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Superreiche in Deutschland: Reicher als gedacht
Die hiesigen Milliardenvermögen sind größer als gedacht und haben mit »Unternehmertum« wenig zu tun
Die Politik spricht die Bevölkerung gerne als »arbeitende Menschen« an, deren »Arbeit sich wieder lohnen« muss. Wirtschaft und Gesellschaft gelten in dieser Darstellung als Gemeinschaftswerk, zu dem jede das Ihre und jeder das Seine beitragen soll. Getrübt wird dieses Bild einer nationalen Arbeitsteilung allerdings durch Personen, die riesige Anteile des gesellschaftlichen Wohlstands auf sich vereinen. Diese deutschen Superreichen sind laut einer neuen Studie nicht nur reicher als ohnehin schon vermutet, es werden auch Zweifel an ihrer Leistung laut: »Bei der Mehrzahl der Milliardenvermögen kann nicht von ›Unternehmertum‹ als direkter Quelle des Reichtums die Rede sein«, so die Studie, die damit nahelegt, Milliardenvermögen könnten zumindest theoretisch der verdiente Lohn für unternehmerische Tätigkeit sein.
Wie viel die Reichsten in Deutschland besitzen, ist nicht bekannt. Seit Ende der 1990er Jahre die Vermögensteuer ausgesetzt wurde, gibt es keinen systematischen Überblick mehr. Statistiken zu den Vermögen und ihrer Verteilung basieren daher im Wesentlichen auf Umfragen – an denen die Superreichen allerdings kaum teilnehmen. Forschende greifen daher auf »Reichenlisten« verschiedener Medien zurück. So kommt das »Manager-Magazin« beispielsweise für das Jahr 2023 auf 226 Milliardenvermögen. Doch dies könnte zu knapp gerechnet sein, so eine neue, von der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung geförderte Studie des Netzwerks Steuergerechtigkeit.
Wie groß sind die Vermögen?
Zum einen macht die Studie elf weitere Milliardenvermögen in Deutschland aus, ihre Gesamtzahl stiege damit auf 237. Noch wichtiger aber ist, dass diese Vermögen wahrscheinlich deutlich größer sind als gedacht. Während das »Manager-Magazin« noch von einem Gesamtwert von 900 Milliarden Euro ausgeht, dürfte der tatsächliche Wert der deutschen Milliardenvermögen laut der neuen Studie »mindestens etwa 1400 Milliarden Euro betragen«. Dieser Betrag verteile sich auf lediglich rund 4300 sehr reiche Haushalte. Aber auch 2000 Milliarden halten die Forschenden für »nicht unplausibel«, wenn man unter anderem volkswirtschaftliche Vermögensanalysen und Schätzungen zu Vermögen in Offshore-Standorten mit einbeziehe.
2000 Milliarden Euro, das ist das Vier- bis Fünffache des Bundeshaushaltes, um den in den vergangenen Tagen so gerungen wurde. Legt man die Etats des laufenden Jahres zugrunde, so könnte der Bund mit dieser Summe 84 Jahre lang das Bürgergeld finanzieren, bis zum Jahr 2047 die Rentenkasse bezuschussen, die nächsten 70 Jahre seine Ausgaben für Geflüchtete und Asyl bestreiten oder – das würde vielleicht die FDP freuen – fast 80 Prozent der Staatsschuld tilgen.
Warum sind die privaten Milliardenvermögen wahrscheinlich viel größer als vermutet? Als Gründe nennt die Studie des Netzwerks Steuergerechtigkeit, dass es mehr dieser Vermögen geben dürfte als bislang angenommen. Zudem seien die bekannten Supervermögen in bisherigen Analysen teilweise unterbewertet worden, etwa weil Gewinnausschüttungen nicht voll erfasst sind oder Unternehmensanteile oder Immobilien in ihrem Wert unterschätzt wurden.
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Zur Entstehung dieser konzentrierten Reichtümer hat die Politik beigetragen. Denn laut der Studie sind seit Mitte der neunziger Jahre die Sätze zur Besteuerung der Erträge aus Milliardenvermögen deutlich gesenkt worden. So wurde die Vermögensteuer ausgesetzt. Zudem halbierte sich beispielsweise der Steuersatz auf nicht ausgeschüttete Gewinne – von über 57 Prozent auf unter 30 Prozent.
