PFAS: Für ewig im Boden und Grundwasser

Giftige PFAS reichern sich in der Umwelt an und belasten die Gesundheit. Nun sollen sie schrittweise verboten und ersetzt werden

  • Susanne Aigner
  • Lesedauer: 7 Min.
Feuerlöschschäume können giftige per- und polyfluorierte Alkylsubstanzen (PFAS) enthalten. Sie sollen nach Möglichkeit durch fluorfreie Alternativen ersetzt werden.
Feuerlöschschäume können giftige per- und polyfluorierte Alkylsubstanzen (PFAS) enthalten. Sie sollen nach Möglichkeit durch fluorfreie Alternativen ersetzt werden.

Per- und polyfluorierte Alkylsubstanzen (PFAS) – auch bekannt als PFC – sind besonders langlebige, komplexe Verbindungen mit starken Kohlenstoff-Fluor-Bindungen, die eine effiziente Zersetzung verhindern. Von ihnen gibt es mehr als 10 000 Varianten. Die langlebigen Substanzen kommen in Lebensmittelverpackungen, Kochgeschirr, regendichter Kleidung, Textilien zum Einsatz, in Möbeln, Toilettenpapier sowie in Kältemitteln, die bis vor Kurzem in Wärmepumpen verwendet wurden. Zunehmend finden sie sich aber auch dort, wo sie unerwünscht sind: im Abwasser, im Grund- und Trinkwasser und in Lebensmitteln.

Eingesetzt wurden die Stoffe erstmals in den 50er Jahren. Rund zehn Jahre später entdeckte ihr wichtigster Hersteller, der Chemiegigant DuPont, dass PFAS bei Ratten und Hasen die Leber vergrößern. Schließlich wurden die Stoffe im Blut der Mitarbeiter nachgewiesen.

Bei ihrer Verarbeitung in der Industrie gelangen PFAS über Abgase und Abwasser in die Luft und ins Wasser. Über Regen, Schnee und landwirtschaftliche Bewässerung dringen sie in die Böden ein und belasten über die Nahrungsketten auch Lebensmittel.

Einer Studie von 2023 zufolge sind PFAS im Trinkwasser weltweit ein Problem für die menschliche Gesundheit. Beispielsweise untersuchten Wissenschaftler in den USA Trinkwasserproben, in denen sie die giftigen Stoffe in 45 Prozent aller Fälle nachwiesen. Die äußerst langlebigen Giftstoffe wirken über Jahrzehnte hinweg: Hoch konzentriert im Blut schaden sie Schilddrüse, Leber und anderen Organen. Einige PFAS-Verbindungen können Krebs verursachen, Impfwirkungen und Fruchtbarkeit mindern sowie Immunschwächen bei Kindern auslösen. Zudem begünstigen sie Fettleibigkeit und Übergewicht, Bluthochdruck, Zucker- und Fettstoffwechselstörungen.

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Entlegene Fundstellen

Lange Zeit wurden die giftigen Substanzen auch in Löschschaum von Feuerlöschern verwendet, von wo aus sie in die Böden sickerten. Über Flüsse und Meere verteilten sie sich bis an die entlegensten Orte der Welt. Übers Regenwasser gelangten sie bis nach Tibet oder in die Arktis. So wurden die Gifte nicht nur in menschlichem Blut, in Muttermilch und Pflanzen gefunden, sondern auch in Eisbären.

Zahlreiche Studien wiesen PFAS in Abwässern oder Flüssen unterhalb von Kläranlagenabläufen nach. Zudem fanden französische Wissenschaftler am Nancy Laboratory for Hydrology 2016 Rückstände in Abwässern von Anlagen, in denen die Stoffe hergestellt werden. Über Klärschlamm, der in der Landwirtschaft als Dünger ausgebracht wird, gelangen sie in den Boden.

Vor zehn Jahren entdeckte man in der Gegend um Rastatt und Baden-Baden Wasser mit giftigen Fluorverbindungen, berichtete der »Deutschlandfunk«. Wie sich herausstellte, waren 470 Hektar Ackerland mit den problematischen Stoffen belastet. Ganz in der Nähe, auf einer Fläche am Rand der Kiesgrube, wurden ebenfalls extrem hohe PFC-Werte festgestellt. Die Gifte waschen sich langsam durch das Regenwasser ins Grundwasser hinein. Der Grundwasserstrom bringt sie in die Baggerseen, wo sie sich schließlich auch in Fischen anreichern. Über das Grundwasser haben die Chemikalien längst auch nicht direkt mit den Stoffen belastete Flächen vergiftet. Mehr als 60 Landwirte waren davon betroffen, darunter auch Biobauern. Das Problem des chemikalienhaltigen Wassers, mit dem sie ihre Felder bewässern, wird sie vermutlich noch über Jahre, wenn nicht Jahrzehnte begleiten.

