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Arno Rink gegen die inneren Monster
Die nun erschienenen Tagebücher des Leipziger Malers zeugen von einem qualvollen Ringen mit Kunst und Leben
1990 war kein gutes Jahr für die Malerei. Aalglatte Fotografien und flimmernde Videos drängten mit avantgardistischem Elan auf den Kunstmarkt. Eine den traditionellen Bildgattungen verpflichtete Institution wie die Leipziger Hochschule für Grafik und Buchkunst (HGB) bangte da ebenso um ihre Zukunft wie ein nach neoliberalen Kriterien unprofitabler Ostbetrieb. Doch kaum ein Jahrzehnt später war die ruhmreiche Wirkungsstätte von Bernhard Heisig und Werner Tübke zurück im Rampenlicht, strahlender und internationaler als je zuvor. Unter dem Label »Neue Leipziger Schule« stürmten Maler wie Neo Rauch, Tim Eitel und andere von einem Verkaufsrekord zum nächsten.
Nur um einen blieb es zunächst erstaunlich still: um Arno Rink, den Geburtshelfer dieser Renaissance. Als einziger Rektor einer DDR-Kunstakademie, der nach der Wende im Amt bestätigt wurde, führte er ein verunsichertes Kollegium und eine Halt suchende Nachwuchsgeneration durch die kritische Brückenzeit. Wer, wenn nicht der Vollblutmaler mit dem kantigen Schädel, hätte dazu das Zeug gehabt?
Früh schon haftete ihm das Image des Kraftpakets an, beharrlich und trinkfest, berühmt wie berüchtigt wegen seiner professoralen Strenge. Wenn er eine Arbeit beim Korrekturgeben nicht gleich komplett zerrupfte, war das beinahe die einzige Form von Lob, die Studierende von ihm erwarten durften.
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Doch Rinks Persönlichkeit als Künstler und Lehrer besaß viele Facetten, wie seine nun veröffentlichten Tagebuchnotizen offenbaren. Jahre, Jahrzehnte hat er mit den Monstern einer instabilen Psyche gerungen: Zweifel am eigenen künstlerischen Tun, Angst um die Familie und sich selbst, Geldsorgen trotz Professorengehalt und schließlich eine langwierige Krebserkrankung.
Nachdem der Maler früher nur vereinzelt Gedanken zu Papier gebracht hat, führt er ab 1998 regelmäßig Tagebuch. Eine schwere Depression zwingt ihn in die Psychiatrie. Aus dem quirligen Akademiegeschäft herausgerissen, landet er in der Welt der verschlossenen Türen und der hochdosierten Psychopharmaka: Die »Beweglichkeit aller Beteiligten«, beobachtet er, »ist auf eine Art Zeitlupe reduziert«. Sensiblen Menschen muss man fast von der Lektüre abraten, so minutiös beschreibt Rink die erfahrenen Abgründe. Im Teufelskreis aus Weinkrämpfen, Wut und Lethargie bekommt die Kunst einen neuen Stellenwert als Gegenmittel. »Zeit ist Frist« steht an der Wand des Ateliers gekritzelt. Der Tagebuchschreiber begreift das als Imperativ, innerhalb enger werdender Grenzen zu schaffen, was geht. Die letzten Eintragungen entstehen kurz vor seinem Tod 2017. Fast zwei produktive Jahrzehnte konnte er nach Beginn der Tagebucheinträge den Krankheiten und Krisen noch abtrotzen.
Die Stimmungsprotokolle kleiden die innere Düsternis in deftige Worte: »Habe heute einen richtigen Zorn auf meinen Kopf, mein Gehirn bekommen, dass dieses kleine Stück graue gewundene Scheiße mein ganzes Leben diktiert.«
Mehr noch als in früheren Bildern wird der Alternde zum Menschenmaler, der auf Papier oder Leinwand unentwegt den Dialog mit Giotto, Courbet oder Picasso sucht. Am Etikett des Unzeitgemäßen, dessen pathetisch ins Bild gesetzte Akte weit aus der Geschichte geholt scheinen, lag es wohl, dass Rink im Einheitsdeutschland erst zuletzt wieder mehr museale Aufmerksamkeit bekam. »Ich bin kein moderner Künstler«, ist der von seiner Witwe Christine Rink herausgegebene Band überschrieben, den Begleittexte einiger Weggefährten ergänzen.
Tatsächlich hat Rink schon in der DDR mit dem zur Doktrin gewordenen Sozialistischen Realismus gehadert. Indem sein Schaffen klassische Bildthemen wie »Lots Töchter« oder »Judith« aufgreift, erleben alte Gestaltungsprobleme eine Neuinterpretation. »Verantwortung für die Form« lautet das ästhetische Credo. Besonders das Spätwerk konzentriert sich auf einsam schreitende Gestalten, leere Hintergründe und überraschend kombinierte Farben. Referenzen auf die Gegenwart verschwinden, obschon der gebürtige Thüringer nie unpolitisch war. Den aufkeimenden Rechtsextremismus der 90er etwa registriert er früh und hellsichtig in Ursachen wie Konsequenzen.
Gleichwohl ist es Rinks künstlerische Haltung, die eine konservative Kehre in der Malerei einleitet. Sein Eleve Michael Triegel, Schöpfer eines – fast könnte man sagen – Herrscherporträts von Benedikt XVI., setzt diese Linie am deutlichsten fort. Der Meister selbst dagegen vermag nicht mehr an die Ausstellungserfolge aus DDR-Zeiten anzuknüpfen.
Rinks kreativer Stolz leidet offen an der Missachtung und reagiert bereits gekränkt, wenn ein Pressebericht über ihn nur schwarzweiß bebildert ist. Um das Gefühl der fehlenden Anerkennung zu kompensieren, flüchtet er in Hobbys, die unter Kulturschaffenden selten sind: Schießen und Porschefahren.
Aus der Erkenntnis, dass der Künstlerberuf zu den schwierigsten überhaupt gehört und der Kapitalismus das Spermienrennen um Aufträge noch enger macht, leitet sich Rinks Pädagogik ab: »Ich versuche auf einer schmalen Strecke, junge Menschen fürs Leben stabil zu machen. Das macht mir viel Freude und ich bin dabei kein Papa, sondern kann ziemlich hart sein.« Das Schaffen der jungen Star-Absolventen kommentieren die Tagebücher indes nur spärlich, zumindest in der von der Witwe redigierten Fassung. Deutlich wird lediglich die enge kollegiale wie freundschaftliche Verbundenheit mit Neo Rauch.
Zur Veröffentlichung gedacht war all das ursprünglich nicht, weswegen man ein paar Wiederholungen und Banalitäten verzeihen muss. Trotzdem lässt sich aus dem besonders mit Skizzen und Fotos illustrierten Band einiges mitnehmen. Zum einen, weil Lesende aus erster Hand die Genese eines Alterswerks verfolgen, das mit der eigenen Existenz wie mit den großen Fragen der Malerei gerungen hat. Zum anderen, weil man ungewohnte Hinterzimmerblicke in eine der renommiertesten Kunstakademien Deutschlands erhält. Arno Rink mag über das Kleinklein der Berufungskommissionen, der Fachbereichssitzungen und der Gutachtertätigkeiten lästern – kaum einer hat sich so wie er mit der HGB, an der er mehr als ein halbes Menschenleben gewirkt hat, identifiziert. Meist nannte er sie »die Schule«. Seine Schule.
Arno Rink: Ich bin kein moderner Künstler. Tagebücher, Skizzenbücher, Notizen, Briefe 1960-2017. Hirmer-Verlag, 400 S., geb., 34,90 €.
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