Die fetten Jahre Chinas sind vorbei

Im Jahr des Drachen hat Präsident Xi viele Baustellen zu bearbeiten

  • Fabian Kretschmer, Peking
  • Lesedauer: 4 Min.

Die Muskelspiele gehen auch 2024 weiter. Inmitten zunehmender Spannungen im Südchinesischen Meer haben China und die USA am Donnerstag jeweils eigene Militärmanöver in dem umstrittenen Seegebiet abgehalten. Seine Marine und Luftstreitkräfte führten in dem Meer am Mittwoch begonnene zweitägige »Routinepatrouillen« aus, erklärte das chinesische Militär am Donnerstag. Die USA teilten ihrerseits mit, dass ein Marineverband um den atombetriebenen Flugzeugträger »USS Carl Vinson« zwei Tage lang gemeinsame Übungen mit der verbündeten philippinischen Marine vornehme.

Ganz gleich wie turbulent das Weltgeschehen sein mag, die Neujahrsansprache des chinesischen Präsidenten strahlt stets Ruhe und Beständigkeit aus. Im holzvertäfelten Bücherzimmer versicherte Xi Jinping seiner Bevölkerung mit sonorer Stimme, dass die Wirtschaft des Landes nach »überstandenem Sturm« mittlerweile »widerstandsfähiger und dynamischer als je zuvor« sei. Und auch die Wiedervereinigung mit Taiwan sei als »historische Unvermeidlichkeit« nur mehr eine Frage der Zeit. Alles auf Kurs also, wenn man den Worten des 70-jährigen Parteivorsitzenden folgt.

Wirtschaftlich gibt es weiterhin wenig Anzeichen, dass die bisher ausgebliebene Post-Covid-Erholung nun endlich eintritt. Der aktuelle Einkaufsmanagerindex blieb hinter den Erwartungen zurück, und fürs Gesamtjahr rangieren die Wachstumsprognosen der meisten Ökonomen zwischen vier und fünf Prozent. Das mag zwar durchaus solide klingen, doch es ist gemessen am chinesischen Entwicklungsstadium zu niedrig, um etwa die rekordhohe Jugendarbeitslosigkeit in den Griff zu bekommen.

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Vor allem wird über ein Jahr nach Pekings turbulentem Ausstieg aus der »Null Covid«-Politik immer deutlicher, dass die Volkswirtschaft nicht mehr an die »fetten Jahre« vor der Pandemie anknüpfen kann. Denn mittelfristig drückt die weiterhin schwelende Immobilienkrise auf das Potenzial der Volkswirtschaft. Und langfristig wird die fortschreitende Alterung die Wachstumsmöglichkeiten beschränken. Hinzu kommt eine Regierung, deren Fokus zunehmend auf nationaler Sicherheit und ideologischer Kontrolle liegt.

Gleichzeitig holt die Nachbarregion im Vergleich deutlich auf. »Das Wachstum der chinesischen Wirtschaft blieb hinter den hohen Erwartungen zurück«, argumentiert Alicia García Herrero, Chefökonomin der »Natixis«-Bank für den Raum Asien-Pazifik: »Gleichzeitig entwickelte sich das restliche Asien viel besser als erwartet – ungeachtet der immer stärkeren Verflechtung mit China«. Für westliche Unternehmen haben die geopolitischen Risiken und das sich verschlechternde Marktumfeld längst dazu geführt, dass man künftige Investitionen stärker nach Vietnam und vor allem Indien verlagert. Dieser Trend dürfte sich auch im Jahr des Drachen weiter fortsetzen.

Außenpolitisch dürfte 2024 für Xi Jinping ebenfalls ein paar bittere Pillen bereithalten. Bereits am 13. Januar wählen die Taiwaner und Taiwanerinnen einen neuen Präsidenten, der wohl aller Voraussicht nach den Peking-kritischen Kurs der amtierenden Tsai Ing-wen weiter fortführen dürfte. Der 67-Jährigen ist es in den vergangenen Jahren gelungen, die politischen und zivilgesellschaftlichen Beziehungen Taiwans weiter mit dem Westen zu verknüpfen – sehr zum Ärger der chinesischen Führung, die dahinter das Kalkül vermutet, Taiwan könnte mit Rückendeckung der USA schon bald seine Unabhängigkeit erklären.

Sollte im November zusätzlich Donald Trump ins Weiße Haus gewählt werden, würde dies in Peking für weitere Katerstimmung sorgen. Zwar gibt man sich keinerlei Illusionen hin, dass ein demokratischer US-Präsident eine softere China-Politik verfolgen könnte. Doch während Joe Biden sich an Konventionen hält, stellt der erratische Trump ein schwer zu kalkulierendes Risiko dar. Und nichts verabscheut die auf Stabilität bedachte chinesische Staatsführung stärker als Risiko.

Die größte Fallhöhe hat eindeutig der Taiwan-Konflikt. Noch sind sich die meisten Experten einig, dass eine großflächige Invasion der Volksbefreiungsarmee derzeit unwahrscheinlich ist. Sehr wohl jedoch erhöht das Militär seit Jahren bereits Schritt für Schritt den Druck auf die Insel, indem es mit Flugmissionen und simulierten Insel-Blockaden die 23 Millionen Taiwaner psychologisch mürbe machen möchte.

Es ist ein Spiel mit dem Feuer, denn mit jedem entsandten Kampfflugzeug steigt auch das Risiko einer nicht geplanten Eskalation – möglicherweise bereits in diesem Jahr. Die Manöver vom Donnerstag geben darauf ein Vorzeichen.

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