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Frankreichs Rechte enthemmt und brutal
Als Reaktion auf Gewaltexzesse löst der Innenminister extremistische Organisationen auf
In der rechtsextremen Szene in Frankreich vollziehen sich Veränderungen, von denen die Öffentlichkeit meist nur etwas erfährt, wenn es wieder Tote und Schwerverletzte gegeben hat. Die jüngste Serie gewalttätiger Zwischenfälle begann Mitte November und mündete in der vergangenen Woche in einem auf Vorschlag von Innenminister Gérald Darmanin erlassenen Regierungsdekret, mit dem die ultrarechte Division Martel aufgelöst wurde. Zwei weitere Organisationen sollen folgen, doch ihre Namen wurden noch nicht bekanntgegeben.
»Diese Gruppierung schürte Gewalt und Rassenhass. Für sie ist kein Platz in unserer Republik«, heißt es in der Begründung des Entscheids. Ob sich durch die Auflösung der Gruppierungen etwas ändert, darf bezweifelt werden. Ähnliche Verbote haben in der Vergangenheit immer nur dazu geführt, dass es recht bald zu einer Neugründung unter anderem Namen kam.
Auf das Konto der rechtsextremen Organisation gehen Gewaltakte gegen Antifa-Gruppen und gegen muslimische Persönlichkeiten sowie Demonstrationen von nationalistischem Chauvinismus und Fremdenhass, wobei nicht selten unliebsame Ausländer oder Franzosen ausländischer Herkunft als Kriminelle diffamiert wurden. Das Verbotsdekret analysiert: »Diese Ideologie (der Gruppe), die eine ständige gewalttätige Konfrontation suchte, mündete nicht selten in Strafoperationen gegen solche Personen.« Division Martel entstand 2022, als auf Beschluss der Regierung drei andere ultrarechte Organisationen – Zouaves Paris, Génération identitaire und Alvarium – aufgelöst wurden.
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Fürst Charles Martel, nach dem die Nachfolgeorganisation benannt wurde, ist eine in rechtsextremen und nationalistischen Kreisen besonders beliebte Leitfigur, weil er 732 in der Schlacht von Poitiers die aus Spanien ins Frankenreich vorrückenden arabischen Truppen vernichtend geschlagen und aus dem Land vertrieben hat. Den Anstoß für das Verbot gaben die gewalttätigen Vorfälle Mitte und Ende November in den Alpen-Ortschaften Crépol und Romans-sur-Isère. Zunächst hatte es am Rande eines Doffestes einen bandenmäßigen Überfall von Jugendlichen aus Romans auf Gleichaltrige im nahen Crépol gegeben. Dabei wurden 16 junge Männer durch Messerstiche verletzt, ein 16-Jährigr starb auf dem Weg ins Krankenhaus. Als Reaktion gab es eine Woche später eine »Strafexpedition« von etwa 80 ultrarechten Schlägern, die mit Baseballschlägern und Eisenstangen bewaffnet aus der Pariser Region angefahren waren. Ihr Ziel war das Sozialwohnviertel Monnaie-Viertel in Romans-sur-Isère, wo einige der Teilnehmer des Überfalls auf Crépol leben.
Die von weither angereisten ultrarechten Schläger hatten nichts mit dem Nachbarschaftskonflikt der Jugendlichen von Crépol und Romans zu tun. Sie kamen, weil es sich bei einigen der Jugendlichen aus dem Monnaie-Viertel um junge Franzosen ausländischer Herkunft und mit arabischen Vornamen handelt. Die ultrarechten Demonstranten riefen: »Gerechtigkeit für Thomas! Die Straße gehört uns! Frankreich gehört uns!«
Solche rassistischen Gewaltdemonstrationen greifen immer mehr um sich. So terrorisieren in Lyon rechtsextreme Banden seit Monaten ganze Stadtviertel und machen Jagd auf Linke und Ausländer. Unter der Losung »Haltet euch bereit für den Krieg, er ist die einzige Lösung!« wollen sie bürgerkriegsähnliche Auseinandersetzungen provozieren.
Wenn bei Zusammenstößen von Jugendlichen auch Losungen gegen Frankreich und gegen »die Weißen« gerufen werden, ist das den Ultrarechten nur recht und Wasser auf ihre Mühlen. »Die Strategie dieser Gruppierungen besteht darin, jeden noch so kleinen Kriminalfall aufzugreifen und dafür zu instrumentalisieren, das Bild einer gegen die Franzosen verschworenen Welt zu zeichnen und für den bewaffneten Widerstand dagegen zu mobilisieren«, erklärt der auf die französische Ultrarechte spezialisierte Politikwissenschaftler Emmanuel Casajus.
Etliche rechtsextreme Gruppierungen haben eine neonazistische Ausrichtung und pflegen eifrig das Andenken an den Nationalsozialismus. Dieser Geschichtsrevisionismus in Verbindung mit offenem Rassismus und dem Schüren von Gewalt sind sogar Marine Le Pen peinlich, die einige der Führer kennt. Sie gehörten früher, zu den Zeiten des Parteigründers Jean-Marie Le Pen, zur Front National und dann zum Rassemblement National, traten aber später aus, weil ihnen der Kurs unter der Le Pen-Tochter »zu zahm« war. Diese bemüht sich um möglichst viel Distanz zu diesen Gruppen, weil deren radikaler und gewaltbereiter Kurs ihre eigene Strategie der »Normalisierung« und das Image der »Regierungsfähigkeit« ihrer Bewegung zunichte machen und ihre Erfolgsaussichten bei der Präsidentschaftswahl 2027 trüben.
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