Bürgerrechtler Carlo Jordan: Ein wunderbarer Mensch

Erinnerungen an den Mitbegründer der Ostberliner Umweltbibliothek

  • Karsten Krampitz
  • Lesedauer: 4 Min.
Carlo Jordan im Berliner Stasi-Museum auf dem Platz von Erich Mielke
Carlo Jordan im Berliner Stasi-Museum auf dem Platz von Erich Mielke

Ein Nachbar bekam seinetwegen vor einiger Zeit mehrere Anrufe und E-Mails von Leuten, die sich auf liebevolle Weise empört zeigten. Was war geschehen? Der Mann, der im Haus schräg gegenüber wohnt, hatte gegen das »Kalorienembargo« verstoßen, das sie gegen ihren Freund verhängt hatten. »Du kannst für ihn nicht einfach einkaufen gehen«, hieß es, »auch wenn er dich bittet«.

Carlo Jordan war krank, sehr krank. Herz und Lunge hatten gestreikt, aber es war noch mal gut gegangen. Nach etlichen Krankenhauswochen war er endlich wieder daheim in der Fehrbelliner Straße 7 in Berlin. Eine historische Adresse: Es war das erste besetzte Haus in der Hauptstadt der DDR, und zwar 1981!

Seine Freunde hatten einen Plan aufgestellt, wer wann für ihn sorgte. Auf eine strenge Diät hatten sie den Einundsiebzigjährigen gesetzt, sodass er wenigstens ein paar Kilo abnehmen sollte. Die späte Wampe hatte ihn fast das Leben gekostet. Fortan also nur noch gesunde Lebensmittel, am besten Bio. – Und dann das! Blutwurst, Lyoner, eine Dose Frühstücksfleisch, Schokolade usw. Zwei volle Tragetaschen! Und von den »Lebensmittelsanktionen gegen Carlo« wollte der Mann nichts gewusst haben.

Carlo Jordan war ein wunderbarer Mensch. Kennengelernt hat der Autor ihn vor über dreißig Jahren bei einer Sitzblockade vor der Gedenkstätte Ravensbrück. Tengelmann wollte damals auf dem alten Appellplatz des Konzentrationslagers einen Supermarkt bauen. Die Einheimischen waren sehr wütend auf uns, es kam zu Übergriffen, Dunkeldeutschland eben. Doch am Ende lenkte der Konzern ein. Carlo Jordan war ein guter Organisator. Wenn er sprach, in seiner ruhigen und warmherzigen Art, hörte man ihm zu. In jenem Jahr war er für Bündnis 90/Grüne Mitglied im Berliner Abgeordnetenhaus, aber nur als Nachrücker. Er hat später noch ein paarmal kandidiert, auch zu den Europawahlen, bekam aber nie einen aussichtsreichen Listenplatz. Den anderen Bürgerbewegten ging es ähnlich. Bis auf Werner Schulz bei den Grünen und Marion Seelig bei der PDS beziehungsweise Linkspartei hat sich kein DDR-Oppositioneller in der bezahlten Politik halten können. (Joachim Gauck war nie Opposition.)

In den Handbüchern zur DDR-Geschichte ist zu lesen, dass Carlo Jordan ein »Urgestein« der ökologisch-pazifistischen Opposition war, eine der prägenden Persönlichkeiten der Friedlichen Revolution: Mitbegründer der Umweltbibliothek in der Ostberliner Zionskirche und später dann des Grün-ökologischen Netzwerks Arche, das in gewisser Weise als ein Vorläufer der Grünen Partei gilt, deren Vertreter er am Zentralen Runden Tisch der DDR war. Statt seiner aber wurde Matthias Platzek im Februar 1990 für die Grünen Minister ohne Geschäftsbereich in der Modrow-Regierung, die schon im Monat darauf abgewählt wurde. In der Wendezeit hatte der Politiker Jordan keine wirkliche Macht – aber großen Einfluss.  

Geboren am 5. Februar 1951 in Berlin als Karl-Heinz Jordan und aufgewachsen im Bezirk Friedrichshain, absolvierte er zuerst eine Lehre als Zimmermann, um dann an der Fachschule Bauingenieurswesen zu studieren, was ihn zum Bauleiter an der Charité qualifizierte. Im Fernstudium an der Humboldt-Universität kamen noch etliche Semester Philosophie hinzu, bis zur erzwungenen Exmatrikulation, weil er für die polnische Solidarność Partei ergriffen hatte.

Carlo Jordan war schon Opposition, als es eine solche im »Arbeiter- und Bauernstaat« noch gar nicht gab. Nachdem sich im Spätsommer 1976 Oskar Brüsewitz in Zeitz öffentlich verbrannt hatte, gehörte Jordan zu den 25 Unterzeichnern einer Eingabe an das Zentralkomitee, die gegen das »Neue Deutschland« protestierte. Das Zentralorgan hatte den toten Pfarrer auf niederträchtige Weise diffamiert. Nach einer Hausdurchsuchung wurde Carlo Jordan verhaftet, kam aber nach wenigen Tagen wieder frei. Der Historiker Ilko-Sascha Kowalczuk schreibt, dass er jedoch seine Arbeit verlor als Bauleiter auf der Großbaustelle Charité, galt Jordan doch nun als »Sicherheitsrisiko« wegen der Nähe des Krankenhauses zur Westberliner Grenze.

Im Brief an Honecker hieß es seinerzeit: »Wir sind keine Christen, sondern Sozialisten und bekennen uns zum Marxismus; gerade deshalb wenden wir uns gegen eine Praxis, die darin besteht, die persönliche Würde eines Andersdenkenden zu verletzen, um der politischen Auseinandersetzung mit ihm auszuweichen.«

In den nächsten Tagen wollte er zur Reha nach Ahrenshoop fahren, sich erholen, gesund leben. Am Mittwochmorgen wurde Carlo Jordan tot in seiner Wohnung aufgefunden. Er hinterlässt eine Tochter und einen Sohn.  

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