7500 Wissenschaftler fordern Klimaschutz von nächster Regierung

Klimakrise als größte Gefahr für Demokratie, Zivilisation und Menschenleben: Appell soll an nächsten Bundestag übergeben werden

Tausende Wissenschaftler*innen befürchten, dass die Klimakrise als politisches Handlungsfeld an den Rand gedrängt wird.
Tausende Wissenschaftler*innen befürchten, dass die Klimakrise als politisches Handlungsfeld an den Rand gedrängt wird.

Es ist eine beeindruckende Liste, die die Scientists for Future (Wissenschaftler für die Zukunft) da seit dem 5. März gesammelt haben. 241 Forschende vom Karlsruher Institut für Technologie, unter ihnen 27 Professor*innen, und von der Rheinisch-Westfälischen Technische Hochschule Aachen 15 Professor*innen, bei insgesamt 207 Wissenschaftler*innen von der Hochschule ganz im Westen. 7500 Wissenschaftler*innen insgesamt haben den Appell an »alle demokratischen Parteien« unterzeichnet, ihrer Verantwortung für das Klima gerecht zu werden. Insbesondere verlangen die Wissenschaftler*innen dies von der zukünftigen Bundesregierung.

Sie seien »in großer Sorge«, heißt es im Appell, die Klimakrise und weitere Umweltkrisen wie der Verlust an Biodiversität seien mittelfristig die »größte Bedrohung« für Sicherheit, Wirtschaft und Wohlstand, Demokratie, Zivilisation und Menschenleben. Trotzdem spielten sie im Wahlkampf kaum eine Rolle. Die Wissenschaftler*innen fürchten außerdem, dass die »jüngsten außenpolitischen Zuspitzungen« die Themen noch weiter an den Rand drängen könnten. Das dürfe nicht passieren, die Bedrohung nicht verdrängt werden. »Ihr muss gerade jetzt effizient begegnet werden«, heißt es im Appell. Dafür machen die Forscher*innen fünf grundsätzliche Vorschläge.

Die neue Bundesregierung müsse sich klar zum Klimaschutzgesetz und zum Green New Deal bekennen. Bestrebungen, die Klimaziele aufzuweichen oder zu untergraben, müssten »entschieden zurückgewiesen werden«. Die Einhaltung der Klimaziele müsse genau überwacht werden. Wo sie nicht eingehalten werden, müssten zusätzliche Maßnahmen ergriffen werden.

Katja Tielbörger, Professorin für Vegetationsökologie an der Universität Tübingen, erklärte bei einer Pressekonferenz am Donnerstagvormittag die zweite Forderung der Scientists for Future: ehrliche Kommunikation. Auch wenn es »unbequem« sei, müsse die Politik gegenüber der Bevölkerung ehrlich kommunizieren. Die Bekämpfung der Klimakrise erfordere »Veränderungen in allen Lebensbereichen«. Die demokratischen Parteien müssten dazu beitragen, die Polarisierung in Diskussionen »zurückzufahren«. Die Debatte über Landwirtschaft sei in den Medien und der Politik außerdem zu oberflächlich. Der wissenschaftliche Diskurs sei sachlicher und weiter fortgeschritten.

Die dritte Forderung des Appells ist demzufolge die Ausrichtung von politischen Entscheidungen an technisch-wissenschaftlichen Fakten. Stefan Holzheu von der Universität Bayreuth, wo der ganze Appell entstanden ist, führt aus: »Weder die Kernspaltung noch die Kernfusion werden einen relevanten Beitrag zum Erreichen der deutschen Klimaziele leisten können.« Ähnliches gelte für E-Fuels oder die Verwendung von Wasserstoff für den Straßenverkehr oder die Wärmerversorgung von Gebäuden. Man dürfe sich nicht auf vermeintlich technologieoffene Irrwege begeben. Diese würden oft nur, etwa bei E-Fuels, von Lobbygruppen in der Diskussion gehalten. Holzheu betont, dass viele Unterzeichner*innen des Appells aus technischen Fachrichtungen kommen. Sie alle sind sich einig, dass erneuerbare Energien der Schlüssel für »die Abkehr von fossilen Brennstoffen in Deutschland sind«. Gegenüber »nd« ergänzte Holzheu auf die Frage, warum die Wissenschaftler*innen kein Sondervermögen für Klimaschutz gefordert haben, dass die Wissenschaft nur mit ihrer Expertise auf »Probleme hinweisen und Handlungsoptionen aufzeigen« könne. Die konkrete Ausgestaltung sei Sache der Politik. Diese müsse sich jedoch »dringend wieder stärker an den wissenschaftlichen Fakten orientieren, statt kurzfristigem populistischen Wunschdenken zu folgen.«

Für Deutschland als Wirtschafts- und Wissenschaftsstandort sei außerdem wichtig, dass die Klimapolitik einen »klaren Kurs« habe. »Eine Kehrtwende im Klimaschutz schadet auch dem Wirtschaftsstandort Deutschland, denn Unternehmen brauchen Planungssicherheit«, heißt es im Appell. Das ständige Ändern von Regeln mache die Entwicklung neuer Geschäftsmodelle schwierig und teuer. Wirtschaft und Klimaschutz müssten Hand in Hand gehen. Die außenpolitischen Krisen zeigten, wie die Abhängigkeit von fossilen Importen Deutschland und Europa angreifbar mache.

Die letzte Forderung der Wissenschaftler*innen betrifft die soziale Abfederung von Klimasschutzmaßnahmen. Diese müssen deutlich wahrnehmbar sein. Der Appell hält die Auszahlung eines Großteils der CO2-Bepreisung als Klimageld für ein zentrales Element dafür. »Ohne eine soziale Komponente wird die deutsche Klimaschutzpolitik nicht erfolgreich sein«, heißt es abschließend.

Wissenschaftler*innen können den Appell noch bis zum 24. März unterzeichnen. Zur ersten Sitzung des neuen Bundestags soll er allen Fraktionen übergeben werden.

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