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Wissenschaft für die Wirtschaft in Brandenburg
Experten empfehlen Nachjustierung bei den staatlichen Hochschulen im Land Brandenburg
Brandenburgs Wissenschaftsministerin Manja Schüle (SPD) wollte vom Wissenschaftsrat kein Gefälligkeitsgutachten vor der Landtagswahl am 22. September, sondern »eine sehr ehrliche Einschätzung einholen«, wie es um die acht staatlichen Hochschulen im Bundesland bestellt ist. Über einen Zeitraum von zwei Jahren traf sich die Ministerin immer wieder zu Besprechungen mit Sabine Maasen, die als Professorin für Wissenschafts- und Innovationsforschung an der Universität Hamburg lehrt. Maasen gehört dem von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (SPD) berufenen Wissenschaftsrat an und leitete eine von diesem Gremium eingesetzte Arbeitsgruppe zur Begutachtung der brandenburgischen Hochschullandschaft.
Anderthalb Jahre lang beschäftigte sich die Arbeitsgruppe mit dieser Aufgabe und legte am Freitag einen ohne den Anhang 350 Seiten langen Bericht mit Empfehlungen vor. Mit dem Ergebnis kann Ministerin Schüle in jeder Hinsicht zufrieden sein. Denn einerseits gibt es Lob für die Entwicklung der Hochschulen in den vergangenen zehn Jahren und für das Land Brandenburg, das seine Zuschüsse in dieser Zeit aufstockte. »Wir empfehlen keine grundsätzlichen Änderungen im Gefüge«, erläutert Sabine Maasen am Montag. Die Arbeitsgruppe plädiere weder für die Schließung von Standorten noch für große Umschichtungen. Die acht Hochschulen seien dafür, dass dort insgesamt nicht einmal 50 000 junge Menschen studieren, fachlich sehr gut ausdifferenziert. Sie haben national und teils sogar international einen guten Ruf, lobt Sabine Maasen. Studium und Lehre, Forschung und Finanzierung – in allen Bereichen stehen die Hochschulen nach ihrer Einschätzung gut da.
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Aber – und dies ist das Andererseits – Nachsteuern sollte man durchaus, um Brandenburgs Hochschulen noch besser zu machen, sagt die Expertin. Die Kooperation zwischen den acht Hochschulen könnte verstärkt werden. Die Möglichkeiten dazu würden aktuell noch nicht hinreichend genutzt. Es ließen sich Forschungsverbünde bilden. Dazu könnten sich die Hochschulen auch mit den außeruniversitären Forschungseinrichtungen zusammentun, von denen es in Brandenburg so einige gibt. Mit solcherlei Ratschlägen erfüllt die Arbeitsgruppen den Wunsch der Ministerin, Verbesserungsvorschläge zu bekommen. Auf 350 Seiten ist das dann im Detail dargestellt.
Eine Herausforderung ist die Zahl der Studierenden. Wie es da bundesweit aussieht, erklärt Wolfgang Wick, Vorsitzender des Wissenschaftsrats, ebenfalls am Montag. Er stellt einen weiteren Bericht vor, demzufolge der demografische Wandel dazu führt, dass die Zahl der Studienanfänger spätestens 2027 stagnieren werde. In Nordrhein-Westfalen habe die Zahl der Studienanfänger ihren Höchststand bereits 2013 erreicht und sinke seitdem. In Bayern steige die Zahl im Moment noch. In einzelnen Fächern sinken die Zahlen jetzt schon bundesweit, etwa auch im Fach Germanistik, welches ja für die Ausbildung der Deutschlehrer relevant sei, wie Wick betont.
Das alles hat mit der Bevölkerungspyramide zu tun. Es rücken zu wenige Schulabgänger nach. Angesichts dessen bekommt Deutschland ein Fachkräfteproblem. Ausländische Studierende dafür zu gewinnen, nach ihrem Universitätsabschluss in der Bundesrepublik zu arbeiten, wird aber nicht so leicht ohne Weltoffenheit und Toleranz, warnt Wick vor rechten Tendenzen.
Hier gibt es in Brandenburg wieder ein Einerseits und ein Andererseits. Denn einerseits ist der Anteil der ausländischen Studierenden an den brandenburgischen Universitäten so hoch wie sonst in keinem anderen Bundesland mit Ausnahme von Berlin. Andererseits wirken die Wahlergebnisse und Umfragewerte der AfD alles andere als einladend. Bei der Landtagswahl 2019 erhielt diese Partei 23,5 Prozent und für die Landtagswahl im September 2024 werden ihr aktuell bis zu 30 Prozent vorhergesagt.
Neben Zuzug lautet eine weitere Antwort: mehr Qualität. Wenn schon weniger Studienanfänger an die Hochschulen kommen, dann sollen wenigstens nicht mehr so viele ihr Studium abbrechen, sondern es erfolgreich abschließen. Das schlägt Wolfgang Wick für die Bundesrepublik vor und das rät Sabine Maasen auch speziell dem Land Brandenburg. Ihre Stichworte lauten: den Studienerfolg verbessern und die ausländischen Studierenden integrieren.
»Wir brauchen eine Willkommenskultur«, ist Wissenschaftsministerin Schüle bewusst. Sie nimmt auch den Ratschlag zur Kenntnis, bei der Finanzierung der Hochschulen nicht nachzulassen und den erreichten Personalbestand zu halten. Manja Schüle hört, wie Professorin Maasen sagt, Brandenburg verfüge über eine »unterdurchschnittlich forschungsaffine Wirtschaftsstruktur«. Sie kann die komplizierte Formulierung übersetzen und mit Zahlen unterlegen. 98 Prozent der Firmen im Land seien kleine und mittelständische Unternehmen. Große Konzerne mit eigenen Forschungsabteilungen haben sich kaum angesiedelt – und wenn, dann haben sie ihren Hauptsitz und ihre Entwicklung woanders.
Hier müssen die staatlichen Hochschulen aushelfen. Die Wissenschaft sei in Brandenburg von hoher Bedeutung nicht nur für die Lausitz, wo der Strukturwandel des Braunkohlereviers von Innovationen abhänge. »Die Empfehlungen zeigen: Wir sind in Brandenburg auf dem richtigen Weg«, freut sich Politikerin Schüle. Es bleibt aber noch einiges zu tun. »Wir müssen mutig sein«, findet die Ministerin. »Mir war von Anfang an wichtig, dass der Wissenschaftsrat seine Empfehlungen nicht für die Schublade schreibt.« Ab dem 15. Februar soll der Bericht mit den Hochschulen diskutiert werden.
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