»Als wir unsere Unschuld verloren«

Die Achtundsechziger in Fotografien von Bernard Larsson und Texten von Aktivisten und Zeitzeugen

  • Stefan Berkholz
  • Lesedauer: 4 Min.
Losungen aus der Zeit der Studentenrevolte, die vielfach noch heute aktuell sind
Losungen aus der Zeit der Studentenrevolte, die vielfach noch heute aktuell sind

Bernard Larsson ist Fotograf, er hat Fotodesign in München studiert, wurde Assistent beim Modemagazin »Vogue« in Paris. Mit 22 Jahren zieht es ihn nach Berlin, die Mauer ist gerade gebaut worden. Mit seinem schwedischen Pass kann er Ost- und Westberlin in den Blick nehmen. Auf dem Höhepunkt der Studentenbewegung, in den Jahren 1966 bis 1968, ist Larsson wieder in Berlin, diesmal im Auftrag vom »Stern«. Die Neugier treibt ihn, die Zeit ist aufgeputscht und aufregend, er will dabei sein.

Am 2. Juni 1967 macht er in einem dunklen Garagenhof in Charlottenburg jene mittlerweile ikonografische Fotografie vom sterbenden Studenten Benno Ohnesorg. Schuss in den Hinterkopf, Freitagabend nach halb neun. Der Täter an der Waffe, der Polizist Karl-Heinz Kurras ist, wie sich später herausstellt, Mitarbeiter der Staatssicherheit. Nie wird richtig geklärt werden, ob und welche Rolle in diesem Zusammenhang die Stasi tatsächlich gespielt hat. Kurras nimmt das Geheimnis im Dezember 2014 mit in sein Grab.

Nach dieser nie geahndeten Hinrichtung eines wehrlosen Studenten auf offener Straße ist die Welt eine andere. Dieser Todesschuss radikalisiert die Studentenbewegung, einige nehmen später den bewaffneten Kampf in der »Rote Armee Fraktion« (RAF) auf.

»Als wir unsere Unschuld verloren«, ist der Text der Journalistin und Politikerin Luc Joachimsen im Buch überschrieben. Einen »Ausbruch fast kriegerischer Gewalt gegen erstaunt fassungslose Zivilisten«, bemerkt sie auf einem der Fotos von Larsson. Das persische Jubelkommando des Schahs stürmt mit Holzlatten gegen unbewaffnete Demonstranten los, deutsche Polizisten stehen dabei und greifen nicht ein.

»Ist denn niemand hier, der helfen kann?«, schreit Friederike Hausmann, die sich über den sterbenden Benno Ohnesorg beugt. Hinter dem Auspuff eines VW-Käfers liegt der blutende Student, ein Dokument der Zeitgeschichte, eine Szene wie gestellt, eingefroren in diesem Moment.

Im kommenden Mai wird Bernard Larsson 85 Jahre alt. Der betagte Fotograf ist extra aus München nach Berlin gekommen, um in der Charlottenburger Galerie sein Buch mit rund 100 Schwarz-Weiß-Abzügen vorzustellen. Er habe seine Fotografie immer politisch verstanden, sagt er, er wollte damit »etwas erzählen, etwas bewegen«, den Betrachter in seine Fotografien hineinziehen. Die Eckdaten sind schnell genannt. Dezember 1966: Vietnam-Demonstration; März 1967: Demonstration gegen die Notstandsgesetze; April 1967: Anti-Springerpresse-Demonstration; Juni 1967: Demonstration gegen den Schahbesuch; 2. Juni 1967: Hinrichtung von Benno Ohnesorg.

Im Buch sind Texte von Franz Josef Degenhardt (»Spiel nicht mit den Schmuddelkindern«) und Dieter Süverkrüp (»Lied vom Tod«) abgedruckt, Essays von Zeitzeuginnen wie Ulla Hahn, Beate Klarsfeld, Alice Schwarzer. Auch Gregor Gysi kommt zu Wort. Er warnt, mit dem Blick zurück und auf die Fotografien von Larsson, vor drakonischen Maßnahmen des Staates und plädiert dafür, die Ursachen von Protesten auf der Straße zu ergründen und zu beseitigen, denn: »gesellschaftliche Entwicklung (komme) entgegen allem Beharrungswillen nie an ein Ende und (brauche) immer wieder das Engagement von Menschen«.

Konstantin Wecker sieht im Fotografen Bernard Larsson »einen parteiischen Chronisten der Proteste gegen die Notstandsgesetze, den Nazi-Muff an den Universitäten und gegen den verbrecherischen Krieg der USA gegen Vietnam etc. ab 1967«. Und zugleich »einen Dokumentaristen des subkulturellen Aufbruchs der 1960er Jahre, zum Beispiel in seinen berührenden Fotos von Jimi Hendrix«.

Leider ist im Buch kein biografisches Interview mit Bernard Larsson oder ein erhellender hintergründiger Text von ihm enthalten. In der Ausstellung zeigt er sich auch nicht als großer Redner. So bleibt Larsson selbst als Zeitzeuge hinter seinen Fotografien weitgehend verborgen.

Jüngst waren in der Berliner Galerie Berinson Fotografien des Chronisten aus Ost- und Westberlin zu bewundern, entstanden in den Jahren 1961 bis 1964. Dokumente der Zeit auch diese. Grenzanlagen in Hohen-Neuendorf, Westberlin: Ein Haus ist zugemauert, weil es nun im Grenzstreifen steht. Eine Parole in großen Buchstaben: »Ganz Deutschland muß des Volkes eigen werden!« Ein Drehorgelspieler vor dem Bahnhof Friedrichstraße, DDR-Fähnchen schmücken seine Musiktruhe. Daneben einige Porträts: Helene Weigel vor ihrer Wohnung im Hof Chausseestraße 125; Wolf Biermann 1966 in seiner Wohnung Chausseestraße 131; Anna Seghers, Stefan Heym, Peter Handke.

Eine Fundgrube erster Güte sind alle diese Fotos der Zeitgeschichte im vornehmen Schwarz-Weiß. Bernard Larsson selbst versteht sein sprechendes Werk bescheiden und zugleich selbstbewusst als »Quellenmaterial«.

Bernard Larsson: Revolte. Die 68er-Bewegung in Bildern und Texten von Zeitzeug*innen. Goya-Verlag, 192 S., geb., 35 €.

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