- Berlin
- A100-Ausbau
Brandanschlag in Berlin: »Schade, dass Beton nicht brennt«
Ein Bekennerschreiben zum Betonwerksbrand verweist auf Klima- und israelische Siedlungspolitik
Am frühen Mittwochmorgen brannte es im Betonwerk von Cemex auf der Lohmühleninsel in Kreuzberg. Fünf Lastwagen, ein Zementsilo, eine Förderstrecke und ein Teil eines technischen Gebäudes standen in Flammen. 44 Feuerwehrleute seien im Einsatz gewesen, niemand verletzt worden. Zwölf Stunden nach dem Brand tauchte ein anonymes Schreiben mit dem Titel »Gegen Umweltzerstörung, Unterdrückung und Krieg – Feuer für CEMEX-Betonwerk« auf der linken Internetplattform »Indymedia« auf. Das Landeskriminalamt ermittelt.
Das mexikanische Unternehmen Cemex gehört mit einem Jahresumsatz von 11 Milliarden Euro zu den weltweit größten Zementherstellern und besitzt 64 Betonwerke, eines davon in Kreuzberg. Der Pressedienst der Berliner Feuerwehr sprach gegenüber »nd« von einem »sehr hohen« Sachschaden durch den Brand: »Allein ein Lkw kostet 200 000 Euro. Der Schaden könnte demnach im siebenstelligen Bereich liegen.« Mehr als zwei Stunden sei die Feuerwehr im Einsatz gewesen, um den Brand zu löschen.
Ein Kollektiv, dass unter dem Motto »Switch Off« agiert, bekennt sich in einem Brief zur Aktion gegen Cemex; inspiriert seien sie von den Sabotagen gegen »die Welt des Betons«, die in Frankreich, Belgien und der Schweiz stattfanden. Im Dezember wurden unter dem Motto »Switch Off« mehrere Forstmaschinen im Münchner Großraum angezündet.
Klimakiller Beton
Beton, das ist eine Mischung aus Zement, Wasser, Sand und Kies. Bei der Herstellung einer Tonne Zement werden laut dem Wissenschaftsmagazin »Spektrum« rund 700 Kilogramm des Treibhausgases Kohlendioxid freigesetzt. Jedes Jahr würden weltweit 12 Kubikkilometer Beton produziert, damit könnte man die Stadtfläche Berlins gleichmäßig mehr als 13 Meter hoch bedecken.
Das Problem bei der Zementproduktion: Zwar könnte ein Drittel der Kohlendioxidemission eingespart werden, indem Kohleöfen beispielsweise durch eine mit Ökostrom betriebene Wärmepumpe ersetzt würden; der größte Ausstoß erfolgt jedoch während einer chemischen Reaktion mit Kalkstein. Ökologisch bedenklich ist darüber hinaus auch der hohe Bedarf an Sand für die Betonproduktion. Ein knapper werdender Rohstoff, der bereits an den Stränden des Globalen Südens abgebaggert wird.
Die Verfasser des »Indymedia«-Schreibens verweisen neben der Betonproduktion auch auf die ökologischen Folgen durch den Einsatz des Baustoffs: »Urbane Räume heizen sich immer weiter auf, während Regenwasser nicht mehr in der Erde versickern kann.« Bodenversiegelung führe an einer Stelle zu Dürre und Trockenheit, »an anderer Stelle durch immer häufiger auftretenden Starkregen zu Überflutungen und Erosionen«. Aktuelle Studien verweisen auf die Folgen von Betonversiegelung in Zusammenhang mit Überschwemmungen und Hochwasser, wie derzeit in Thüringen und Hessen.
Cemex und der A100-Bau
»Beton ist zum Symbol einer ganzen Epoche geworden. Eine Epoche, in der der Kapitalismus seine Expansion bis in den letzten Winkel der Erde feiert und diesen Sieg in den Machtzentren der Metropolen in Form monumentaler Bauten in Beton gegossen hat«, schreiben die Bekennenden auf »Indymedia«. Im Falle von Cemex verweist das Bekennerschreiben auf die 2,3 Kilometer lange A100-Trasse zwischen dem Autobahndreieck Neukölln und dem Treptower Park. Dafür flossen nämlich 500 000 Kubikmeter Beton der Transmobil Baustoff GmbH, ein Tochterunternehmen der deutschen Cemex AG, auf den Boden.
»Zynisch« nennen die Bekennenden eine Klimabewegung, die »wohlgemeinte Bitten« an die herrschende Politik stelle, die Verursacher der Klimakrise sei. »Diese Aktivist*innen tappen dabei in die Falle, den bürgerlichen Moralvorstellungen mit ihrem verlogenen Bekenntnis zum Gewaltverzicht gefallen zu wollen.« Die Gruppe sieht sich in ihrem Sabotageakt in einer Tradition mit der Anti-Atom-Bewegung. »Schade, dass Beton nicht brennt«, schreiben sie an anderer Stelle – eine Parole, die in der antikapitalistischen Hausbesetzerbewegung beliebt war und ist.
Cemex und Siedlungspolitik
Zum Megakonzern Cemex gehört seit 2005 auch der israelische Baustoffhersteller Readymix Industries. Eine Recherche der feministischen Organisation Israeli Coalition of Women for Peace von 2011 hatte die Verwobenheit von Readymix Industries mit der Siedlungspolitik im Westjordanland und den Golanhöhen enthüllt. Laut dieser Recherche besitze die Tochterfirma vier Werke in den Siedlergebieten und hat sowohl für den Mauerbau als auch für israelische Militärstützpunkte Baustoff produziert.
»Damit macht sich das Unternehmen zum Handlanger und Verbündeten der extrem rechten Politik Netanjahus und seiner religiös-fanatischen Anhänger*innen in den Siedlerkolonien«, heißt es in dem Bekennerschreiben, in dem sowohl der »Bombenterror der israelischen Armee gegen die Zivilbevölkerung« als auch die Massaker der Hamas verurteilt werden.
Laufende Ermittlung
Die Pressestelle des Landeskriminalamts konnte gegenüber »nd« noch keine konkreten Aussagen zu einer politisch motivierten Straftat treffen. Bekannt sei das Bekennerschreiben unter dem Motto »Switch Off«, das seit gestern Nachmittag auf der gleichnamigen Website und auf »Indymedia« zu finden sei.
Auf der antikapitalistischen Medienplattform »Indymedia« wird nicht kommerzieller Journalismus betrieben. Die seit 1999 existierende Website funktioniert nach dem Prinzip des »Open-Posting«. Das heißt, dass dort jede*r anonym veröffentlichen kann, ohne dass eine Redaktion diese Eingaben überprüft. In der Vergangenheit wurden schon Bekennerschreiben veröffentlicht, die sich als gefälscht herausstellten. Die Medienplattform wird laut Angaben des Bundesverfassungsschutzes seit 2020 beobachtet, dazu würden auch verdeckte nachrichtendienstliche Mittel eingesetzt.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.