Kurzkettige PFC können auch von Pflanzen aufgenommen werden. Experten vom Hessischen Landeslabor ließen Mais, Gerste, Weizen und Weidelgras in kontaminierter Erde wachsen lassen: Je nach Schadstoffgehalt im Boden war ihr Wuchs schon rein äußerlich beeinträchtigt. Bei Weidelgras und Weizen fanden die Forscher in konzentrierter Form Nekrosen. Zudem hatten Pflanzen, die sehr hohen Konzentrationen ausgesetzt waren, einen besonders geringen Ertrag.

Industriestandorte am meisten belastet

In Deutschland werden PFAS derzeit an sechs Standorten hergestellt: in Leverkusen, Bad Wimpfen, Frankfurt/Main sowie im bayerischen Chemiepark Gendorf. Das Risiko ist groß, dass in und um diese Fabriken herum die Umwelt massiv verseucht ist. Alle Produzenten – bis auf Archroma in Gendorf – versichern, dass sie sich an die gesetzlichen Vorschriften halten und sich um eine Reduzierung der Schadstoffe bemühen. Allerdings kündigte Dyneon – Tochterfirma des Konzerns 3M – kürzlich an, in Gendorf bis Ende 2025 aus der PFAS-Produktion auszusteigen.

Während in einigen US-Bundesstaaten und in Frankreich Umweltbehörden gezielt nach PFAS-Rückständen suchen, testen in Deutschland nur einzelne Behörden wie etwa das Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz in Nordrhein-Westfalen regelmäßig das Wasser in der Nähe von Industriestandorten.

Europaweit sind mehr als 17 000 Orte mit PFAS kontaminiert, darunter gut 2000 Hotspots mit erheblichen Gefahren für die menschliche Gesundheit. Vor einem Jahr erfassten Reporter von NDR, WDR und »Süddeutscher Zeitung« in Deutschland im Rahmen des europaweiten »Forever Pollution Project« mehr als 1500 mit PFAS verschmutzte Orte. Darunter waren 300 besonders stark belastete Hotspots wie Flughäfen und Militärstandorte, an denen PFAS-haltiger Löschschaum eingesetzt wurde, oder Kläranlagen und Deponien, in denen sich Abwässer und Gegenstände sammeln.

Auch die Textilindustrie, die Metallveredelung oder Altpapier verarbeitende Betriebe setzen die giftigen Substanzen teilweise ein oder verwenden mit PFAS kontaminierte Rohstoffe. In deren Umgebung sind Luft, Böden, Trinkwasser und folglich auch dort angebaute Nahrungsmittel wie etwa Gemüse hoch belastet, wie Untersuchungen nahelegen.

Die schwer abbaubaren Substanzen können nur mit sehr hohem Aufwand entfernt werden. Würden etwa in der Umgebung von Rastatt nur die obersten 60 Zentimeter des Bodens abgetragen, so dürfte das auf der gesamten Fläche über zwei Milliarden Euro kosten. Eine Studie des Nordischen Ministerrates, in dem die Länder Dänemark, Finnland, Norwegen, Schweden und Island vertreten sind, schätzt die Kosten für eine Sanierung der flächendeckenden Verseuchung allein für Europa auf 17 Milliarden Dollar.

Noch höher liegen demnach die jährlichen Kosten für die Behandlung der gesundheitlichen Folgen. Dabei ist eine umfassende Sanierung der kontaminierten Orte so gut wie nicht möglich. So wurde 2020 hierzulande nur bei weniger als einem Prozent aller PFAS-Verdachtsfälle die Sanierung abgeschlossen. An vielen belasteten Orten wurden noch nicht mal die Anwohner informiert, abgesehen von einzelnen Info-Veranstaltungen an Orten, an denen die Böden besonders schwer kontaminiert waren.

