime Soldaten, die aus Angst desertiert sind und droht ihnen gar mit der Todesstrafe wegen Hochverrats. Allein 2022 wurden über 400 Verfahren gegen Deserteure eingeleitet. 5000 Männer sind in Belarus zur Fahndung ausgeschrieben, weil sie sich dem Militärdienst entzogen haben, gab Olga Karatsch von der Organisation Unser Haus (Nasch dom) einen Einblick in das verschlossene Land.

Allein aus Belarus seien seit Kriegsbeginn 20 000 Männer geflohen, aus Russland mehr als 250 000, ordnete Rudi Friedrich vom Verein Connection das Problem ein. Der Offenbacher Verein setzt sich seit Jahrzehnten für die Rechte von Kriegsdienstverweigerern ein.

Kaum Schutz in Deutschland

In Deutschland erhalten nur die wenigsten von ihnen Schutz. Da sich Belarus offiziell nicht im Krieg befindet, sehen deutsche Behörden keinen Grund, Kriegsdienstverweigerern aus dem Land zu helfen. Von den 3500 Russen, die zwischen Februar 2022 und September 2023 einen Antrag auf Asyl stellten, haben lediglich 90 einen positiven Bescheid bekommen. Das sei eine »grotesk niedrige« Zahl, kommentierte die Linke-Politikerin Clara Bünger die Asylverweigerung der Bundesregierung.

Aber auch Menschen aus der Ukraine sind nur bedingt sicher, mahnt Friedrich am Brandenburger Tor. Junge Ukrainer im »wehrfähigen Alter«, die nach Deutschland geflohen sind, haben hierzulande nur bis März 2025 Schutz – dann droht auch ihnen die Abschiebung in den Krieg, so Friedrich.

Ukraine will ausgereiste Männer zurück

Im September hatte die ukrainische Regierung bereits den ersten Vorstoß gewagt, Männer aus Europa zurückzuholen. Für ein solches Vorgehen fehle der Ukraine jedoch die rechtliche Grundlage, ordnet Friedrich den Vorstoß ein. Vielmehr habe Kiew damit Druck auf die Männer und auch auf die europäischen Regierungen ausüben wollen, damit die Betroffenen keinen humanitären Aufenthalt mehr bekommen, so Friedrich.

Vergangene Woche hatte der Ex-Soldat und aktuelle CDU-Bundestagsabgeordnete Roderich Kiesewetter gegenüber der »Welt« von 600 000 wehrfähigen ukrainischen Männern in Europa gesprochen, die ihrem Heimatland an der Front oder im Hinterland helfen können. Allein 200 000 davon, so Kiesewetter, seien in Deutschland, 20 Divisionen, wie der ehemalige Oberst die Männer sogleich der militärischen Logik unterordnete. Friedrich hält die Zahl für zu hoch, spricht selbst von 300 000 Männern in der EU.

EU ignoriert Petition

Kiesewetter scheint jemand zu sein, der meint, den Krieg auch auf diese Weise führen zu müssen, kommentiert Friedrich gegenüber »nd« die Aussage des Politikers. Dabei übersehe er völlig, dass einen guten Grund gibt, weshalb die Menschen flüchten. Schließlich seien viele darunter, die fürchten müssen, für viele Jahre in Haft gehen zu müssen oder gegen ihren Willen an die Front geschickt werden. »Das verstößt gegen die Menschenrechtslage und ist insofern abzulehnen«, sagt Friedrich.

Im Mai hatten Friedrich und seine Mitstreiter*innen 50 000 Pro-Asyl-Unterschriften an die Europäische Union übergeben. Als Antwort erhielt er einen Brief, in dem die EU versprach, alles nach Recht und Ordnung zu machen. »Nun wissen wir, dass Recht und Ordnung das ist, was wir gerade haben. Kriegsdienstverweigerer und Deserteure werden in den meisten EU-Ländern grundsätzlich im Asylverfahren abgelehnt«, sagt Friedrich. Die Antwort sei »nichtssagend« und »ein bisschen ignorant« gegenüber den 50 000 Unterzeichnern. Für das kommende Frühjahr plant Friedrich neue Aktionen. »Wir müssen dranbleiben«, sagt er.

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.