Arbeitskampf der GDL: Getümmel im Berliner Streiklokal

Während die Lokführergewerkschaft GDL die Schienen abriegelt, kommen ihre Mitglieder zusammen

Flagge zeigen: Donnerstagmittag vor dem provisorisch eingerichteten Streiklokal der GDL
Flagge zeigen: Donnerstagmittag vor dem provisorisch eingerichteten Streiklokal der GDL

Es ist der zweite von drei Streiktagen bei der Deutschen Bahn (DB). Etwa 60 Mitglieder der Gewerkschaft der Lokführer (GDL) stehen am Donnerstagmittag in kleinen Gruppen zusammen. Unweit des Ostbahnhofs, am Franz-Mehring-Platz, wo auch die nd-Redaktion arbeitet, hat die Gewerkschaft ein Streiklokal eingerichtet.

Auf einer Tafel aus Tischen liegen Listen aus, in die sich die Mitglieder jeden Tag eintragen müssen, um Streikgeld zu bekommen. Pro Stunde Arbeitsausfall gibt es zehn Euro Streikgeld von der Gewerkschaft – maximal 100 Euro am Tag.

Der kleine Raum ist gut gefüllt, auch in den Gängen und draußen vor der Tür stehen Gesprächszirkel. Die Lautstärke lässt erahnen, dass die Eisenbahner*innen – es sind aber wohl hauptsächlich Männer – nicht nur des Geldes wegen gekommen sind.

»Normalerweise sehen wir uns ja nicht, sind als Einzelkämpfer unterwegs. Heute haben wir mal Zeit, uns auszutauschen«, heißt es aus einer Gruppe von Kollegen der Berliner S-Bahn. Die Kaffeetassen in ihren Händen sind bereits leer. Auch gegenüber »nd« haben sie viel zu erzählen.

Forderungen der GDL
  • 555 Euro mehr Lohn (324 für Azubis)
  • Reduzierung der Wochenarbeitszeit auf 35 Stunden
  • 3000 Euro Inflationsausgleich
  • Erhöhung der Zulagen um 25 Prozent; 5 Prozent Arbeitgeberanteil zur betrieblichen Altersvorsorge
  • maximal fünf Schichten/Arbeitstage pro Woche, anschließend 48 Stunden Ruhe
  • zwölf Monate Laufzeit cle

Das aktuelle Angebot, über flexible Arbeitszeitmodelle zu verhandeln, habe der GDL-Vorsitzende Claus Weselsky zu Recht als »Nebelkerze« abgewiesen. Die Absenkung der Arbeitszeit mit Lohnausgleich ist eine der Hauptforderungen der GDL. »Ich arbeite schon seit Jahren verkürzt, nur eben auf eigene Rechnung«, sagt ein S-Bahnfahrer. Ende der 90er Jahre habe es gar mal eine Zeit der 36-Stunden-Woche bei der S-Bahn gegeben, um keine Mitarbeiter*innen entlassen zu müssen.

»Es geht, wenn der Wille da ist«, sagt auch Steffen Genz von der GDL Nord-Ost zu »nd«. »Der jüngste Tarifabschluss bei der Odeg (Ostdeutsche Eisenbahn GmbH, Anm. d. Red.) straft die Aussage der Bahn – ›Das sei nicht machbar‹ – Lügen«, sagt Genz. Dort hat die GDL eine schrittweise Arbeitszeitverkürzung auf 35 Stunden bis 2028 vereinbart. Gleichzeitig sollen 2024 die Löhne um 420 Euro steigen.

In den Gesprächen im Streiklokal wird deutlich: Die Eisenbahner*innen fordern das Mehr an Freizeit nicht in erster Linie für sich selbst, sondern um junge Nachwuchskräfte für das Unternehmen zu gewinnen. »Momentan hören mehr Kollegen auf, als neu anfangen«, sagt ein Zugchef. Er betreut ehrenamtlich die Streikliste für die Beschäftigten des Fernverkehrs. Bis zum Mittag haben sich 66 Personen eingetragen.

Für ihn sei die Forderung nach der Fünfschichten- beziehungsweise Fünftagewoche mit anschließender 48-Stunden-Ruhepause entscheidend. »Ich arbeite zwar auch mal nur vier, aber in der Regel sechs Tage und bis zu 60 Stunden«, sagt er »nd«. Das in Kombination mit einer sehr kurzfristigen Dienstzuweisung mache die Lebensplanung sehr kompliziert. Das Leben werde nahezu gänzlich der Arbeit unterworfen. Die DGB-Gewerkschaft EVG (Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft) habe das Problem Arbeitszeit und Planung nie in Angriff genommen. »Deswegen bin ich zur GDL gewechselt«, sagt er.

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Das sei mal anders gewesen, sagt die Runde mit den leeren Kaffeetassen. Es hätte zum Beispiel einen fortlaufenden Handdienstplan gegeben. »Wir kennen noch die andere Bahn«, sagen die Eisenbahner*innen. Sie seien schon zu DDR-Zeiten für die Deutsche Reichsbahn gefahren. »Als die Stadtteile Ahrensfelde und Hohenschönhausen gebaut wurden, war das Erste, was stand, die Bahnanbindung«, sagt einer. Auch Mitte der 90er sei die Bahn noch gut in Schuss gewesen. Mittlerweile regiere im Staatskonzern aber eine »Geiz-ist-geil-Mentalität.« An der Umwandlung zur profitorientierten börsennotierten Aktiengesellschaft sei das geringe Interesse des Staates an der Rolle der Bahn als allgemeine Daseinsfürsorge ablesbar. Bahnfahrer*innen fürchten, dass eine Privatisierung und Zerschlagung der DB droht: »Dann werden die Perlen verkauft.«

Die EVG habe die Entwicklung bis heute mitgetragen, heißt es aus der Runde, deshalb seien auch sie zur GDL übergetreten. »Ohne das eigenständige Auftreten der GDL hätte sich in den letzten Jahren nichts geändert. Die EVG hätte nie nachgezogen und deren Tarifverträge sähen heute anders aus.«

Die EVG und die GDL konkurrieren innerhalb der DB. Laut Tarifeinheitsgesetz hat nur eine Gewerkschaft einen Rechtsanspruch darauf, dass ihr Tarif gilt: die, welche die meisten Mitglieder im jeweiligen Betrieb führt. Die DB lege einseitig fest, dass die EVG die Hoheit in den Betrieben habe, sagt Steffen Genz. »Ob das tatsächlich so ist, versuchen wir aktuell auf dem Klageweg feststellen zu lassen.« In Berlin und Brandenburg seien mehr als 50 Prozent der Gewerkschaftsmitglieder in der GDL, sagt Genz und blickt voraus: »Der Abschluss der GDL wird den Abschluss der EVG übertreffen. Die DB wird dann den GDL-Tarif auf alle Beschäftigten anwenden, um eine Mitgliederwanderung zur GDL zu verhindern.«

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