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Einsatz für Frieden ist kein »Kuscheln mit Diktatoren«

Treueschwüre zum Westen ersetzen keine Analyse. Eine Antwort auf Jan Schlemermeyer

  • Alexander King
  • Lesedauer: 6 Min.

Noch vor wenigen Monaten schwor Die Linke heilige Eide darauf, sich nicht mehr an Sahra Wagenknecht abarbeiten zu wollen. Sie sah sich, nach Wagenknechts Abgang, im Aufbruch in eine lichte Zukunft. Doch nun ritt Jan Schlemermeyer, Mitarbeiter des Linke-Parteichefs Martin Schirdewan, im »nd« eine Attacke auf Wagenknechts neue Partei, das BSW, die diesen frommen Vorsatz Lügen straft. Er wirft ihr nicht nur »Liberalismusverachtung«, »Aushöhlung des Rechtsstaates«, »Nationalbolschewismus« vor, sondern auch das Anbandeln mit allen Diktaturen, »die sich von Putin über Assad bis zum Iran gegen den Westen stellen«, sowie Paktieren mit dem »eurasischen Autoritarismus«. Außerdem sei Wagenknecht gegen Klimaschutz. Klingt alles furchtbar. Hat aber mit der Programmatik des BSW nichts zu tun.

Der Beitrag von Jan Schlemermeyer »Zukunft der Linken: Linksliberal oder dezidiert sozialistisch?« ist hier zu lesen.

Damit wissen wir allerdings, wie im Jahre 2024 im Karl-Liebknecht-Haus gedacht wird: Ähnlich wie weiland im Haus von Konrad Adenauer – alle Wege Wagenknechts führen nach Moskau. Die Ko-Vorsitzende der Linken, Janine Wissler, schlug kürzlich in dieselbe Kerbe, als sie dem BSW vorwarf, man sei auf »Kuschelkurs« mit Diktatoren. All das erinnert an die Diffamierungen, mit denen seinerzeit die Entspannungspolitik Willy Brandts überzogen wurde.

Alexander King
Alexander King, Mitglied des Abgeordnetenhauseses Berlin für die...

Alexander King war seit 2001 Mitglied der PDS, dann der Linken. Seit 2021 gehört er dem Berliner Abgeordnetenhaus an. Im Oktober 2023 verließ er Die Linke und schloss sich dem Bündnis Sahra Wagenknecht an. Sein Mandat behielt er.
Er ist für den Aufbau des BSW-Landesverbands Berlin zuständig. Hier antwortet er auf Jan Schlemermeyers Beitrag »Gegen den Autoritarismus von links« (»nd« vom 20./21.1.2024). Nach der Antwort von Michael Brie auf Schlemermeyer (»Linksliberal oder dezidiert sozialistisch?«, »nd« vom 27./28.1.2024) geht die Debatte damit weiter.

Doch BSW-Abgeordnete bandeln nicht mit Diktatoren an, sondern arbeiten an Netzwerken des Friedens, wie der von Sevim Dağdelen gemeinsam mit der linken amerikanischen Kongressabgeordneten Ilhan Omar gestartete Aufruf für eine sofortige Waffenruhe in Gaza und die Freilassung aller israelischen Geiseln unmissverständlich erweist. Über 520 Parlamentarier aus 28 Ländern haben ihn bislang unterschrieben. Für die Ukraine fordert das BSW die Einstellung der Waffenlieferungen, einen Waffenstillstand, die Aufnahme von Verhandlungen und eine Beendigung des Krieges auf diplomatischem Wege. Offiziell tut das Die Linke auch; kommt nur drauf an, mit wem man gerade spricht.

Auch zum Thema: »Linksliberal oder dezidiert sozialistisch?« von Michael Brie

Prominente Amts- und Mandatsträger der Linken sprechen sich immer wieder für Waffenlieferungen in die Ukraine aus. Und der Parteivorstand ist dafür, die Russland-Sanktionen beizubehalten, auch wenn längst klar ist, dass sie ein Schuss in den Ofen sind. Ist es nach zwei Jahren des Gemetzels und spätestens angesichts des Scheiterns der ukrainischen Gegenoffensive, etwa nicht richtig, die Forderung nach Diplomatie statt Waffen offensiv zu vertreten, wie es Sahra Wagenknecht im vergangenen Jahr zweimal vor Zehntausenden bei Kundgebungen am Brandenburger Tor getan hat?

Die Linke findet: eher nicht. Damals diffamierte sie die Demonstranten als Querfront. Im Artikel von Schlemermeyer wird die Loyalität zum Westen im Abwehrkampf gegen den »eurasischen Autoritarismus« zum neuen Leitmotiv der Linksliberalen.

