Bewegung gegen G20: »Wir erlebten ein anderes Miteinander«

Eine Angeklagte spricht über den Hamburger Rondenbarg-Prozess und ihre Motivation, 2017 gegen das G20-Treffen zu protestieren

  • Interview: Sven Gerner
  • Lesedauer: 5 Min.
Im 7. Jahr nach dem G20-Gipfel werden in Hamburg immer noch Demonstranten verfolgt. Der erste Rondenbarg-Prozess ist nur der Anfang.
Im 7. Jahr nach dem G20-Gipfel werden in Hamburg immer noch Demonstranten verfolgt. Der erste Rondenbarg-Prozess ist nur der Anfang.

Warum sind Sie gegen den G20-Gipfel in Hamburg auf die Straße gegangen?

Grundsätzlich bin ich einfach nicht einverstanden mit dem Zustand der Welt. Man muss ja nicht weit gucken, um zu sehen, dass wir in fürchterlichen Verhältnissen leben. Da ließe sich jetzt ganz viel aufzählen: das tägliche Elend, die strukturelle Gewalt, die sich in so vielen Facetten zeigt, rund um den ganzen Erdball. Wir sind ja auch selber darin gefangen, werden ausgebeutet und unterdrückt. Wieso sollte man sich damit abfinden?

Was haben Sie konkret gegen ein Treffen von Staatschefs?

Die G20 sind nicht Teil der Lösung. Sie sind Ausdruck der Machtverhältnisse und Widersprüche dieser Gesellschaft. Offiziell haben sie sich gegründet, um die Wirtschafts- und Finanzkrisen besser zu managen. Das ist natürlich Humbug, die Probleme sind schließlich systembedingt. Stattdessen geht es darum, ihre Interessen auszufechten, also die der verschiedenen Fraktionen des Kapitals. So ging es auf dem Treffen in Hamburg um Absatzmärkte in afrikanischen Ländern. Weite Teile der öffentlichen Daseinsvorsorge wurden privatisiert und für das Kapital geöffnet – die Grenzen für Menschen auf dem Weg nach Europa dagegen geschlossen und militarisiert.

Interview

Gaby (Name geändert) ist Anfang 30 und gehört zu den Angeklagten, die ab 18. Januar vor dem Hamburger Landgericht stehen. Sie möchte ihren Namen nicht öffentlich angeben, weil sie dadurch Nachteile in ihrem beruflichen Alltag erwartet.

Was haben Sie 2017 in Hamburg erlebt?

Solidarität, Mut, Entschlossenheit. Das mag jetzt vielleicht platt klingen oder pathetisch oder nichtssagend. Aber das ist tatsächlich das, woran ich bei dieser Frage gerade denke. Das habe ich erlebt, auf der Straße und im Knast. Statt ohnmächtig und verdrossen, vereinzelt und allein alles über sich ergehen zu lassen, realisierten die Menschen ein anderes Miteinander und zeigten eine Perspektive auf, wie eine Gesellschaft auch sein könnte. Es gab so viele Proteste mit über 100 000 Menschen. Das war und bleibt beeindruckend.

Sie waren auch in Polizeigewahrsam? Wie war es dort?

Im Knast bist du der Staatsmacht ausgeliefert, dir soll jede Entscheidung, jede noch so kleine Freiheit genommen werden. Rechtsbrüche sind an der Tagesordnung. Sie wollen dich zum passiven Objekt degradieren. Aber das ging nicht auf. Ich hatte das Glück, in den drei Tagen nicht alleine zu sein, sondern mit Hunderten anderen Genoss*innen. Wir haben durch die Zellenwände hindurch lauthals gesungen und so die Isolation durchbrochen und gemerkt: Wir können auch hinter Gittern handlungsfähig bleiben.

Welche Konsequenzen ziehen Sie aus diesen Erfahrungen?

Im Detail lernt man natürlich immer ein bisschen dazu. Man reflektiert, sortiert, kritisiert. Und macht damit im besten Fall konstruktiv weiter. Die Proteste waren richtig und wichtig. Es ist klar, dass sich die herrschende Klasse schützen muss, um uns weiter auszubeuten. Repression gehört daher nun mal leider dazu. Die muss aber nicht zwangsläufig zerstörend wirken, sie kann auch ins Gegenteil gekehrt werden und stärkend sein für alle. Die Solidarität, die wir gerade erfahren, die Zeit und Energie, die so viele Menschen aufbringen, das ist unglaublich.

