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Kongo wählt in der Instabilität
Präsidentschafts- und Parlamentswahlen werden vom Krieg im Osten überschattet
Als der kongolesische Präsident Félix Tshisekedi im August 2021 zum Staatsbesuch bei der damaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel war, kündigte er an, die Demokratische Republik Kongo »zum Deutschland in Afrika« zu machen. Am Mittwoch will sich Tshisekedi für eine zweite Amtszeit von fünf Jahren wählen lassen. Doch viele Kongoles*innen klagen, dass das Leben härter geworden ist. »Wenn wir freie Wahlen hätten, würde Tshisekedi nicht gewinnen«, sagt Jean Claude Mputu, stellvertretender Direktor von Resource Matters (Ressourcen zählen). Die Organisation fordert, dass der Gewinn aus dem Export von Bodenschätzen für die Entwicklung des Landes eingesetzt wird. Der Kongo liefert einen großen Teil der strategischen Rohstoffe, die der globale Norden für den grünen Energiewandel braucht, zum Beispiel 70 Prozent des Coltans, das weltweit verarbeitet wird. Trotzdem sind zwei Drittel der 100 Millionen Kongolesinnen arm.
Wie die Abstimmung im Kongo ausgeht, beeinflusst also auch die Energiewende in Industrieländern wie Deutschland. Gewählt werden der Präsident, die Abgeordneten des nationalen Parlaments in Kinshasa und der 26 Provinzparlamente sowie die Gemeinderäte in den größeren Städten. 20 Männer und zwei Frauen treten für das Präsidentenamt an. Für die Parlamente bewerben sich 900 Parteien.
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Einfache Mehrheit für den Sieg
Unter den Kandidaten für das Präsidentenamt ist der Friedensnobelpreisträger Denis Mukwege. Der Gynäkologe, der vergewaltigte Frauen behandelt, hat international einen guten Ruf als Menschenrechtsaktivist. »Zahlreiche Kongolesen wollen aber nicht, dass er Präsident wird«, sagt Odile Bulabula vom Bürgernetzwerk für Innovation. Sie lebt in Mukweges Heimatstadt Bukavu und verweist auf die schlechten Erfahrungen, die die Bevölkerung seit Jahrzehnten mit ihren Regierungen macht. »Die Leute fürchten, dass Mukwege als Politiker nicht mehr auf ihrer Seite steht«, erklärt sie. Beobachter gehen davon aus, dass Tshisekedi zum Wahlsieger erklärt wird. Als einziger Kandidat, der vielleicht eine Chance hat, gilt der ehemalige Gouverneur der rohstoffreichen Provinz Katanga, Moïse Katumbi. »Es gibt aus seiner Zeit als Gouverneur zwar auch Berichte über Unterschlagung. Aber Katumbi hat angekündigt, auf sein Gehalt zu verzichten, falls er Präsident würde«, erzählt Jakob Kerstan, Leiter der Konrad-Adenauer-Stiftung in Kinshasa. Der Millionär Katumbi ist populär, weil er den Fußballklub TP Mazembe in Lubumbashi finanziert. Einigen Zuspruch hat auch Martin Fayulu. Der Geschäftsmann unterlag Tshisekedi bei der Wahl 2018 nach einem undurchsichtigen Auszählungsverfahren. Im Kongo genügt für den Sieg die einfache Mehrheit.
»Die Korruption hat ein katastrophales Ausmaß angenommen«, sagt Mputu von Ressource Matters. Damit meint er nicht nur den Rohstoffsektor. Der Aktivist kritisiert, dass die Wahlkommission der Regierung nahestehe, die Verwendung ihres Budgets intransparent sei und die Vorbereitungen zur Wahl chaotisch verliefen. Es sei unwahrscheinlich, dass Urnen, Stimmzettel und Wahlmaschinen zu allen 75 000 Wahllokalen geliefert werden könnten.
