Digitale Verwaltung: »Natürlich könnten wir weiter sein«

Thüringens Staatssekretär Hartmut Schubert erklärt, warum es so lange dauert, staatliche Verwaltungen zu digitalisieren

  • Interview: Sebastian Haak
  • Lesedauer: 7 Min.
Digitale Ämter verändern den Alltag in den Verwaltungen grundlegend. Vielerorts ist das aber noch immer Zukunftsmusik.
Digitale Ämter verändern den Alltag in den Verwaltungen grundlegend. Vielerorts ist das aber noch immer Zukunftsmusik.

Die schleppende Digitalisierung der Verwaltung sorgt schon lange für Unmut. Bei nahezu jeder Wahl ist sie ein Reizthema, fast alle Parteien wollen das Thema anpacken. Und doch gibt es immer noch nicht überall digitale Bürgerbüros, auch die Vernetzung zwischen den Verwaltungen lässt vielerorts auf sich warten. In Berlin und Mecklenburg-Vorpommern genauso wie in Thüringen. Herr Schubert, wer heute in Erfurt ein Gewerbe anmelden möchte, kann sich im Internet die Formulare herunterladen, die er dann ausfüllen und ausdrucken soll. Ist das Digitalisierung von Verwaltung, so wie Sie sich das vorstellen?

Natürlich nicht. Und das ist auch nicht das Ziel, das wir bei der Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung verfolgen. Wir wollen, dass jemand – um in diesem Beispiel zu bleiben – aus seinem Büro heraus ein neues Gewerbe anmelden kann, ohne dass er dafür etwas ausdrucken und es dann auch noch persönlich zur Verwaltung bringen muss. Wenn es dabei erforderlich sein sollte, einem Antrag Unterlagen beizufügen, dann soll man die in Zukunft hochladen können oder – noch besser – die Behörde zieht sich diese Unterlagen selbstständig, sofern es sich dabei um Dinge handelt, die in der öffentlichen Verwaltung sowieso schon vorliegen.

Interview
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Als Staatssekretär im Thüringer Finanzministerium ist Hartmut Schubert federführend für die Digitalisierung des öffentlichen Dienstes im Freistaat zuständig. Im Interview spricht der 64-Jährige darüber, warum beim Staat vieles so viel länger dauert als in der Wirtschaft, wann es Videokonferenzen mit dem Finanzamt geben könnte – und darüber, ob er von seinem Job inzwischen frustriert ist.

Von dieser Zielstellung hört man seit zehn Jahren.

Mindestens. Ich war bei der Expo 2000 in Hannover. Da hat der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) gesagt, die Daten sollten laufen und nicht die Bürger.

Also reden wir in Deutschland seit mindestens zwanzig Jahren über die Digitalisierung der Verwaltung. Aber noch immer erstreckt sich diese Digitalisierung vielerorts auf die Bereitstellung von PDF-Dateien. Das ist doch absurd.

Die Komplexität dessen, was Digitalisierung in der Verwaltung des Staates bedeutet, ist massiv unterschätzt worden.

Und warum? In der Privatwirtschaft klappt es doch auch. Auch da sind viele Prozesse sehr komplex.

Dafür gibt es viele Gründe, lassen Sie mich zwei ganz zentrale nennen: Das hat erstens damit zu tun, dass wir in Deutschland verschiedene staatliche Ebenen haben: den Bund, die Länder, die Landkreise und kreisfreien Städten und die Gemeinden. Alle Ebenen sind selbstverwaltet, keiner kann den anderen zu irgendetwas verpflichten. Und das hat zweitens damit zu tun, dass die Anforderungen an den Staat oft höher sind als an viele Unternehmen. Wenn es zum Beispiel um die Ausstellung von Personalausweisen geht: Da darf einfach nichts schieflaufen. Da müssen Sie ganz andere Sicherheitsmechanismen einbauen, als wenn sie über das Internet Ware verkaufen.

Aber Realität ist doch, dass die Digitalisierung der Verwaltung noch nicht einmal innerhalb einer staatlichen Ebene wirklich funktioniert. Beispiel elektronische Rechnungen beim Freistaat Thüringen. Unternehmen sagen, das sei ziemlich kompliziert. Da kann das Land auf keine andere Ebene zeigen.

Diese Kritik im Speziellen kann ich nicht nachvollziehen. Wir hatten in der Vergangenheit eine Unternehmerin, die sich wegen eines Problems bei der Übermittlung einer elektronischen Rechnung an uns gewandt hat. Das war aber ein Ausnahmefall. Natürlich kann die Landesverwaltung in Thüringen seit November 2019 elektronische Rechnungen empfangen. Das klappt in der Regel ohne Schwierigkeiten.

Dann nehmen wir ein anderes Beispiel, wieder aus nur einer staatlichen Verwaltungsebene: der Steuerverwaltung. Ein Unternehmer wollte jüngst, eine strittige Steuerfrage mit dem zuständigen Sachbearbeiter im örtlichen Finanzamt und seinem Steuerberater in einer Dreier-Videokonferenz klären. Um Reisezeit und Kosten zu sparen. Das war unmöglich, das Finanzamt hat das nicht zugelassen.

Das hat mit dem Steuergeheimnis zu tun, das in Deutschland zu Recht ein sehr hohes Gut ist. Für eine solche Videokonferenz braucht es eine Konferenzlösung, die sicherstellt, dass da niemand Fremdes mithört, mitschneidet oder Daten ins Ausland abfließen. Gerade wird deshalb bundesweit an einer sicheren Lösung gearbeitet, die zukünftig solche Videokonferenzen ermöglicht.