An diesem Donnerstag beginnt der Prozess gegen Sie und fünf weitere Personen. Was wird Ihnen vorgeworfen?

Die Staatsanwaltschaft meint, dass wir Angeklagte Teil eines »Aufzugs« waren, strafbare Handlungen gebilligt und uns dadurch zu Mittätern gemacht haben. Wenn man genau hinguckt, wird uns im Grunde aber nur vorgeworfen, am Morgen des 7. Juli 2017, als die Zufahrtswege zum G20-Gipfel blockiert wurden, bei einem Protestzug von etwa 200 Personen gewesen zu sein. Als dieser dann am Rondenbarg – das ist eine Straße in einem Industriegebiet in Hamburg – von der Polizei eingekesselt wurde, sollen 14 Steine geworfen und vier Feuerwerkskörper angezündet worden sein. Daraufhin wurde die Demo in Sekundenschnelle mit krasser Brutalität – und entsprechend vielen Verletzten – von der Polizei zerschlagen.

Wegen welcher konkreten rechtlichen Verstöße werden Sie angeklagt?

Es heißt, alle, die dort anwesend waren, hätten »gemeinschaftlichen Landfriedensbruch in einem besonders schweren Fall in Tateinheit mit tätlichem Angriff auf Vollstreckungsbeamte im besonders schweren Fall, versuchter gefährlicher Körperverletzung, Bildung bewaffneter Gruppen und Sachbeschädigung« begangen. So lauten zumindest die juristischen Anklagepunkte.

Was ist dran an diesen Vorwürfen der Staatsanwaltschaft?

Der Clou ist, dass sie niemandem vorwirft, selber etwas Konkretes getan zu haben. Das ist auch das Bedeutende an diesem Prozess – politisch und historisch. 1970 kam es zu einer Reform des Landfriedensbruchparagrafen. Bis dahin war tatsächlich die bloße Anwesenheit in einer sogenannten unfriedlichen Versammlung strafbar. 1970 wurde dann explizit festgeschrieben, dass die aktive Ausübung von Gewalt persönlich nachgewiesen werden muss. Diese Änderung fiel nicht vom Himmel, sondern war eine Folge der Proteste in den 60er Jahren. Diese Reform soll nun mit dem Pilotverfahren gegen uns zurückgedreht werden – über eine Entscheidung der Judikative.

Warum ist die Hamburger Staatsanwaltschaft da so hartnäckig hinterher?

Spannende Frage, da können wir alle viel vermuten und doch nicht in ihre Köpfe reingucken. Tatsache ist aber, dass die Staatsanwaltschaft die genannte Rechtsfrage, also die Einschränkung des Demonstrationsrechts, neu klären will. Letztlich geht es meiner Einschätzung nach auch darum, die Einschnitte in die Versammlungsfreiheit der vergangenen Jahre zu legitimieren – wie die zahlreichen Demoverbote, Fahnenverbote, Parolenverbote. Da soll eine Entwicklung, die bereits Praxis ist, juristisch untermauert werden. Und das wird wiederum von Nutzen sein gegen zukünftige Proteste. Andererseits geht es auch weiterhin darum, die millionenschwere Absicherung des Gipfels und die polizeilichen Angriffe zu rechtfertigen, das Narrativ von Linken als angeblich sinnlosen Gewalttätern festzuschreiben, also die Anliegen und Aktionen zu entpolitisieren. Wenn ich dann an den enormen Aufwind und die Stärke der Rechten denke, denen das nützt, wird mir schlecht.

Was erwarten Sie von dem Gerichtsverfahren?

Es ist ein politisch motiviertes Verfahren. Ich erwarte alles, was damit einhergeht, wie unter Polizisten abgesprochene Zeugenaussagen. Und natürlich nicht so etwas wie Gerechtigkeit. Wir leben schließlich noch immer in einer Klassengesellschaft. Die Justiz ist Teil davon. Wir sind nicht frei und gleich unter diesen Bedingungen. Aber es gibt einen Spielraum und ich hoffe, dass wir es schaffen, dass der zugunsten der bürgerlichen Freiheiten ausfällt, statt der repressiven Entwicklung noch mehr Türen und Tore zu öffnen.

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