Werbung

Cannabisgesetz: »Von Unwissenschaftlichkeit geprägte Politik«

Der Vorsitzende des Dachverbands der deutschen Cannabis Social Clubs über die Ampel-Versäumnisse beim Cannabis-Gesetz

  • Interview: Martin Höfig
  • Lesedauer: 6 Min.

Die Abstimmung im Bundestag zum geplanten Cannabis-Gesetz ist nun doch wieder auf nächstes Jahr verschoben verschoben worden. Wenn diese dann tatsächlich stattfindet, könnte es noch Monate dauern, bis das Gesetz in Kraft tritt. Wie beurteilen Sie das Gesetz, so wie es zurzeit diskutiert wird?

Wir würden damit zugleich die liberalste Cannabis-Regelung Europas und die prohibitionistischste Legalisierung der Welt bekommen. Im Grunde genommen ist es eine Prohibition 2.0. Dennoch haben wir so gute Chancen, dass es im nächsten Jahr etwa 180 000 Strafverfahren weniger gibt und das kann ich nicht anders als einen Fortschritt nennen.

Was kritisieren Sie konkret an dem Gesetzentwurf?

Interview

Steffen Geyer ist Vorsitzender des Dachverbands der Cannabis Social Clubs Deutschland, einer der Direktoren des Hanfmuseums in Berlin und Drogenpolitiker mit SPD-Parteiausweis. Außerdem engagiert er sich im Grüne-Hilfe-Netzwerk.

Ich würde mir ein ganz anderes Gesetz wünschen. Der Dachverband der Social Clubs hat ja auch ein alternatives Gesetz entwickelt. Man könnte zum Beispiel den Tenor des Gesetzes komplett ändern, wenn man den Mut hätte, im Paragraf 2 nicht zu schreiben, »es ist verboten, Cannabis zu besitzen«, sondern »es ist genehmigungspflichtig«. Damit würde man den natürlichen Zustand von Cannabis in das Erlaubte hineinholen, was die Lesart von Gerichten und Polizei stark beeinflussen würde. So wie es jetzt ist, kann immer noch jeder Polizist ermitteln und jede Staatsanwaltschaft ein Verfahren einleiten.

Wenn ich ein Gesetz schreiben müsste oder könnte, wäre das deutlich kürzer. Ich würde Cannabis einfach im Jugendschutz bei Tabak und Alkohol ergänzen. Cannabis ist keine risikoreiche Pflanze und auch die daraus hergestellten Genussmittel sind nicht risikoreich. Es gibt keinen rationalen Grund, Cannabis härter zu regulieren als Tabak oder Wein.

Das Gesetz soll nach der letzten Fassung weniger streng ausfallen als zunächst geplant, beispielsweise soll nun der Besitz von 50 statt 25 Gramm selbstangebautem Cannabis erlaubt werden. Wie bewerten Sie diese Lockerung?

Was die Legalisierungsbewegung haben wollte, steht nicht im Gesetz. Was wir bekommen, ist die kleinstmögliche Änderung, die sich noch als Liberalisierung verkaufen lässt. Im Prinzip hat die Regierung damit, dass der Entwurf des Cannabis-Gesetzes nun etwas weniger restriktiv ausfiel als zuletzt angekündigt, nur Sachen vorweggenommen, die Gerichte sowieso korrigiert hätten. Die Bußgelder sind weiterhin hoch. Es kann also durchaus passieren, dass man zum Beispiel 10 000 Euro zahlen muss, wenn man 26 Gramm dabei hat. Diese Gefahr sehe ich vor allem in Bayern.

Das Konsumverbot in der Nähe von Schulen oder ähnlichen Einrichtungen soll für einen Abstand von 100 Meter Entfernung gelten, geplant waren 200 Meter ...

