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Qusay Amer: »Grüne Asylpolitik ist ein Verrat an Geflüchteten«
Der Ex-Grüne erklärt im Interview die Beweggründe für seinen Austritt aus der Partei
Am Freitag haben sie gemeinsam mit fünf weiteren Mitgliedern, die ab 2014 aus Syrien nach Deutschland geflüchtet sind, ihren Austritt aus bei den Grünen verkündet. Wie kam es dazu? Warum genau jetzt?
Wir alle sind zwischen 2014 und 2016 vor Krieg und Verfolgung aus Syrien geflohen. Der Grund für unseren gemeinsamen Austritt ist die Zustimmung der Parteispitze der Grünen zu der EU-Asylreform GEAS, die das Grundrecht auf Asyl abschafft. Dazu kommt das sogenannte Rückführungsverbesserungsgesetz, das vor einigen Tagen ohne viel Lärm im Parlament verabschiedet wurde. Das Gesetz wird viele Geflüchtete massiv benachteiligen.
Meiner Meinung nach ist das ein großer Verrat grüner Politik an geflüchteten Menschen. Seit die Diskussionen über GEAS im Sommer anfingen, haben wir versucht, mit vielen Kolleg*innen in der Partei in Kontakt zu treten – unter anderem auch mit dem Bundesvorstand. Wir wollten die Grünen-Spitze dazu bewegen, zu den grünen Grundsätzen zurückzukehren. Ohne Erfolg. Uns wurde viel versprochen. Und immer wieder wollten Parteikolleg*innen schönreden, was migrationspolitisch von der Partei beschlossen wurde.
Qusay Amer ist 2014 nach Deutschland gekommen, nachdem er vor dem Krieg in Syrien geflüchtet ist. 2018 ist er bei den Grünen eingetreten und war zuletzt im Vorstand der Partei in Berlin-Neukölln aktiv. Amer studierte Architektur an der Technischen Universität in Berlin. Er war Stipendiat der Rosa-Luxemburg-Stiftung.
Meinen Sie das sogenannte Chancenaufenthaltsgesetz, das es bestimmten Fachkräften erleichtern soll, nach Deutschland zu kommen?
Ja, das wurde uns als Erfolg verkauft. Und das ist ein Schritt in die richtige Richtung. Allerdings wurden auch Gesetze beschlossen, die geflüchtete Menschen enorm benachteiligen. Wir hatten lange die Hoffnung, dass es doch nicht zu GEAS kommt, dass wir über die vielen Gespräche mit den Kolleg*innen etwas erreichen können. Aber es ist nichts passiert.
Das grüne Milieu war viele Jahre sehr Aktiv in der Fluchtbewegung, stand aber auch der Anti-Assadbewegung der syrischen Diaspora sehr nahe. Besteht diese Nähe noch?
Eigentlich ist das Thema Asylpolitik ein Teil der grünen DNA, das habe ich als Parteimitglied immer so erlebt. In den verganenen Jahren hat sich dies aber verändert. Ich rede nicht von der Basis, die ist natürlich gespalten: Es gibt viele, die hinter der Parteispitze stehen, und einige, die uns viel Solidarität gezeigt haben. Die Parteispitze will eine bestimmte Agenda mit bestimmten Kompromissen durchbringen – leider auf Kosten geflüchteter Menschen. Das dürfen wir nicht tolerieren.
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Warum sind Sie überhaupt Mitglied der Grünen geworden?
Ich kam Anfang 2014 nach Deutschland und war damals vor allem durch die Syrische Revolution, die 2011 ausbrach, politisiert. Dann kam der Sommer 2015, als auf einmal sehr schnell sehr viele Menschen aus Syrien nach Deutschland kamen. Da wollte ich wieder politisch aktiv werden und habe nach Gruppen und Parteien gesucht, denen ich mich anschließen kann. Viele Mitglieder der Grünen haben sich damals für Geflüchtete engagiert. Deshalb hatte ich das Gefühl, dass ich bei den Grünen richtig war.
Die Linkspartei war nicht attraktiv?
Ich hatte damals auch mehrere Gespräche mit Leuten aus der Linkspartei und habe oft erlebt, dass es eine Nähe zu Putin und deshalb auch zu Bashar al-Assad gab. Die Außenpolitik der Linken war für mich ein klares Ausschlusskriterium. Ich muss dazu sagen, dass ich lange Stipendiat der Rosa-Luxemburg-Stiftung war und guten Kontakt zu vielen Genossen und Genossinnen hatte. Natürlich waren nicht alle dort der gleichen Meinung.
Viele, die Putin zugewandt sind, gehörten zum Wagenknecht-Flügel, der sich inzwischen von der Partei getrennt hat. Erwägen Sie, vielleicht der Linken beizutreten?
Darüber habe ich mir noch keine konkreten Gedanken gemacht. Uns ging es vor allem darum, ein deutliches Zeichen gegen die Migrationspolitik der Grünen zu setzen und zu zeigen, dass wir die nicht mittragen können. Aber auf jeden Fall möchte ich mich noch mal in der Zivilgesellschaft engagieren wie damals, bevor ich in die Partei eingetreten bin. Wo genau, kann ich jetzt noch nicht sagen.
Was hätte die Grüne migrationspolitisch anders machen sollen?
Es gab Alternativen zu der Politik, für die sich die Parteispitze letztendlich entschieden hat. Die Partei hätte sich im EU-Parlament und auch in der Ampel-Regierung anders verhandeln können. Es gab einige Vorschläge aus der Zivilgesellschaft und von Parteikolleg*innen, wie man mit der jetzigen Situation umgehen könnte, um jetzt Zeit zu gewinnen und danach langfristigere und bessere Lösungen für die große Zahl der geflüchteten Menschen zu finden. Rechte und geflüchtetenfeindliche Rhetorik zu verfolgen, wie es die Parteispitze in den vergangenen Monaten tat, kann auf keinen Fall die Lösung sein. Ich hätte mir von der Partei einen klareren Kampf gegen den Rechtsruck und für die Rechte von Geflüchteten gewünscht.
Hat auch die deutliche pro-israelische Haltung der grünen Parteispitze eine Rolle bei Ihrer Entscheidung gespielt?
Darüber kann ich nicht im Namen der anderen in der Gruppe reden und sagen, dass es eine große oder keine Rolle gespielt hat. Der Nahostkonflikt ist viel zu komplex, als dass wir uns an dieser Stelle differenziert genug dazu äußern könnten. Natürlich sind die Themen miteinander verbunden, aber wir haben uns bewusst dazu entschieden, uns in unserer Austrittserklärung auf die Asylpolitik der Grünen zu fokussieren, denn die wollten wir vor allem kritisieren.
Hat es die Haltung bei Ihnen persönlich eine Rolle gespielt?
Natürlich habe ich eine eigene Meinung zu dem Thema. Uns war es aber wichtig, diese beiden Sachen nicht zu vermischen. Beide Themen sind aktuell, aber mein Fokus bei der Partei lag ja immer auf der Asylpolitik. Daher wollte ich jetzt erst diesem Thema gerecht werden.
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