Wir schreiben das Jahr 2024. Ist es nicht ein Armutszeugnis, dass jetzt an so was gearbeitet wird. Drei Jahre nach Beginn der Corona-Pandemie, die – außerhalb der Verwaltung – noch mal einen Digitalisierungsschub gebracht hat.

Ich würde hier nicht von einem Armutszeugnis sprechen, denn auch die Verwaltung hat einen enormen Digitalisierungsschub bekommen. Aber tatsächlich könnten wir trotzdem weiter sein. Natürlich sind auch innerhalb der Verwaltung Videokonferenzen inzwischen der Normalfall und zugleich zeigt das Beispiel aus der Steuerverwaltung, was ich eben schon gesagt habe: Die Anforderung an den Staat sind oft einfach höher als an die Privatwirtschaft.

Sie sind als Thüringer IT-Chef direkt für Digitalisierung der Landesverwaltung zuständig, unterstützen aber auch die kommunalen Verwaltungen dabei, digitaler zu werden. Wie ist Ihr Eindruck: Ist dort angekommen, wie drängend das Problem ist? Immerhin sind es die kommunalen Verwaltungen, mit denen Bürger und Unternehmen den meisten Kontakt haben.

Auf jeden Fall, das Interesse an dem Thema ist sehr groß, der Druck ist da. Allerdings muss gerade bei den Kommunen die Umstellung auf digitale Verwaltungsprozesse parallel zum Tagesgeschäft erfolgen. Insbesondere kleine Kommunen mit nur sehr wenigen Mitarbeitern stoßen da sehr schnell an ihre Grenzen. Deswegen bieten wir als Land über einen IT-Dienstleister da ganz unmittelbare Hilfestellung an: Da kommen Spezialisten in die Gemeinde und installieren für fünf der am häufigsten nachgefragten Verwaltungsleistungen digitale Lösungen – und zeigen den Mitarbeitern vor Ort, wie sie diese Digitalisierung für viele andere Leistungen selbst machen können.

Behindern aus Ihrer Sicht auch zu hohe Datenschutz-Anforderungen und zu geringe Bandbreiten die Digitalisierung der Verwaltung. Viele Unternehmer sehen das so.

Beim Datenschutz habe auch ich den Eindruck, dass wir in Deutschland das, was europaweit gilt, besonders ernst nehmen. Zu geringe Bandbreiten sehe ich dagegen eher nicht als Problem, jedenfalls nicht flächendeckend. Und dort, wo der Anschluss von Verwaltungsgebäuden an schnelles Internet noch nicht fertig ist, wird er das bald sein. Wenn ich mich in Thüringen umschaue, sehe ich überall Baugruben, in denen die entsprechenden Kabel verlegt werden.

Sehen Sie denn Stellschrauben, an denen sich drehen ließe, damit es mit der Digitalisierung der Verwaltung in Deutschland schneller gehen könnte?

Es gibt da eine große Stellschraube: Die Zuständigkeiten. Ganz grundsätzlich. Dass die Kommunen für viele Dinge zuständig sind, hat ja damit zu tun, dass man in Deutschland wollte, dass die Menschen viele Dinge ganz wohnortnah erledigen können. Im Zuge der Digitalisierung ist das aber nicht mehr nötig. Wenn Sie etwa ein Auto zulassen, ist es Ihnen doch egal, ob Ihr digital, vom Sofa eingereichter Antrag von Ihrer Wohnsitzgemeinde oder vom Bund bearbeitet wird. Wir brauchen nicht nur eine digitalere Verwaltung, sondern auch effektivere Verwaltungsstrukturen.

Sie meinen: Es bringt nichts, einen komplizierten analogen Verwaltungsprozess einfach ins Internet zu heben?

Genau.

Und warum werden diese Zuständigkeiten nicht angepasst?

Weil da äußerst komplexe politische Prozesse und Befindlichkeiten dahinterstecken. Wenn Sie eine Verwaltungsleistung von den Kommunen an den Bund übertragen wollen, müssen da so viele Leute mitreden, müssen sie so viele Finanzströme neu regeln – das dauert einfach und macht die Sache sehr zäh.

Klingt so, als seien Sie ein bisschen frustriert über ihren Job als oberster Thüringer IT-Beauftragter.

Nein, so schlimm ist es nicht. Es geht ja voran, jetzt auch schneller als in den vergangenen Jahren. Wir haben schon einiges erreicht. Nur, der große Wurf bei der Verwaltungsdigitalisierung, den wir uns in Deutschland mal vorgenommen hatten und den wir auch bräuchten, den sehe ich momentan nicht.

Momentan? Sie haben vor ein paar Monaten gesagt, dass sie damit rechnen, dass es noch zehn Jahre dauern wird, bis die Behörden in Deutschland so miteinander vernetzt sind, dass sie wirklich in großem Umfang Daten miteinander austauschen können.

Das ist so.

Und das heißt, sowohl Unternehmen als auch Bürger werden noch sehr lange damit leben müssen, dass es bei staatlichen Verwaltungen parallel zwei Welten geben wird: eine digitale und eine analoge?

Ja, das wird so sein. Aber langfristig wird auch die deutsche Verwaltung digital sein. Erfahrungen aus anderen, sehr digitalen Ländern wie Estland zeigen, dass diese Parallelität von Papier und online unglaublich teuer und ineffizient ist. Das können wir uns dauerhaft nicht leisten.

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