Dava: Für Erdoğan nach Brüssel

Die neue Partei Dava wirbt um muslimische Stimmen in Deutschland bei der Europawahl

Fatih Zingal will Dava ins Europaparlament führen.
Fatih Zingal will Dava ins Europaparlament führen.

Gerade einmal drei Wochen ist die Demokratische Allianz für Vielfalt und Aufbruch (Dava) alt und trotzdem hat sie es schon zweimal geschafft, große Schlagzeilen in »Bild« zu produzieren. Für eine politische Vereinigung, die in keinem Parlament vertreten ist, ist das ein ziemlicher Erfolg. Protagonisten der neuen Partei wie Fatih Zingal freuen sich in den sozialen Netzwerken über die Aufmerksamkeit. Die jüngste Schlagzeile von »Bild« hat der aus Solingen stammende Jurist, der auf Platz eins der Europaliste steht, sogar selbst produziert. Dem Boulevardblatt erzählte Zingal, dass er sich freuen würde, wenn Mesut Özil als »Werbeträger« für Dava auftreten würde. Eine Anfrage von »Bild« zu dem Wunsch ließ das Managment von Özil unbeantwortet.

Während Özil sich also bedeckt hält, ist es interessant zu lesen, mit welcher Begründung Fatih Zingal um den Profifußballer wirbt: »Man ist anerkannt in der deutschen Gesellschaft, man ist der Spielmacher der Nationalmannschaft, man gilt als hervorragend integriert. Und von heute auf morgen wird man ausgegrenzt.« An Özil könne man »plakativ« das Programm der Dava festmachen, so Zingal. Der Dava-Spitzenkandidat erwähnt nicht, wofür Özil in die Kritik geriet. Das ist nämlich viel eher etwas, wofür die neue Partei auch steht. Özil hatte sich immer wieder positiv auf den türkischen Präsidenten bezogen und war mit ihm aufgetreten. Zuletzt sorgte Özil für Schlagzeilen, als er eine Tätowierung auf seiner Brust mit den Symbolen der faschistischen Grauen Wölfe zeigte.

Ideologisch steht der Fußballstar für die Mischung, aus der sich auch das Gründungspersonal der Dava zusammensetzt. Spitzenkandidat Fatih Zingal war über Jahre für die AKP-Lobbyorganisation Union Europäisch-Türkischer Demokraten (UETD, seit 2018 UID) tätig. Die Nummer zwei auf der Europaliste, der Arzt Ali Ihsan Ünlü war als Generalsekretär des Moscheeverbands Ditib tätig. Der dritte auf der Liste, Mustafa Yoldaş, war Vorsitzender der wegen Hamas-Unterstützung 2010 verbotenen Internationalen Humanitären Hilfsorganisation (IHH). Andere Gründungsmitglieder der Partei haben eine Nähe zum iranischen Regime. Der Parteivorsitzende Teyfik Özcan war vorher in der SPD aktiv. 2017 trat er bei der Bundestagswahl an.

Programmatisch präsentiert sich Dava konservativ. Ein Schwerpunkt des Programms, aus dem der WDR exklusiv zitiert, ist die Bekämpfung der Islamfeindlichkeit. Man wolle sich für ein »realistisches und positiveres Bild« des Islam einsetzen. In Schul- und Geschichtsbüchern will die Partei »unsachgemäße Darstellungen« des Islam und der Muslime »korrigieren« und »durch sachgemäße Informationen« ersetzen. Viel Raum im Programm nimmt auch die Gesellschaftspolitik ein. Dava stellt sich gegen »Gender-Ideologie« und bekennt sich zu einer »Pro-Life-Position«. Die Familie versteht die neue Partei als »Grundpfeiler« der Gesellschaft. Bildungs-, Sozial- und Gesundheitspolitik sollen dazu dienen, den Stellenwert der Familie zu stärken. Öffentlich bekunden die Dava-Funktionäre, dass sie Muslimen in Deutschland eine Stimme geben wollen.

Murat Kayman, der die liberal-islamische Alhambra-Gesellschaft mitgegründet hat, hält das für unglaubwürdig. »Keiner der Kandidaten für die Europawahl hat sich bisher in seinem Engagement für gesellschaftliche Teilhabe von Muslimen in Deutschland profiliert.« erklärt er auf der Plattform X. Die Protagonisten hätten sich bislang durch ein »identitäres, desintegratives Verständnis von Religion und das unkritische Verhältnis zu antidemokratischen politischen Kräften« ausgezeichnet. Kayman vermutet, die Dava-Funktionäre betrachteten die Partei als »Einflussinstrument der AKP in Europa«. Dabei gehe es nicht darum, in großer Stärke ins Europaparlament einzuziehen. Ziel sei es, »Augen und Ohren in europäischen Gremien zu platzieren«. Dafür könnten Dava weniger als 300 000 Stimmen reichen. Bei der Europawahl gibt es keine Fünf-Prozent-Hürde. Einen Sitz im Europaparlament könnte Dava mit einem Prozent der Stimmen erringen.

Wie groß das Wählerpotenzial von Dava ist, bleibt abzuwarten. Rechnungen, die alle Muslime mit deutschem Pass zu potenziellen Wählern machen, gehen nicht auf. Darauf haben in den vergangenen Tagen mehrere Experten verwiesen. Dafür sind Muslime in Deutschland zu divers. Das türkisch-nationalistische Profil dürfte die Partei außerdem für Aleviten und Kurden annähernd unwählbar machen. Bisherige Parteigründungen aus dem Umfeld der AKP in Deutschland verliefen im Sande. Das 2010 gegründete Bündnis für Innovation und Gerechtigkeit besteht nur noch als Kleinstpartei.

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