Ulrike Kremeier: »Ich bringe Sachen gern zu Ende«

Die Museumsdirektorin Ulrike Kremeier über Kunst, Kunstvermittlung –und wie sie Museen schätzen lernte

  • Interview: Anita Wünschmann
  • Lesedauer: 6 Min.
Ulrike Kremeier ist Direktorin des Branden­burgischen Landes­museum für moderne Kunst, das mit 45000 Werken die umfas­send­ste Samm­lung von Kunst aus der DDR beherbergt.
Ulrike Kremeier ist Direktorin des Branden­burgischen Landes­museum für moderne Kunst, das mit 45000 Werken die umfas­send­ste Samm­lung von Kunst aus der DDR beherbergt.

Was für ein schöner Blick vom Museum auf den kleinen Teich!

Im Sommer sprudelt in diesem Teich noch eine Fontäne. Mehr als das Gesprudel interessiert mich, was daneben auf der lauschigen Bank und der Grünfläche als sozialem Treffpunkt passiert.

Was hat Sie nach Cottbus ans Museum Dieselkraftwerk geführt?

Die Sammlung, die mich brennend interessiert hat und immer noch interessiert.

Zwischen Bodensee und Brandenburg liegt ein langer Weg, etliche Lebensstationen. Was war Ihnen wichtig?

Ich habe in München angefangen Kunstgeschichte zu studieren, weil das Kunsthistorische Institut der Uni gut war, und eine sehr solide kunsthistorische Basis erworben. Das war mir wichtig. Ich hatte damals aber schon ein explizites Interesse an kritischen Diskursen und gesellschaftsrelevanten Ansätzen von Kunst und Kunstvermittlung. Darum bin ich nach dem Grundstudium nach New York gegangen und habe an der New School weiterstudiert. Parallel dazu lernte ich die künstlerische Gegenwartspraxis in New York kennen.

Interview

Ulrike Kremeier, geboren 1964 in Lindau, wurde 2012 Leiterin des Museums Dieselkraftwerk in Cottbus. Zusammen mit dem Museum Junge Kunst in Frankfurt (Oder) ging daraus das Branden­burgische Landes­museum für moderne Kunst hervor, dessen Direk­to­rin sie seit 2017 ist.
Mit 45 000 Werken beher­bergt es die umfas­send­ste Samm­lung von Kunst aus der DDR.

Sie wollten aber nicht dort bleiben?

Es war toll. Aber viele Aspekte des Lebens in den USA sind nicht mit meinen Vorstellungen kompatibel. Als bildungsbürgerliche, weiße Europäerin war ich in meiner Studienzeit dort ziemlich privilegiert und dennoch: Der amerikanische Sozialdarwinismus ist mir fremd und wir werden niemals Freunde werden. Mir war klar: Ich gehe wieder nach Europa zurück ...

Aber nicht an ein Museum?

Damals kamen mir Museen starr und langsam vor. Es war mir wichtiger, nicht nur Ausstellungen in herkömmlichen Zusammenhängen zu organisieren, sondern auch analog Strukturen herzustellen, die eine Exposition etwa im Stadtraum ermöglichen.

Diese Ambition hat Sie nach Frankreich geführt und schließlich zur DocumentaX?

Da ich Französisch spreche, war ich immer wieder in Projekte in Frankreich involviert, etwa in das Projet Unité in Firminy. Das war eine große Ausstellung in einer zur Hälfte leerstehenden Wohnmaschine von Le Corbusier und zielte darauf ab, ausgehend von kontextspezifischen Kunstinterventionen zusammen mit Einwohnern der krisenbelasteten Stadt über Identität und den öffentlichen Raum, Moderne und Gegenwart nachzudenken. Dabei habe ich Catherine David kennengelernt, die kurz darauf als Leiterin der Documenta X berufen wurde. Sie hat ja auch einen sehr politischen Kunstbegriff und lud mich in ihr Team ein. Ich war dann fast zwei Jahre in Kassel und habe die Ausstellungsführer*innen ausgebildet.

Ihr Lebensweg führte Sie weiter an die Universität nach Leipzig. Parallel betrieben Sie den Projektraum »Plattform« in Berlin.

Ich habe oft so gearbeitet, dass sich meine Tätigkeiten über zwei Orte verteilten. Berlin war in den 90er Jahren überbewertet und ziemlich selbstgefällig, es gab Freiräume, aber kein Geld. Die Diskrepanz zwischen dem Kunstgeschehen und dem, was – gerade aus dem Bereich der kulturellen Zuwanderung – sichtbar war, war eklatant. In Leipzig hingegen versuchte sich zum Beispiel die Hochschule für Grafik und Buchkunst neu zu erfinden. Ich empfand es als ein Privileg, dass ich eine Stelle an der Universität bekam und an einem maßgeblichen GFG-Forschungsprojekt mitarbeiten konnte. Ich verfügte über ein erhebliches Drittmittelbudget und genoss eine große Unabhängigkeit beim Transfer von Theorie zur Praxis.

