- Wissen
- Großbritannien
Bergarbeiterstreik 1985: An die Wand genagelt
Vor 40 Jahren endete der legendäre einjährige Streik der britischen Bergarbeiter – und mit ihm der Klassenkompromiss der Nachkriegszeit
Unter dem Applaus Tausender Unterstützer*innen und mit erhobenen Köpfen kehrten die britischen Bergarbeiter am 5. März 1985 wieder in die Gruben zurück, die von ihren Frauen mit roten Nelken – der Blume der Helden – geschmückt worden waren. Dieses live in der »BBC« übertragene Szenario, von ihrer Gewerkschaft, der National Union of Mineworkers (NUM), minutiös vorbereitet, konnte aber dennoch nicht über das Scheitern hinwegtäuschen. Einer der »längsten, härtesten und wahrscheinlich bittersten Streiks, den die Welt gesehen hat«, so NUM-Chef Arthur Scargill später, hatte in einer verheerenden Niederlage geendet – und dies nicht nur für die Streikenden selbst. Denn anders als 1972, als die Miners die den britischen Klassenkompromiss infrage stellende konservative Regierung unter Edward Heath hatten in die Knie zwingen können, bedeutete ihre Niederlage nun den Auftakt zu immer neuen Wellen sozialer Angriffe auf die Lohnabhängigen in Großbritannien.
Das letzte Aufbäumen
Ganz einfach war es allerdings für die seit 1979 wieder regierenden Tories und ihre neue Premierministerin Margaret Thatcher nicht gewesen. Ein Jahr hatten sie gebraucht, um ihr neoliberales »New Britain« gegen die traditionell widerspenstigste Bastion der britischen Arbeiterklasse durchzukämpfen. Umso euphorischer fiel ihre Reaktion nach dem Triumph aus. »An die Wand genagelt« habe Thatcher Scargill, höhnte Schatzkanzler Nigel Lawson im Namen des Kabinetts noch an jenem 5. März. »Jedes Pfund« – nach den Berechnungen des Labour-Abgeordneten und ehemaligen Energieministers Tony Benn waren es immerhin 8 Milliarden Pfund, mehr als 30 Milliarden D-Mark, gewesen – »das uns der Streik gekostet hat«, sei zum »Wohl des Landes angelegt« worden. Thatcher selbst bezeichnete die Ereignisse auch später noch als ihren »wichtigsten Sieg« überhaupt. »Der einjährige Bergarbeiterstreik war das letzte Aufbäumen des alten Gewerkschaftssystems«, heißt es in ihren Erinnerungen, denn seitdem habe »Großbritannien keinen bedeutenden Arbeitskampf mehr erlebt«.
Auf diese Entscheidungsschlacht hatte sich die Thatcher-Regierung lange vorbereitet.
Auf diese Entscheidungsschlacht hatte sich die Thatcher-Regierung lange vorbereitet. Bereits in der Opposition hatte die erste Frau an der Spitze der Tories Pläne zur Umsetzung des von ihr unter dem Dreischritt »freier Markt, starker Staat, eiserne Zeiten« propagierten Programms zur Revitalisierung des ökonomisch schwächelnden Vereinigten Königreiches nach neoliberalem Muster erarbeiten lassen. Der »Lösung des Gewerkschaftsproblems«, so der Titel der Denkschrift ihres Vordenkers und späteren Industrieministers, Keith Joseph, sollte dabei neben den Privatisierungen die zentrale Aufmerksamkeit gelten. Um nichts weniger als die »totale Befreiung« der britischen Wirtschaft von Gewerkschaften, Tarifbindungen und Mitbestimmung müsse es gehen, hieß es darin. Josephs künftiger Staatssekretär Nicholas Ridley, der 1978 mit den genauen Planungen beauftragt worden war, machte als »wahrscheinlichstes Schlachtfeld« für dieses »Neue Britannien« schließlich den seit 1947 verstaatlichten Bergbau aus, hatten doch die Kumpel seit dem Generalstreik von 1926 stets die Speerspitze aller sozialen Auseinandersetzungen dargestellt.
An die Macht gekommen, begannen die Konservativen umgehend mit der Umsetzung ihrer Vorhaben. Im Herbst 1979 hatten die Stahlarbeiter trotz regionaler Solidaritätsstreiks der NUM Reallohneinbußen von über 20 Prozent und den Abbau von etwa 150 000 Arbeitsplätzen hinnehmen müssen und die Sozialleistungen waren im großen Maßstab eingeschränkt worden. Daraufhin kündigte das National Coal Board (NCB), die staatliche Bergbauaufsicht, 1981 die Schließung von 23 Gruben an. Noch aber bekam die Regierung den sofort einsetzenden landesweiten Streik der NUM nicht in den Griff. Auf rechtlicher Basis allerdings schuf sie mit dem Employment Act eine der Grundlagen ihres späteren Sieges: Das Verbot von Solidaritätsstreiks, die Begrenzung der Rechte von Streikposten, die Verpflichtung der Gewerkschaften zu Schadenersatzzahlungen an bestreikte Betriebe, was schließlich zur Pfändung der Kassen der NUM führen sollte, und die Absage an das Prinzip des closed-shop, also dem Vetorecht der Betriebsräte bei der Einstellung nicht gewerkschaftlich organisierter Arbeiter*innen. Diese Maßnahmen ermöglichten es der Regierung und dem späteren NCB-Chef, Ian McGregor, ihren historischen Triumph zu erringen.