Die Wahllogistik ist eine Herausforderung
Einige Tage vor dem Urnengang hat die Wahlkommission angekündigt, dass sie auch unleserliche Abstimmungskarten und registrierte Wähler akzeptieren wird, die ihre Karte verloren haben. Die Wahlausweise waren in so schlechter Qualität gedruckt worden, dass sie verblichen. Intransparente Wahlregister könnten Gewalt auslösen, sagt die Aktivistin Bulabula. Im Wahlkampf wurden Oppositionelle bisweilen gehindert, Campagnen zu veranstalten. Einige wurden verprügelt oder getötet.
Die Regierung hat kurz vor dem Wahltag die Friedensmission der Vereinten Nationen gebeten, Wahlmaterial mit deren Hubschraubern in unzugängliche Gebiete zu transportieren. Dabei ist die Regierung eigentlich gerade dabei, die UN-Soldaten wegen angeblicher Untätigkeit aus dem Land zu werfen. Die Wahllogistik ist eine Herausforderung. Der Kongo ist doppelt so groß wie Deutschland, Frankreich und Italien zusammen. Es gibt kaum Straßen, viele Pisten sind jetzt in der Regenzeit unpassierbar. 44 Millionen Erwachsene sind wahlberechtigt. Die Wahlkampfveranstaltungen, die am Montag zu Ende gingen, waren meistens gut besucht. »Aber nur, weil die Leute bezahlt wurden«, sagt Aktivistin Bulabula. Wer zu den Kundgebungen gegangen sei, habe umgerechnet drei Euro und ein T-Shirt bekommen. Bulabula hat die Menschen in Bürgerversammlungen aufgeklärt, dass sie ihre Politiker verantwortlich halten sollten, dass es deshalb wichtig sei, zu wählen. Aber sie hatte einen schweren Stand. Die meisten Leute sind damit beschäftigt, Geld für Essen, Schulgeld oder den Arzt aufzutreiben. Kartoffeln, Bohnen und Mehl sind drei bis fünf Mal teurer als vor zwei Jahren. Das sind Folgen der Covid-Pandemie und des Ukraine-Kriegs, aber vor allem schürt der Krieg im Ostkongo die Armut. Mehr als 100 Milizen kämpfen dort um die Macht über Minen und Agrarland. Die Miliz mit dem Namen »Bewegung des 23. März« (M23) wird nach UN-Erkenntnissen vom Nachbarland Ruanda ausgerüstet. Sie besetzt Teile der Provinz Nord Kivu, verlangt Wegezoll und blockiert die Versorgung in der Region. Sieben Millionen Menschen sind im gesamten Kongo auf der Flucht, mehr als jemals zuvor.
»Kein Kandidat präsentiert eine Strategie, wie der Kongo zu Frieden und Wohlstand kommen könnte«, kritisiert Onesphore Sematumba. Die Kandidaten würden sich vor allem gegenseitig schlecht machen, gegen Ruanda hetzen und den Kongolesen einen glorreichen militärischen Sieg versprechen, sagt der Analyst beim Thinktank Crisis Group, der aus Goma, der Hauptstadt der Provinz Nord-Kivu stammt. Präsident Tshisekedi verglich den ruandischen Präsidenten Paul Kagame auf einer Wahlveranstaltung sogar mit Adolf Hitler. Kagame habe wie einst Hitler Expansionsgelüste und werde enden wie Hitler.
In den Gebieten, die die M23 besetzt, sind 1,5 Million Wahlberechtigte von der Abstimmung ausgeschlossen. »Die Menschen sind enttäuscht, dass ihnen die Regierung keinen Frieden bringt«, sagt Placide Nzilamba, Sekretär des Bürgervereins in Nord-Kivu. Er wird wie Zehntausende andere Freiwillige der Zivilgesellschaft am Mittwoch als Wahlbeobachter unterwegs sein. Eigentlich sollten auch Experten der EU das Geschehen beobachten. Doch die Regierung hat ihnen verboten, Satellitentelefone zu benutzen. Deshalb sind sie abgereist
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