Argentinien: Milei stößt auf Widerstand

Gewerkschaften machen mobil gegen den Angriff auf die Arbeitsrechte und ihre Sozialversicherungsträger

  • Jürgen Vogt, Buenos Aires
  • Lesedauer: 5 Min.

»Unser Ziel ist es, das Präsidentendekret und das Mega-Gesetz zu kippen«, erklärte Pablo Moyano, Vorsitzender der mächtigen Transportarbeitergewerkschaft Camioneros. Der Höhepunkt des für Mittwoch angekündigten zwölfstündigen Ausstands in Argentinien ist ein Protestmarsch zum Kongressgebäude im Zentrum der Hauptstadt Buenos Aires. Soziale Basisorganisationen, kleine linke Parteien und die peronistische Opposition haben ihre Unterstützung zugesagt.

Die Regierung hat bereits einen Lohnabzug angekündigt. »Das Streikrecht ist garantiert, aber ein Staatsbediensteter, der nicht zur Arbeit kommt, wird nicht bezahlt«, sagte Regierungssprecher Manuel Adorni. Auf mangelnde Transportmöglichkeiten kann sich niemand berufen. Das gilt auch für die Privatbeschäftigten. Busse und Bahnen stehen am Mittwoch erst ab 19 Uhr still. Kindergärten, Schulen und Universitäten sind wegen der Sommerferien ohnehin geschlossen. Der Grad der Mobilisierung wird daher mit Spannung erwartet.

Entlassungen erleichtern, Streikrecht schleifen

Auch mit dem Umfang und der Geschwindigkeit seiner Maßnahmen bricht der neue Präsident Javier Milei Rekorde. Unmittelbar nach seinem Amtsantritt am 10. Dezember ordnete er eine Abwertung des Pesos um 55 Prozent gegenüber dem Dollar und das Auslaufen sämtlicher Preisregulierungsvereinbarungen an. Nur eine Woche später erließ er ein Dekret über die Notwendigkeit und Dringlichkeit einer Liberalisierung der Wirtschaft mit über 350 Deregulierungsmaßnahmen, darunter auch Änderungen des Arbeitsrechts. Entlassungen sollen erleichtert, Abfindungen gekürzt und das Streikrecht eingeschränkt werden.

Und wiederum nur eine Woche später legte er dem Kongress ein 664 Artikel umfassendes Mega-Gesetz, das sogenannte Omnibus-Gesetz (Maßnahmen als bunter Mix wie die Fahrgäste in einem Omnibus, d. Red.) vor, das neben umfangreichen Privatisierungs-, Wirtschafts-, Wahl-, Sozial- und Bildungsmaßnahmen auch eine weitreichende Umstrukturierung der staatlichen Verwaltung vorsieht. Und es würde dem Präsidenten legislative Sondervollmachten bis zum Ende seiner vierjährigen Amtszeit einräumen. Damit würde faktisch die Gewaltenteilung aufgehoben. Laut Milei ist dies alles notwendig, um das Haushaltsdefizit zu verringern und die Inflation langfristig zu senken.

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Ausmaß und Eile haben für einen veritablen Überraschungseffekt gesorgt. Die Gegenreaktion formiert sich erst allmählich, zumal sich das Land im Urlaubsmodus befindet. Die parlamentarische Machtbasis des Präsidenten ist jedoch äußerst begrenzt. Im Kongress verfügt er über weniger als zehn Prozent der Senatsmandate und nur 15 Prozent der Mandate im Abgeordnetenhaus. In keiner der 23 Provinzen stellt seine Partei den Gouverneur und auch keinen Bürgermeister in einer der wichtigsten Städte.