Sturm auf den »inneren Feind«
Nach dem gewonnen Falklandkrieg, in einem Klima eines aufgeheizten Nationalismus, war es dann 1984 so weit. Nun blies Thatcher zum Sturm auf den »inneren Feind«, als den sie, sekundiert von fast allen Massenmedien, die Gewerkschaften nunmehr bezeichnete. Die Kohlehalden wurden binnen weniger Wochen von 38 auf 57 Millionen Tonnen aufgestockt, zusätzliche Lieferverträge mit den USA, Australien, der Bundesrepublik und sogar der Volksrepublik Polen abgeschlossen und vier Atomkraftwerke vorzeitig ans Netz genommen, um die Stromversorgung abzusichern. Am 1. März schließlich verkündete McGregor die Schließung von 25 »unrentablen Minen« und die Einsparung von insgesamt 25 000 Arbeitsplätzen. In einem weiteren Schritt sollten weitere 45 000 Jobs gestrichen, Privatisierungen vorgenommen und langfristig alle Subventionen zugunsten der Förderung des Nordseeöls und der Atomenergie abgeschafft werden.
Mit unserem wöchentlichen Newsletter nd.DieWoche schauen Sie auf die wichtigsten Themen der Woche und lesen die Highlights unserer Samstagsausgabe bereits am Freitag. Hier das kostenlose Abo holen.
Diesmal gelang es der NUM nicht, einen landesweiten Streik dagegen zu organisieren. In Nottinghamshire, dem nach Yorkshire zweitgrößten Verband, verweigerten wie schon 1926 die dort traditionell konservativeren Kumpel mehrheitlich der Solidarität – gelockt durch die unter der vorherigen Labour-Regierung eingeführten Prämiensysteme in den produktiveren Minen und zusätzliche Standortgarantien. Auch blieben jenseits kurzer Ausstände der Liverpooler Docker, der Eisenbahner und der eigenständig organisierten Steiger längerfristige Unterstützungsstreiks aus. Vor allem die Verweigerung der mächtigen Stahlarbeitergewerkschaft ISTC, der die NUM 1979 ausgerechnet gegen den zu jener Zeit noch an der Spitze von British Steel stehenden MacGregor zu Hilfe geeilt war, verringerte die Handlungsmöglichkeiten der britischen Arbeiter*innenklasse gegen die Reformpläne der Regierung, die Sektor für Sektor abräumte. Und auch die Labour Party, deren Vorsitzender Neil Kinnock beim Parteitag im Herbst die »Gewalt der Streikposten« aggressiv denunzierte, stellte sich demonstrativ gegen die 170 000 Streikenden.
Diese Lücke konnten auch die Hunderttausende Unterstützer*innen aus sozialistischen Organisationen, Frauen- oder Umweltinitiativen und autonomen Gruppen überall im Land nicht schließen. Denn trotz der legendären Opferbereitschaft der in den finanziellen Ruin getriebenen Miners konnte ihre relative Schwäche kaum verborgen werden. Ihre Dörfer befanden sich in einem ständigen Belagerungszustand durch die neu gebildeten »Riot Squad Police«-Einheiten, 11 500 wurden inhaftiert, 300 zu langjährigen Haftstrafen verurteilt, Tausende verletzt, zwei Streikposten von der Polizei getötet und deren Kindern wurde zeitweise sogar die Schulspeisungen verweigert.
»Jetzt machen wir sie alle fertig!«
Die Umstände waren nicht nur, dass von den 1,25 Millionen Bergarbeitern Großbritanniens der 1920er Jahre und den immer noch 700 000 der Nachkriegszeit bei Regierungsantritt Thatchers nur noch 270 000 übrig geblieben waren. Auch ihre Produktionsmacht war verringert, da sowohl Labour als auch die Konservativen zunehmend auf eine Energieversorgung durch Öl und Kernenergie setzten. Diese veränderten »energiepolitischen Konzepte« stellten die »Basis für eine entschlossene konservative Regierung« dar, wie Gero Fischer in seiner bis heute maßgeblichen Untersuchung »United we stand – divided we fall« folgerte, »um die Gewerkschaften im Kohlesektor in die Knie zu zwingen«. Letztlich war es aber vor allem die Globalisierung der Produktion, als Antwort auf die fallenden Profitraten, die der von der NUM in ihrem »Plan for Coal« vorgesehenen konzeptionellen Mischung aus Importkontrollen und Subventionen im vom IWF mitverwalteten Großbritannien die Grundlage entzog.
Die 1994 endgültig privatisierte britische Kohleindustrie ist, wie viele andere Industriezweige, seitdem nahezu verschwunden. Weniger als 250 Miners fahren aktuell noch in die Gruben ein. Fast kampflos wurden nach der Niederwerfung des letzten großen Gefechts der alten Arbeiterbewegung schließlich Eisenbahner, Drucker und Hafenarbeiter zur Schlachtbank geführt. Allein zwischen 1985 und 1988 sank so die Lohnquote in Großbritannien um fünf Prozent. Der von Scargill nach der Niederlage angekündigte »permanente Guerilla-Krieg der Arbeiterklasse« blieb dagegen nur ein Wunsch. Hatte es in den 70er Jahren noch durchschnittlich 12,9 Millionen Streiktage pro Jahr gegeben, waren es in den 90er Jahren lediglich noch 660 000. Für die herrschende Klasse dagegen wollten die Feste gar nicht mehr aufhören. Dank der seit Thatcher und von allen ihren Nachfolgern betriebenen regressiven Lohnpolitik und großzügigen Steuersenkungsprogramme hat sich die Vermögensverteilung bis heute immer weiter zu ihren Gunsten verschoben. MacGregor hatte dies alles bereits im März 1985 gegenüber dem konservativen »Sunday Telegraph« triumphierend angekündigt: »Jetzt machen wir sie alle fertig!«
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.