- Politik
- Rondenbarg-Prozess
Späte Abrechnung mit »BlockG20«
Dritter Anlauf eines großen G20-Verfahrens beginnt in Hamburg
Sieben Jahre nach dem G20-Gipfel beginnt am Donnerstag in Hamburg ein neuer Prozess im sogenannten Rondenbarg-Komplex. Die Bezeichnung meint das gleichnamige Gewerbegebiet, durch das rund 200 Demonstranten von einem Protestcamp im Altonaer Volkspark auf dem Weg in Hamburger Innenstadt gezogen waren. Der Zug wurde von Einheiten der Bundespolizei und der Polizei Hamburg brutal in die Zange genommen und gestoppt; es flogen Rauchbomben und Steine in Richtung der Angreifer, Verletzungen verzeichneten diese gut geschützten Einheiten aber nicht.
Teilweise erheblich verletzt wurden aber Demonstranten, die auf der Flucht vor dem Angriff über eine Mauer mit einem Absperrgitter klettern wollten und dabei rund vier Meter tief abgestürzt waren. Beim Hamburger Rettungsdienst ging deshalb eine Meldung mit dem Stichwort »Massenanfall von Verletzten« ein, 14 von ihnen mussten im Krankenhaus behandelt werden. Weitere 59 Personen wurden anschließend von der Polizei am Rondenbarg festgenommen.
Die brutale Angriff am Rondenbarg bleibt ungesühnt – bislang wurden alle Prozesse wegen Polizeigewalt beim G20-Gipfel eingestellt oder gar nicht erst verhandelt. Stattdessen müssen sich nun sechs der in Festgenommenen vor dem Landgericht verantworten. Ihnen werden versuchte gefährliche Körperverletzungen, Sachbeschädigung und die »Bildung einer bewaffneten Gruppe« sowie gemeinschaftlicher schwerer Landfriedensbruch vorgeworfen. Dabei soll es zu einem besonders schweren tätlichen Angriff auf Polizisten gekommen sein.
Mit unserem wöchentlichen Newsletter nd.DieWoche schauen Sie auf die wichtigsten Themen der Woche und lesen die Highlights unserer Samstagsausgabe bereits am Freitag. Hier das kostenlose Abo holen.
Konkrete Taten können den Beschuldigten aber nicht nachgewiesen werden. Vor Gericht geht es deshalb allein um die Teilnahme an dem aus Sicht der Behörden gewalttätig verlaufenen Aufzug. Zusammen hätten die Beteiligten einen »gemeinsamen Tatplan« gehabt – gemeint ist der Versuch, im Rahmen des Konzepts »BlockG20« auf verschiedenen Wegen die Innenstadt zu erreichen und dort gegen das Gipfeltreffen zu protestieren.
Dass es sich bei dem als »Finger« bezeichneten Aufzug im Rondenbarg um eine grundrechtlich geschützte Versammlung handelte, will die Staatsanwaltschaft in ihrer Anklageschrift nicht anerkennen. Darin ist durchgängig von einem einem »Schwarzen Block« oder einem »Aufmarsch« die Rede.
Die bloße Teilnahme an einer Versammlung auch dann, wenn diese einen gewaltsamen Verlauf nimmt, ist aber nicht strafbar. Darauf macht der Rechtsanwalt Lukas Theune vom Republikanischen Anwältinnen- und Anwälteverein mit Verweis auf den Landfriedensbruchparagrafen im Strafgesetzbuch aufmerksam. Darin heißt es, dass Gewalttätigkeiten gegen Menschen oder Sachen, wenn diese aus einer Menschenmenge »in einer die öffentliche Sicherheit gefährdenden Weise mit vereinten Kräften begangen werden«, mit bis zu drei Jahren Gefängnis oder einer Geldstrafe bestraft werden. Sowohl Täter als auch Teilnehmer an dieser »Menschenmenge« können auf diese Weise verfolgt werden.
Diese Rechtsprechung wurde jedoch in den 70er Jahren liberalisiert, erinnert der Anwalt Theune. »Nur diejenigen, die selbst als Täter oder Teilnehmende aktiv gewalttätig agieren, können sich nach der entschärften Fassung strafbar machen.«
Insgesamt will die Staatsanwaltschaft im Rondenbarg-Komplex über 80 Personen anklagen. Zuerst sollten die jüngsten Beschuldigten, die zum Zeitpunkt der Proteste minderjährig waren, vor Gericht stehen. Der erste Prozess gegen den Italiener Fabio platzte jedoch 2018, nachdem die Richterin in Mutterschutz ging, bis dahin saß der Angeklagte bereits fünf Monate in Untersuchungshaft. 2020 folgte ein Prozess gegen weitere fünf junge Angeklagte. Ein Jahr später entschied das Hamburger Landgericht, diese Verhandlungen aufgrund der Corona-Pandemie abzubrechen.
Laut Theune hat das Gericht gegen die nun sechs angeklagten Aktivisten 28 Verhandlungstermine angesetzt. Eine Initiative »Demonstrationsrecht verteidigen!« hat für jeden der Tage Kundgebungen vor dem Landgericht angekündigt. Am kommenden Samstag findet außerdem um 16 Uhr eine große Solidaritätsdemonstration in Hamburg statt.
Dabei wird es vermutlich nicht bleiben: Die Anwälte der Betroffenen wollen im Falle einer Verurteilung Revision einlegen und die beispiellose Aushebelung des Demonstrationsrechts vor den Bundesgerichtshof bringen.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.