Mahnung zur Solidarität nach Anschlag von Halle

Drei Jahre nach Urteil gegen Attentäter berieten Überlebende und Aktivisten Strategien gegen Antisemitismus und Rassismus

  • Peter Nowak
  • Lesedauer: 3 Min.
Die von Attentäter angegriffene Synagoge in Halle.
Die von Attentäter angegriffene Synagoge in Halle.

Der große Saal im Berliner Theater Hebbel am Ufer war am Mittwochabend fast bis auf den letzten Platz besetzt. Die Initiative »Antisemitismus und Rassismus gemeinsam bekämpfen« hatte drei Jahre nach Verkündung des Urteils gegen den Attentäter von Halle zur Diskussion eingeladen. Dabei war der Titel des Abends Programm: »Was aus dem Elend des Tages erwuchs, ist Solidarität«. Das Zitat stammt aus der Erklärung von Naomi Henkel-Guembel, die sich in der Synagoge aufhielt, als diese am 9. Oktober 2019 von einen Neonazi mit dem erklärten Ziel angegriffen wurde, so viele Jüdinnen und Juden zu ermorden wie möglich.

Als der Angreifer, dessen Name auf Wunsch der Überlebenden nicht mehr genannt werden soll, an seinem Vorhaben durch die stabile Tür zum Synagogengelände gehindert wurde, erschoss er eine zufällig am Tatort vorbeikommende Frau, Jana L., und in einem nahegelegenen Dönerladen einen jungen Mann, Kevin S. In dem früheren Imbiss ist mittlerweile ein Raum der Trauer und der Vernetzung für die Überlebenden des Nazianschlags entstanden. Zugleich ist es ein Ort der Vernetzung für Menschen, die sich gegen Antisemitismus und Rassismus wehren.

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Die angehende Rabbinerin Henkel-Guembel und der ehemalige Döner-Betreiber İsmet Tekin stehen auch mit ihren Namen für diese Gemeinsamkeit ein. Auf der Veranstaltung betonten sie, der Anschlag von Halle sei sowohl antisemitisch als auch rassistisch und frauenfeindlich gewesen. Daran habe der Täter, der sein Verbrechen über einen Live-Stream in aller Öffentlichkeit ausführte, nie einen Zweifel gelassen.

Henkel-Guembel und Tekin waren im Halle-Prozess Nebenkläger*innen und sorgten so dafür, dass die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen des Verbrechens zur Sprache kamen. Sie habe lange überlegt, ob sie als Nebenklägerin auftreten solle, sich dann aber aus gesellschaftlichem Verantwortungsgefühl dazu entschlossen, sagte Henkel-Guembel.

Tekin brachte seine Motivation so auf den Punkt: »Wir haben uns mit der Nebenklage entschieden, nicht den Täter den Prozess bestimmen zu lassen. Wir als die Überlebenden sollten dort das Wort haben, und genau das ist geschehen.« Caro Keller vom Bündnis NSU-Watch sprach von dem organisatorischen Kraftakt, während des Prozesses bei jedem Wetter Kundgebungen vor dem Gerichtsgebäude zu organisieren.

Für Tekin waren die Demonstrationen eine wichtige Geste der Solidarität: »Ich habe die Stimmen der Solidarität bis in den Gerichtssaal gehört, und das hat mich überzeugt, dass wir nicht nur im Prozess, sondern auch draußen zu Wort kommen.« Das Urteil bleibt ihm aber bis heute unverständlich. Denn der Angriff auf ihn selbst wurde dort ebensowenig als Mordversuch gewertet wie der Versuch eines Nazis, der ebenfalls als Nebenkläger auftrat, Menschen mit dem Auto zu töten.

»Das Urteil hat für mich keine Gerechtigkeit gebracht«, betont Tekin. Er und Henkel-Guembel sind mittlerweile bundesweit mit anderen Initiativen und Einzelpersonen vernetzt, die Gerechtigkeit für Überlebende rechter Gewalt einfordern. So haben sie auch die Angehörigen der Opfer des rechten Anschlags in Hanau unterstützt.

Der Täter von Halle war am 21. Dezember 2020 vom Oberlandesgericht Naumburg unter anderem wegen zweifachen Mordes und Mordversuchs in 68 Fällen – so viele Menschen hielten sich zum Tatzeitpunkt in der Synagoge auf – zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe mit anschließender Sicherungsverwahrung verurteilt worden.

Auf der Veranstaltung wurden auch die Massaker der Hamas im Süden Israels am 7. Oktober thematisiert. Die Dresdner Rechtsanwältin Kati Lang, auch sie Verfahrensbeteiligte im Prozess zum Halle-Attentat, berichtete, dass sich viele jüdische Menschen seither sehr einsam fühlten, weil ihre Bündnispartner*innen den antisemitischen Charakter des Angriffs negierten oder ignorierten. Für İsmet Tekin war es hingegen selbstverständlich, sich nach dem 7. Oktober an Kundgebungen für den Schutz jüdischer Menschen zu beteiligen.

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