Warum sind Sie aus Leipzig weggegangen?

Mit dem Bologna-Prozess wurde transdisziplinäres Arbeiten immer mehr eingeschränkt und sehr bürokratisch. Das fand ich nicht mehr interessant. Und vom französischen Kultusministerium kam ein Angebot, das Passerelle Centre d’art contemporain in Brest, damals eine der größten Kunsthallen Frankreichs mit einem stark in den 70er/80er Jahren verhafteten, transdisziplinären Programm, zu übernehmen. Für mich ging es um die Herausforderung, ein neues Profil zu erarbeiten und durchzusetzen.

Immer ging es Ihnen um ein offenes Arbeiten statt Präsentationen einer Sammlung, und nun sind Sie genau der Sammlung wegen hier.

Ich habe in den sieben Jahren gemerkt, dass mir die Idee von Sammlungen doch wichtig ist. In Frankreich ist die Museumslandschaft anders strukturiert. Es existieren assoziative öffentliche Kunstsammlungen, mit denen verschiedene Häuser arbeiten können. Aber eine Sammlung ist für mich mehr als ein »Pool« von Werken. Ich war also reif für ein Museum mit einem stringenten Sammlungskonzept.

Was ist das Besondere an der hiesigen Kunstsammlung?

In Cottbus wurden schon in den 70er Jahren zwei Sammlungsabteilungen gegründet, die für die damalige Zeit sehr progressiv waren. Cottbus hat Fotografie als Gegenwartskunst gesammelt und damit die einzige in einem Museum der DDR begründete fotografische Abteilung dieser Art erschaffen. Das Gleiche gilt für die Plakatkunst.

Wird man ruhiger, oder gibt es neue Lebensprojekte?

(Lacht) Lebensprojekte sind nicht so meine Kategorie, aber ich möchte Dinge zu Ende bringen. Ich würde das Landesmuseum gern leiten, bis das Lichtspieltheater in Frankfurt (Oder) fertig zu einem neuen Museumsort auf Augenhöhe geworden ist und dann an eine andere Generation von Kunsthistoriker*innen übergehen sollte.

Ein wichtiger Schritt in Ihrer Amtszeit war die Fusion des Kunstmuseums Dieselkraftwerk Cottbus und des Museums Junge Kunst Frankfurt (Oder) zu einem neuen Brandenburgischen Landesmuseum für moderne Kunst.

Die Fusion war und ist inhaltlich, strukturell und auch ökonomisch sinnvoll, auch wenn eine solche Zusammenführung von Kunst, Sammlungen, Geschichte(n), Menschen und Strukturen nicht einfach ist. Aber es ist wunderbar zu sehen, wie zwei wichtige, wertvolle und komplementäre Sammlungen sich durch die sorgfältige und kontinuierliche Arbeit damit miteinander verweben lassen.

Worin bestand die Differenz zwischen den Sammlungen?

Die Sammlung in Frankfurt (Oder) war viel klassischer angelegt. Die Cottbuser Kollektion hingegen ist experimenteller und auch ein bisschen wilder. Gemeinsam ist ihnen die Qualität: Es wurde immer auf hohem Niveau gesammelt. Es gab zu DDR-Zeiten enorm viel Geld für Ankäufe, und die Direktor*innen haben republikweit eingekauft. Die Identität des BLMK stellt sich über diese historisch aufgebauten Sammlungen her – und natürlich über die Art, in der wir heute damit arbeiten. Der Schwerpunkt ist Kunst aus der DDR. In dieser Absolutheit ist es unser Alleinstellungsmerkmal. Aber wir müssen natürlich darüber hinausgehen und an der Lesbarkeit, der Bedeutung für die Gegenwart und die Zukunft ebenso arbeiten, wie wir die Sammlung in andere künstlerische und kulturelle Kontexte stellen.

Auf welche kommende Ausstellung freuen Sie sich?

Im Jahr 2025 widmen wir uns nochmals verstärkt den 80er Jahren. Wir arbeiten unter anderem an einer gemeinsamen Ausstellung mit dem Getty Research Institute in Los Angeles. Eine dort tätige Kuratorin hatte entdeckt, dass es am Getty einen Bestand an Künstlerbüchern aus der DDR gibt, die auf sonderbaren Wegen dahin gekommen waren und im Programm des gigantischen Kunstinstituts eine marginale Rolle spielen. Ich habe die Kuratorin eingeladen und ihr unsere exzellenten Künstlerbücher gezeigt. Ein Riesenschatz! Das hat auch das Getty fasziniert, sodass es nun ein Gemeinschaftsprojekt mitfinanzieren wird. Nach Cottbus geht die Ausstellung in die USA.

Gibt es Pausen von der Kunst? Wie entspannen Sie sich – mit Paddeln im Spreewald?

Nein! Ich verbringe gern Zeit mit meiner Familie auf der Couch, trinke gern guten Kaffee, gehe in andere Museen, in Konzerte, ins Theater, lese oder gucke einfach auch mal drei Stunden nur geradeaus.

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