Serie über Michael Schumacher: Sympathieträger und Bleifußvorbild

Sieben WM-Titel und ein Leben auf dem Boden der Realität rechtfertigen das Serienporträt »Being Michael Schumacher«

  • Jan Freitag
  • Lesedauer: 4 Min.
Michael Schumacher, der rasende Heilige
Michael Schumacher, der rasende Heilige

Von Toten soll man bekanntlich nicht schlecht reden. Besonders, wenn sie noch am Leben sind. Michael Schumacher zum Beispiel existiert seit ziemlich genau zehn Jahren in der medialen Grauzone zwischen Sein und Nichtsein. Schließlich ist der Megastar am 29. Dezember beim Skifahren so schwer gestürzt, dass er zwar aus dem Blitzlichtgewitter verschwand, aber dennoch Dauerthema der Lügenbarone vom Boulevard blieb.

Es ist ein seltsamer Schwebezustand, den die Doku »Being Michael Schumacher« ab Donnerstag in der ARD-Mediathek erdet. Wie beim ähnlich lautenden Porträt Jan Ullrichs vom Frühjahr begibt sich Andreas Troll fünf Folgen auf die Spur eines globalen Sympathieträgers, dessen Karriere anders endete als erhofft. Im Gegensatz zum Dopingsünder »Ulle« aber findet der Autor an »Schumi«, wie ihn von Kerpen über Maranello bis in die Welt des Milliardenzirkus Formel 1 alle nennen, praktisch kein schlechtes Haar.

Warum auch! Wenn Troll dem Sohn eines Kerpener Kaminmaurers folgt, ertastet er nämlich einen Mann von verblüffender Bodenständigkeit. Denn buchstäblich groß geworden auf Papas linksrheinischer Kartbahn, hat sich der große Schumacher das Wertegerüst des kleinen Micha bewahrt. Die Kiesgrube bei Köln, erzählt »Faz«-Sportressortleiter Anno Hecker, während Andreas Troll zauberhafte Archivbilder davon in Reihe schaltet, »war und ist trotz der vielen Millionen, dieses gewaltigen Erfolges« immer seine Heimat.

Sieben WM-Pokale daheim, die Herkunft im Herzen, so schildern Weggefährten aller Art den Werdegang einer Legende durch die Institutionen seiner Passion. Und bei einer testosterongesättigten Betätigung wie dieser sind es abgesehen von PR-Managerin Sabine Kehm naturgemäß graue Männer wie Mercedes-Teamchef Norbert Haug oder Kartbahn-Chef Gerd Noack und Rennfahrer wie Jochen Maas oder David Coulthard, die ihrem Idol huldigen. Ab und zu darf Sabine Christiansen in den »Tagesthemen« zwar Erfolge verlesen.

Die Deutungshoheit aber haben weißhaarige Typen wie »Bild«-Reporter Helmut Uhl, der sich spürbar erregt in Schumachers Licht sonnt und dabei zum Ausdruck bringt, wie der Sportjournalismus seinerzeit jede Distanz zum Berichtsgegenstand verlor. Von »Michas« sportlicher Grundlage am Tagebaurand über Schumachers Wohnstube im belgischen Spa bis Schumis Karriereende kommentieren sie auch ein Sittengemälde der alten BRD zwischen Wiedervereinigung und Aufmerksamkeitsindustrie.

Dabei sehen wir die Titelfigur somit als fabelhaften Rennfahrer und wundervollen Familienvater, humorvollen Profi und sensiblen Normalo, empathischen Millionär und verbissenen Fitnessguru, seltener als übereifrigen ambitionierten Rüpel und Testimonial für Tabakprodukte. Aber was er in dieser öffentlich-rechtlichen, staatsvertraglich gemeinwohlorientierten Sendung keine der 9000 Sekunden lang ist: eine Umweltsau. Schon in Folge 2 der dreistündigen Eloge kommt zwar »Schummel-Schumi« zur Sprache, dem Siege über Regeln und Redlichkeit gingen.

Aber dass er die Erdatmosphäre im Alleingang mit Abgasen halber Großstädte verpestet und dem Klima dadurch mehr geschadet hat als alle CSU-Verkehrsminister, dass er Abermillionen Asphaltcowboys die Bleifüße durchdrücken half und auf dem Umweg seiner beruflichen Vorbildfunktion indirekt zahllose Verkehrstote mit zu verantworten hat: über solche Schattenseiten des Motorsports verliert Andreas Troll ebenso wenig ein Wort wie zur Steuerflucht in die Schweiz. Dafür fuhr Schumacher bis zum Skiunfall mehrheitlich über Asphaltschleifen demokratischer Staaten.

Seine Nachfolger dagegen drehen sie zusehends in Diktaturen und machen das turbokapitalistische Spiel fossiler Schwanzvergleiche nicht nur ökologisch, sondern politisch verwerflich. Von alldem hören wir leider nichts in »Being Michael Schumacher«. Das gebietet offenbar der Respekt vorm Verletzungsopfer in Rekonvaleszenz. Ein Medienmultiplikator, der sich (auch wenn Journalismus-Karikaturen im Regenbogenblätterwald von Bauer- bis Jahreszeiten-Verlag unverdrossen das Gegenteil herbeifaseln) seither nicht mehr öffentlich zu irgendwas geäußert hat.

Umso interessanter ist es, ähnlich berühmten Sportstars wie Dirk Nowitzki, Franziska van Almsick, Fernando Alonso und Bastian Schweinsteiger zuzuhören, die ihrem Idol Tribut zollen. Das nämlich hat vieles von dem, was sich die Sportwelt noch sehnlicher wünscht als das Abdanken von Gianni Infantino und Thomas Bach: Werte, Haltung, die Fähigkeit, von den Frauen seiner Mechaniker die Geburtstage zu kennen. Hätte er einen weniger toxischen Beruf ausgeübt, man könnte Michael Schumacher nach Ansicht dieser Doku auch ohne Benzin im Blut glatt lieben.

Ab 14. Dezember verfügbar in der ARD-Mediathek.

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