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Auch die Vagina hat ein Mikrobiom
Ein internationales Citizen-Science-Projekt kartiert die vaginale Mikrobengemeinschaft
Am 24. März 2020 hieß es beim Forschungsprojekt »Isala« der Universität Antwerpen: »200 Vaginas gesucht«. Damit startete, was sich zum größten Kartierungsprojekt des Mikrobioms der Vagina entwickeln sollte – mit inzwischen zahlreichen Ablegern in verschiedensten Ländern. Das Mikrobiom, das ist die spezifische Gemeinschaft von Mikroorganismen, die ein Organ besiedeln. Ungleich bekannter ist wohl mittlerweile das Mikrobiom des Darms, aber genauso haben Menschen ein jeweils eigenes Mikrobiom im Mund, auf der Haut oder eben in der Vagina.
Bereits seit über hundert Jahren ist bekannt, dass in der Vagina ein saures Milieu herrscht, das in der Regel von Lactobacillus-Arten bestimmt wird. Im Jahr 1892 veröffentlichte der Arzt Albert Döderlein einen Aufsatz mit dem Titel »Das Scheidensekret und seine Bedeutung für das Puerperalfieber«, in dem er die Entdeckung von Milchsäurebakterien in der Vagina beschrieb. Seitdem ist im Hinblick auf das vaginale Mikrobiom nicht so viel passiert – was die Forscher*innen aus Belgien ändern wollten.
Das Forschungsprojekt Isala unter Leitung von Sarah Lebeer rannte mit seinem Aufruf offene Türen ein. Innerhalb von zwei Stunden meldeten sich 200 Freiwillige. Aufgrund des großen Zulaufs wurde das Projekt kurzfristig auf über 5500 Teilnehmer*innen erweitert. Den Frauen oder anderen Personen mit Vagina wurden die nötigen Materialien zugeschickt, um bei sich selbst einen Abstrich vorzunehmen. Über 3300 Proben kamen zurück und konnten im Labor analysiert werden. Aus diesen konnten die zehn wichtigsten Bakterien identifiziert werden, neben Lactobacillus-Arten auch Species von Prevotella, Gardnerella, Streptococcus, Bifidobacterium, Limosilactobacillus und Anaerococcus.
Wie Lebeers Team nun im Fachjournal »Trends in Microbiology« berichtet, ließen sich fünf Typen von gesunden Mikrobiota charakterisieren, wobei die Typen nach der jeweils dominanten Bakterienart benannt wurden. In vier Fällen gehörten diese zur Gruppe der Lactobacillus. Der fünfte Typ war aber eine Mixtur anderer Bakterienarten und zehn Prozent aller Teilnehmerinnen ließen sich nicht in eine dieser fünf Kategorien einordnen.
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Der Erfolg von Isala sei zwei Faktoren zu verdanken, glaubt Projektkoordinatorin Sandra Condori. Die Verbesserung der Technologien zu DNA-Sequenzierung in den letzten zehn bis 15 Jahren, hätte das Interesse verstärkt, an Mikrobiota zu forschen. »Außerdem habe ich festgestellt, dass die Frauengesundheit immer mehr ins Blickfeld rückt«, sagt Condori und fürgt hinzu: »Isala war die erste Studie, die das vaginale Mikrobiom unter Verwendung eines Citizen-Science-Ansatzes untersuchte, was bedeutet, dass Frauen in den gesamten Prozess einbezogen wurden. Die Teilnehmerinnen schlugen sogar Fragen für die Umfrage vor, und sie erhielten später die Ergebnisse.«
Die Forscher*innen der Universität Antwerpen wollen jedoch nicht nur das Mikrobiom kartieren, sondern auch herausfinden, welche Typen von Mikrobiota gesund sind und was deren Zusammensetzung beeinflusst. Für die Mehrzahl der belgischen Frauen konnten sie die wichtige Rolle von Milchsäurebakterien bestätigen. »In der Vagina machen diese Bakterien eigentlich das Gleiche wie im Joghurt. Denn sie nutzen Glykogen, eine Zuckerart, die sich auch in der Scheiden- und Gebärmutterwand befindet, als Nährstoff und wandeln ihn in Milchsäure um. Dank der Laktobazillen hat eine gesunde Vagina also einen niedrigen Säuregehalt, was im Kampf gegen krankheitserregende Bakterien oder Viren äußerst wichtig ist«, heißt es auf der Internetseite des Projekts.