Daraus ließe sich die Forderung nach einer höheren Besteuerung des Reichtums ableiten. Diesen Forderungen wird häufig entgegengehalten, die Vermögen lägen nicht frei verfügbar auf Bankkonten, sondern seien in den Unternehmen gebunden. Vermögensteuern würden daher den Bestand der Unternehmen gefährden. Das Netzwerk Steuergerechtigkeit zitiert in diesem Sinne stellvertretend die Stiftung Familienunternehmen: »Vermögen der Wohlhabendsten steckt vor allem in Betrieben. Vermögensteuer führt zu Substanzverzehr.« Zudem legitimieren die Familienunternehmer die Vermögen damit, dass »ein wesentlicher Treiber des wirtschaftlichen Erfolges der Unternehmergeist ist, der gerade in Familienunternehmen oft tief verankert ist«, so Henkel-Aufsichtsrätin Simone Bagel-Trah. In dieser Optik erscheint der Reichtum verdient und eine stärkere Besteuerung ungerecht.
Die behauptete Gleichsetzung von Milliardenvermögen mit Unternehmertum aber trägt nicht, so das Netzwerk Steuergerechtigkeit. Seine Analyse ergab: Zwar stehen die meisten der Milliardenvermögen in Deutschland mit großen Unternehmen in Zusammenhang und entfallen meist auf Mitglieder der (ehemaligen) Eigentümerfamilien. Doch in knapp jedem fünften Fall beruhe das aktuelle Vermögen im Wesentlichen schlicht auf dem Verkauf der Firma. Und auch wenn Familien noch wirtschaftlich mit einem Unternehmen verbunden sind, werden seine Geschäfte nur in gut der Hälfte dieser Fälle durch Familienmitglieder geführt. Bei der anderen Hälfte beschränke sich die Rolle der Familie auf eine Mitgliedschaft in den Kontrollgremien oder eine stille Teilhaberschaft. Bei der Mehrzahl der Milliardenvermögen könne daher nicht von »Unternehmertum als direkter Quelle des Reichtums« die Rede sein.
Die Quelle des Reichtums
Das bedeutet zum einen: Gerade im Fall sehr großer Vermögen wäre eine Besteuerung vielfach möglich, ohne die »Substanz« des Unternehmens zu schädigen, weil das Ursprungsunternehmen längst verkauft und der Erlös angelegt worden ist. Zum anderen ist die Aussage nicht haltbar, deutsche Milliardenvermögen seien Resultat eines tüchtigen Unternehmergeistes.
Letzteres stimmt allerdings ohnehin nie. Denn erstens sind große Teile der Vermögen geerbt. So kam kürzlich eine Untersuchung der Schweizer Großbank UBS zu dem Schluss, dass von jenen Personen, die im vergangenen Jahr weltweit zu Milliardären wurden, die Mehrheit dies »durch Erbschaft und nicht durch Unternehmertum« schaffte. Selbst wenn »unter den Milliardärs-Erben ein ausgeprägtes unternehmerisches Denken herrscht« (UBS), so lässt sich ihr Reichtum doch nicht auf ihre Tätigkeit zurückführen.
Äußerst zweifelhaft ist dies zweitens aber auch bei jenen, die die UBS »Selfmade-Milliardäre« nennt. Zwar haben diese Personen nicht geerbt, sondern ein Unternehmen geführt. Selfmade sind aber weder die Produkte und Dienstleistungen der Unternehmen noch die Erträge aus ihrem Verkauf, die die Unternehmer reich machen. »Direkte Quelle des Reichtums« ist die Tätigkeit der von der Politik so gelobten »arbeitenden Menschen«. Die Erträge dieser Arbeit, die Profite, gehören den Eigentümern der Unternehmen – ganz gleich, ob sie im Betrieb mitarbeiten oder nicht, ob sie managen oder segeln gehen. Und der Wert der Vermögen ist wiederum nichts anderes als die in die Zukunft hochgerechneten Profite. Nicht ihr Unternehmertum macht die Hochvermögenden also reich, sondern schlicht ihr Eigentum.
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