Erstaunlich, wie ausgerechnet antiautoritäre Linke die aktuellen autoritären Entwicklungen in Deutschland und Europa nicht mehr wahrnehmen. Haben wir die Einschränkungen der Grundrechte während der Pandemie schon vergessen, die Ausgrenzung und Diffamierung der Ungeimpften sowie Maßnahmen-kritischer Künstler und Wissenschaftler? Nur noch 40 Prozent der Menschen in Deutschland glauben, in der Öffentlichkeit frei ihre Meinung äußern zu können. Die anderen 60 Prozent bilden die Mehrheit unter den Wählern aller Parteien, außer der Grünen. Das BSW hat nicht umsonst die Verteidigung der Freiheit vor einer zunehmend autoritären Diskurskultur zu einem ihrer Schwerpunkte erhoben.

Lesen Sie auch: BSW und Die Linke nicht mehr Seit’ an Seit’ von Wolfgang Hübner und Hendrik Lasch

Wie steht es um die liberale Demokratie in einer EU, die mit dem Digital Service Act (DSA) tief in die bürgerlichen Grundrechte eingreift? Das neue Gesetz schütze nicht die Grundrechte, sondern »zertrümmere« sie, so der EU-Abgeordnete Martin Sonneborn. Ähnlich argumentiert das BSW in seinem Wahlprogramm: Das DSA »ist die staatliche Umsetzung der Cancel Culture und muss zurückgenommen werden«.

In Frankreich setzt der liberale Präsident Macron seine Rentenreform mit Notstandsparagrafen durch und lässt Proteste mit Polizeigewalt niederknüppeln. Was ist daran autoritär, dass das BSW in seinem EU-Wahlprogramm sozialen Grundrechten, wie sie in den nationalen Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten verankert sind, Vorrang vor den Freiheiten des EU-Binnenmarkts einräumen will? Dass Schlemermeyer die autoritären Tendenzen in der herrschenden Politik ausblendet, fällt auf Die Linke zurück.

Treueschwüre zum Westen ersetzen weder Analyse noch Orientierung. Neue Bündnisse und wirtschaftliche Netzwerke entstehen, nicht nur im Eurasischen Raum, sondern auch in Afrika und Lateinamerika, denen gemeinsam ist, die Herrschaftsansprüche und Interessen westlicher Staaten nicht nur in Frage zu stellen, sondern aktiv einzugrenzen. Vor allem wird die Definitionsmacht des Westens, welche Regeln diese globalisierte Welt und die Beziehungen bestimmen sollen, immer mehr bestritten. Ist es strategisch klug begründet, sich hier auf die Seite einer von US-Interessen dominierten Blockpolitik zu stellen, die international mehr und mehr an Boden verliert?

Der Krieg gegen die Ukraine wurde militärisch von Russland begonnen, eine Friedenslösung ist jedoch auch vom Westen verhindert worden. Das BSW hat am letzten Wochenende klare Positionen beschlossen: Europa und Deutschland dürfen nicht weiter als Juniorpartner in einem geopolitischen Machtkonflikt zwischen den USA und Russland, der in der Ukraine ausgetragen wird, agieren. Die EU sollte sich auch nicht an der Seite der USA in eine Konfrontation mit China hinziehen lassen, sondern eigene partnerschaftliche Interessen verfolgen. Den EU-Beitritt der Ukraine lehnen wir ab. Wer das verwerflich findet, soll erklären, wie er selbst zur gegenwärtigen EU-Außen- und Erweiterungspolitik und zu den sozialen und wirtschaftlichen Konsequenzen steht.

Zum Thema: Linke und BSW im Bundestag: Ein bisschen Opposition

Auf dem Parteitag des BSW appellierte die Gastrednerin Daniela Dahn an BSW und Linke, sich gegenseitig nicht als Hauptgegner zu verstehen. Das ist nachzuvollziehen und ergibt sich aus den Schnittmengen, insbesondere in der sozialpolitischen Agenda: Stärkung der Tarifverträge, Erhöhung des Mindestlohns auf 14 Euro, Rückführung der Daseinsvorsorge in die öffentliche Hand, Abschaffung der Schuldenbremse, Bekämpfung des Sozialdumpings, um hiesige Belegschaften und Arbeitsmigranten vor Ausbeutung zu schützen. Und was hat Die Linke übrigens gegen die Abschaffung der CO2-Bepreisung? Dietmar Bartsch zumindest kritisiert dieses Modell: »Hier wird Abzocke als Klimaschutz verkauft.« Das sehen wir auch so.

Es ist trotzdem vollkommen richtig, vor den Wählern die Unterschiede zwischen der Linken und dem BSW offenzulegen. Alles in allem ist Schlemermeyers Text aber keine Analyse, die das leistet, sondern eher eine Predigt, in der der Kampf des Guten (die Linksliberalen, jetzt auch: der Westen) gegen das Böse (Moskau, Peking, BSW) präsentiert wird. Er wendet sich vermutlich auch weniger an das BSW, sondern an jene linken Wähler, die die neue Partei aufgrund ihrer Inhalte für wählbar halten könnten.

Derartige Rituale kannte man bereits aus innerparteilichen Auseinandersetzungen vor der Entstehung des BSW. Sie stehen für eine Politik, die Die Linke dorthin gebracht hat, wo sie jetzt steht. Und die die Gründung einer neuen Partei letztlich unumgänglich machte.

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