Die ersten Folgen von Mileis Politik sind gravierend. Im Dezember schoss die Inflationsrate auf 25,5 Prozent in die Höhe, wie das nationale Statistikamt Indec mitteilte. Im Vormonat hatte sie noch bei 12,8 Prozent gelegen. Die Jahresinflation für 2023 stieg damit auf 211 Prozent, den höchsten Jahreswert seit 1990. »Der sprunghafte Anstieg der Inflation seit der Peso-Abwertung im Dezember hat die Kaufkraft der Löhne und Gehälter pulverisiert«, heißt es in einem Bericht der Gewerkschaft Central de Trabajadores de la Argentina (CTA).

Mit knapp 30 Prozent war der Preisanstieg bei Lebensmitteln sogar höher als bei anderen Waren und Dienstleistungen. Dem CTA-Bericht zufolge ist der Kaufkraftverlust des Mindestlohns daher größer, da er hauptsächlich für den Kauf von Lebensmitteln verwendet wird. Seit der Abwertung des Peso entspricht der Mindestlohn dem Gegenwert von 150 Dollar und ist damit einer der niedrigsten in Lateinamerika.

Kaufkraftverlust und Inflation gehen am Rio de la Plata jedoch schon lange Hand in Hand. Offiziellen Zahlen zufolge sanken die Reallöhne im formellen Sektor in den vier Jahren des konservativen Präsidenten Mauricio Macri (2015-2019) um 21 Prozent und in der Amtszeit des gemäßigt linken Alberto Fernández (2019-2023) um sechs Prozent. Aber in nur einem Monat Milei sind die Reallöhne um 13 Prozent gefallen. Argentiniens neue Arme sind Beschäftigte, deren Gehälter und Löhne nicht mehr bis zum Monatsende reichen.

Streiken für den Inflationsausgleich

Grund genug für die Gewerkschaften, für inflationsausgleichende Maßnahmen zu streiken. Doch am Mittwoch geht es vorrangig gegen das Mega-Gesetz und das Präsidentendekret. Vor allem letzteres ist den Gewerkschaftsbossen ein Dorn im Auge. Seit der Militärdiktator Juan Carlos Onganía (1966-1970) den Gewerkschaften das Recht eingeräumt hat, eigene Sozialwerke einzurichten, darunter auch Krankenkassen, vertreten sie nicht nur die Interessen der Beschäftigten, sondern sind Großunternehmen im Gesundheitsbereich und Eigentümer großer Gesundheitseinrichtungen geworden, die über milliardenschwere Kassen verfügen. Seither müssen die Beiträge der formell Beschäftigten im privaten und öffentlichen Sektor über eine Sozialversicherung abgewickelt werden, die einer Gewerkschaft der jeweiligen Branche gehört. Die damit einhergehende Vettern- und Amigowirtschaft erklärt, warum manche Gewerkschaftsbosse seit Jahrzehnten im Amt sind oder ihre Nachfolge innerfamiliär geregelt wird, wie etwa im Fall der Transportarbeitergewerkschaft der Moyano-Familie.

Der gewerkschaftseigene Sozialversicherungsträger behält den gesamten Beitrag oder, wenn der Arbeitnehmer bei einem anderen Versicherer versichert ist, einen erheblichen Anteil ein. Der Wechsel zu einer Krankenkasse eigener Wahl ist nicht verboten, scheitert aber meist an den bürokratischen Hürden der Gewerkschaften. Mileis Dekret macht damit Schluss. Zukünftig soll den Beschäftigten die direkte Überweisung ihres Beitrags an eine selbst gewählte Krankenkasse erlaubt werden.

Die Gewerkschaften befürchten einen deutlichen Rückgang der Beitragszahlungen. Gut verdienende Mitglieder könnten in die teureren privaten Krankenkassen wechseln, während die Geringverdiener in den Gewerkschaftskassen verbleiben, mit allen negativen Folgen für die gewerkschaftseigenen Einrichtungen. Eine einvernehmliche Lösung dieses Konflikts ist schwer vorstellbar. Den Gewerkschaften ist es gelungen, durch eine einstweilige Verfügung des Gerichts die Teile des Dekrets zum Arbeitsrecht vorerst auszusetzen.

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