Suche nach harmlosen Ersatzstoffen

Derzeit forschen vier von der EU geförderte Projekte nach unschädlichen Alternativen. So beschäftigt sich etwa das Projekt »ZeroF« mit Ersatzstoffen für Lebensmittelverpackungen und Textilien. An der Entwicklung von öl- und wasserabweisenden sowie abriebbeständigen Beschichtungen für Textilien ist auch das Fraunhofer Institut für Silicatforschung maßgeblich beteiligt. Mit einer neuen Stoffklasse von Lacken mit der Bezeichnung »ORMOCER« etwa soll ein vielseitiges Basismaterial mit zellulosebasierten Materialien kombiniert werden.

Die Herausforderung bestehe darin, eine wasserabweisende Beschichtung für Textilien herzustellen, die gleichzeitig als wasserbasierte Lösung appliziert werden kann, erklärt Projektleiterin Claudia Stauch. Demzufolge besitzen die Lackbeschichtungen sehr gute Verarbeitungs-, Oberflächen- und Barriereeigenschaften. Anorganische und organische Materialeigenschaften lassen sich in ihnen gut kombinieren.

Vermeidung von PFAS im Alltag

Konsumenten sollten auf den Kauf von Produkten mit per- und polyfluorierten Alkylsubstanzen möglichst verzichten. Auch sind Fisch, Meeresfrüchte, Fleisch und Eier häufig mit PFAS belastet, weshalb man sie nur in Maßen und nicht öfter als zweimal wöchentlich essen sollte. Innereien sollten gar nicht oder nur selten verzehrt werden. Darüber hinaus sind für Lebensmittel wiederverwendbare Verpackungen aus Glas, Keramik oder Metall zu verwenden.

Beim Neukauf von Outdoor-Kleidung, Schuhen und Imprägniermitteln ist auf Hinweise wie »fluorfrei«, »frei von PFC« oder »ohne PFAS« zu achten. Zudem sind Textilien, Teppiche etc. mit den Verweisen »fleckgeschützt«, »wasserabweisend«, »ölabweisend« und Kosmetika mit »fluoro« im Namen zu meiden.

Zwar sind die Stoffe PFOS und PFOA, die ebenfalls zur PFAS-Gruppe gehören, bereits verboten. Jedoch: Werben Hersteller auf ihren Produkten mit den Aufschriften »PFOA/PFOS-frei« oder »GenX-frei«, enthalten diese oft andere PFAS, warnt die Verbraucherzentrale.

Nun prüft die europäische Chemikalienagentur ECHA ein weitgehendes Verbot der Giftstoffe: Vor einem Jahr stellte die EU-Behörde einen Vorschlag von Fachbehörden aus fünf Ländern vor, darunter das deutsche Umweltbundesamt, die gesamte Stoffgruppe der PFAS zu verbieten. Mit einer Übergangsfrist von wenigen Jahren sollen die mehr als 10 000 PFAS dem Vorschlag zufolge nicht mehr verwendet werden dürfen. Allerdings ist dieses Verbot inkonsequent, denn Ausnahmen für Arzneimittel und Pflanzenschutzmittel sollen gestattet bleiben. Wenn die wissenschaftliche Prüfung der ECHA abgeschlossen ist, muss die EU-Kommission einen entsprechenden Gesetzesentwurf erarbeiten, der dann noch von den Mitgliedstaaten abgestimmt wird.

Ein Selbstläufer ist das Verbot damit noch nicht. Ein Antrag der CDU-Fraktion vom Dezember, dass die Bundesregierung einen pauschalen Bann für die PFAS ablehnen möge, zeigt schon jetzt, dass mit Gegenwind zu rechnen sein wird.

PFAS in Alltagsprodukten
  • Antihaftbeschichtung von Pfannen, Waffel­eisen, Raclette-, Backformen, Backpapier
  • Einwegverpackungen (z. B. Pizza- und Burger-Boxen)
  • Zahnseide
  • Kosmetika (selten)
  • Pflanzenschutzmittel
  • Teppiche und Polstermöbel
  • Imprägniersprays für Textilien und Leder gegen Nässe, Öl und Schmutz
  • Wachse und Schmiermittel (z. B. Skiwachs)
  • Antibeschlagmittel (z. B. für Brillen)
  • Fotopapier und Klebeetiketten
  • Spezialfarben und -lacke
  • Feuerlöschschäume
  • Elektronische Geräte
  • Wärmepumpen
  • Outdoorkleidung und -schuhe

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