- Politik
- Küstenwache in Tunesien
Diebstahl von Motoren soll Seenotrettung gedient haben
Bundesregierung stützt fragwürdige Erzählung zur Küstenwache in Tunesien
Seit Jahren unterstützen die EU sowie einzelne Mitgliedstaaten die tunesische Küstenwache mit Ausrüstung und Ausbildungsmaßnahmen. Damit sollen Überfahrten von Asylsuchenden nach Europa gestoppt werden. Mit Erfolg: Nach einer starken Zunahme sind die Zahlen im Sommer wieder deutlich gesunken. Das lag unter anderem an Pogromen gegen Menschen aus Subsahara-Staaten, die der Präsident Kais Saied vor einem Jahr angezettelt hat.
Auf See setzen die tunesischen Behörden auf Abschreckung. Boote mit Geflüchteten werden abgedrängt oder sogar gerammt, die Insassen mit Stöcken geschlagen und mit Schüssen eingeschüchtert. In mehreren Fällen hat die Küstenwache Motoren von Schlauchbooten mitgenommen und Menschen anschließend im Meer treiben gelassen.
Teller und Rand ist der nd.Podcast zu internationaler Politik. Andreas Krämer und Rob Wessel servieren jeden Monat aktuelle politische Ereignisse aus der ganzen Welt und tischen dabei auf, was sich abseits der medialen Aufmerksamkeit abspielt. Links, kritisch, antikolonialistisch.
Diese Informationen stammen aus Zeugenaussagen, die internationale Organisationen zusammengetragen haben und mit Fotos und Videos belegen. Zu ihnen gehören das Alarm Phone-Netzwerk, das Forum für soziale und wirtschaftliche Rechte in Tunesien (FTDES), die Menschenrechtsorganisation Oxfam und Borderline Europe.
Die Bundesregierung will davon aber nichts wissen und verbreitet stattdessen eine fragwürdige These zum Diebstahl der Motoren. In der Antwort auf eine Kleine Anfrage zu Maßnahmen der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) in Tunesien schreibt das Auswärtige Amt, Tunesiens Küstenwache habe »in einzelnen Fällen Bootsmotoren zeitweise abmontiert, um Seenotrettung zu ermöglichen«. Dies sei »Medienberichten« zu entnehmen, verwiesen wird dazu auf eine Meldung von Reuters vom Mai des vergangenen Jahres.
Die Nachrichtenagentur beschreibt darin, wie abgefangene Bootsinsassen »betteln«, ihre Fahrt nach Italien fortsetzen zu dürfen oder »Widerstand leisten«. In einem Fall habe die Küstenwache den Außenbordmotor des Bootes mit Stöcken zerschlagen. Dies erfolge aber nicht systematisch, zitiert Reuters einen Beamten der Nationalgarde.
»Die Partner der tunesischen Küstenwache, insbesondere Deutschland und Italien, übernehmen die Darstellung Tunesiens. Wir betrachten dies als Komplizenschaft beim Verschweigen von Übergriffen auf Migranten«, sagt dazu der tunesische FTDES-Vorsitzende Romdhane Ben Amor auf Anfrage des »nd«. Die gewalttätigen Praktiken seien seit Ende 2021 bekannt. Auf See abgefangene Migranten würden zudem an die algerische Grenze gebracht oder an bewaffnete libysche Gruppen übergeben.
Es sei bemerkenswert, wenn die Bundesregierung keine Informationen über rechtswidriges Verhalten der tunesischen Küstenwache haben will, kommentiert Markus Nitschke von Oxfam Deutschland. »Die Menschenrechtsverletzungen der tunesischen Küstenwache gegenüber Migranten sind ausführlich dokumentiert, und es handelt sich auch nicht um Einzelfälle.«
Auch die Bundestagsabgeordnete Clara Bünger, von der die Kleine Anfrage stammte, kritisiert die Antwort des Auswärtigen Amtes. Das Abmontieren von Bootsmotoren als Hilfe zur Seenotrettung darzustellen sei »perfide«, sagt die Linke-Politikerin zum »nd«. Die Bundesregierung wolle offenbar verschleiern, dass sie »mitverantwortlich für die Verbrechen der tunesischen Küstenwache ist«.
Tatsächlich unterstützt das Bundesinnenministerium die tunesische Nationalgarde seit Jahren für ihre Maßnahmen auf See. Zuletzt hat die Bundespolizei 12 Schlauchboote und 27 Bootsmotoren an die Grenztruppen geschenkt. Deutschland finanziert auch Ausrüstung für eine Bootswerkstatt und entsprechende Ausbildung.
Zum GIZ-Projekt zur »Unterstützung der Grenzverwaltung« im Mittelmeer wollte die Bundesregierung in der Antwort jedoch keine Details nennen. Das Programm diene dazu, »die Qualität der Ausbildung der Küstenwache zu verbessern« und kostet rund 3,5 Millionen Euro.
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