Das gibt es für kein anderes Genussmittel. Je nachdem, welcher Quelle man glaubt, steht da »100 Meter« oder »in Sichtweite«. Beides ändert nichts daran, dass ich letztlich nicht weiß, ob ich mich gerade rechtssicher verhalte. Im Gesundheitsausschuss wurde auch kritisiert, dass das in der Praxis für die Konsument*innen und die Verfolgungsbehörden schwer zu kontrollieren und durchzusetzen ist. Es geht ja um Platzverweise und erhebliche Ordnungsgelder.

Es sagt keiner etwas, wenn Lehrer mit ihrem Motorrad zur Schule kommen. Durch Motorradfahren gibt es jedes Jahr 30 000 Verunglückte mit 500 Toten. Aber niemand kommt auf die Idee, Kinder vom Anblick von Motorrädern fernzuhalten, um sie nicht zu gefährden oder zu verführen. An dieser Stelle zeigt das Gesetz, dass es nicht um Gesundheitsschutz geht, sondern darum, die Moralvorstellung zu erhalten, dass Cannabis-Konsum riskant sei und aus dem öffentlichen Raum verdrängt sein muss.

Ist die Kritik an der Teillegalisierung zum Beispiel der Ärzteverbände, die sich im Gegensatz zu den Legalisierungsbefürworter*innen bei Gesundheitsminister Lauterbach (SPD) die Klinke in die Hand geben, dann politisch motiviert?

Jeder, der an den Ausschüssen zum Gesetzentwurf beteiligt ist, hat eine politische Motivation. Wer das Gegenteil behauptet, lügt. Dahinter stehen finanzielle Interessenkonflikte. Wir sind da einfach nicht ehrlich, das ist ein Politikbereich, der von Unehrlichkeit und auch Unwissenschaftlichkeit geprägt ist. Ich unterstelle da keine böse Absicht, das Problem sind die verzerrten Stichproben. Kinderärzte, die Cannabis ablehnen, sind wie Feuerwehrleute, die Häuser ablehnen, weil sie sie so oft brennen sehen. Die gehen halt davon aus, dass alle Cannabiskonsument*innen solche Probleme haben wie die paar, die wegen psychischer Probleme oder so in deren Praxen kommen. Jedes Rauschmittel kann eine toxische Psychose auslösen und ein Prozent der Bevölkerung hat eine genetische Disposition für Psychosen – und dieses eine Prozent haben wir in Ländern mit genauso wie in denen ohne Cannabis-Legalisierung. Es kann also nicht sein, dass es da eine kausale Beziehung gibt. Das ist ein Mythos, dicht gefolgt von dem der Einstiegsdroge und dem sogenannten Amotivationssyndrom. Da wird halt immer eine neue Sau durchs Dorf getrieben.

Dass es gesundheitliche Risiken auch beim Cannabis-Konsum gibt, können Sie aber doch nicht komplett leugnen?

Natürlich hat jede Substanz Risiken. Auch wer Gummibärchen isst, lebt nicht risikofrei. Die Frage ist, ob wir diese Risiken durch ein Verbot dezimieren. Alles, was ein Zentralnervensystem hat, sucht den Rausch, wir sind da sozusagen Opfer unserer Biochemie. Es gibt ein Bedürfnis danach und das bekommen wir nicht weg, wenn wir die Substanz verbieten.

Würden Sie so auch für andere Drogen argumentieren?

Nahezu jedes Argument, das man für die Legalisierung von Cannabis finden kann, gilt auch für alle anderen Substanzen. Es gibt keine einzige Substanz, die ungefährlicher wird durch die Art, wie wir es jetzt handhaben. Deshalb wäre es auch falsch, als Reaktion auf die Risiken von Alkohol und Tabak zu sagen, dann verbieten wir die beiden Substanzen auch einfach. Insofern muss man den Mut haben, offen darüber nachzudenken, wie wir das als Gesellschaft gut regeln können. Es gibt für jede Droge einen vernünftigeren Abgabeweg als das Totalverbot. Wir verschwenden im Moment als Gesellschaft einfach wahnsinnig viel Potenzial, um kreativer, produktiver, erholter und sozial verträglicher zu leben.

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken von Socken mit Haltung und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.