»Frauengesundheit rückt immer mehr ins Blickfeld.«
Sandra Condori Projektkoordinatorin
Aber nicht nur das Mikrobiom ist von Person zu Person unterschiedlich, seine Zusammensetzung variiert bei rund 30 Prozent der Frauen auch je nach Zyklusphase, wie in einer vertiefenden Untersuchung mit einer geringeren Teilnehmendenzahl festgestellt werden konnte. Weiterhin spielten Alter, Schwangerschaften, Verwendung von Menstruationsprodukten, sexuelle Aktivität und Ernährung eine Rolle.
Die Wissenschaftler*innen wollten ihren Blick aber auch über Europa hinaus richten. Vor allem in Ländern mit niedrigen bis mittleren Einkommen habe es bislang keine Studien zu dem Thema gegeben, sagt Condori. Das sollte sich aber im Laufe des Isala-Projekts ändern. Condori, die selbst aus Peru stammt, rief dort als Schwesterprojekt von Isala das Projekt Laura ins Leben. Andere Schwesterprojekte starteten in der Schweiz, in Spanien, Frankreich, Großbritannien, Kamerun, Marokko, Uganda, Südafrika und Nigeria. Die größte Schwierigkeit der Projekte sei, eine entsprechende Finanzierung zu finden. In Kanada sei etwa gerade ein Antrag abgelehnt worden.
In den Projekten, in denen bereits Proben gesammelt wurden, gestaltete sich dies recht verschieden, erzählt Condori. »Als wir in Peru 2023 den Teilnehmerinnen unsere Ergebnisse übergeben wollten, dachten wir, dass sie sich wegen des Tabus nicht treffen würden, aber sie sagten: Nein, nein, lasst uns alle zusammenkommen. Das hat mich sehr gefreut.« Im Kameruner Projekt, das im ländlichen Raum durchgeführt wurde, habe die Leiterin zunächst die jeweiligen Dorfvorsteher treffen müssen. Erst danach habe sie mit den Frauen über das Vorhaben sprechen dürfen.
Neben dem Zugang zu einem vielfältigen Pool an genetischen Proben leistet der Citizen-Science-Ansatz aber noch viel mehr, ist gleichzeitig Aufklärung über Frauengesundheitsthemen und Überwindung von Tabus. Der Blog des belgischen Projekts bietet die Möglichkeit, sich über Themen wie den Gebrauch von Menstruationstassen, Probleme mit der Menstruation oder Erfahrungen mit verschiedenen Verhütungsmethoden auszutauschen. In Peru würden schriftliche Kommunikationskanäle wie ein Blog hingegen nicht so gut funktionieren, weil wenig gelesen werde, meint Condori. Stattdessen würden kurze Videoclips verbreitet. Unabhängig von der jeweiligen Form aber gelte: »Wir müssen noch viel Aufklärungsarbeit leisten und Frauen empowern, mehr über ihren eigenen Körper zu wissen.«
Unter dem Dach von Isala werden derweil weiter Mikrobiota kartiert, während einzelne Forscher*innen sich spezifischen Zusammenhängen widmen. Etwa, ob Mütter und Töchter ein ähnliches Mikrobiom haben. Oder wie sich häufige vaginale Infektionen und das jeweilige Mikrobiom gegenseitig bedingen. Und ob sich mit der Gabe von Lactobacilli Abhilfe schaffen ließe.
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