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Bücher über Sklaverei: Zuckerrohr und Peitsche
Die Bücher der US-Historiker Caitlin Rosenthal und Marcus Rediker über die Sklaverei wurdenins Deutsche übersetzt. Einblicke in die Hölle
Im Juli 1865 schloss der Pflanzer Eli Capell aus Mississippi notgedrungen Verträge mit den Arbeitskräften, die früher sein Eigentum waren, die er zuvor mit der Peitsche antreiben durfte. Doch jetzt waren sie befreit und nicht mehr seine Sklaven. Er und andere Plantagenbesitzer in den Südstaaten wollten die Schwarzen dennoch weiter von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang schuften lassen. Die Schwarzen mussten sich viel gefallen lassen. Nur eins ließen sie nun nicht mehr mit sich machen: Als sie noch Sklaven waren, wurde die Menge Baumwolle, die sie pflückten, mehrmals täglich gewogen. Pflückten sie zu wenig, drohte ihnen die Peitsche. Pflückten sie zu viel, wurde die ihnen abverlangte Arbeitsleistung heraufgesetzt. Der Sklave näherte sich dem Wiegen immer voller Angst.
Die US-Historikerin Caitlin Rosenthal hat die Buchführung von Zuckerrohr- und Baumwollplantagen auf den westindischen Inseln und in den Südstaaten ihrer Heimat untersucht und das aufschlussreiche Buch »Sklaverei bilanzieren« geschrieben. 2018 erschien die englische Originalausgabe. 2022 veröffentlichte der Berliner Verlag Matthes & Seitz eine von der Rosa-Luxemburg-Stiftung finanziell geförderte deutsche Ausgabe. Die Übersetzung besorgte der Literaturwissenschaftler und Amerikanist Jörg Theis, der gesteht, ihm habe bei Rosenthals Schilderungen der Zustände oft der Atem gestockt.
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Kürzlich veranstaltete die Luxemburg-Stiftung eine Videokonferenz mit Rosenthal und Marcus Rediker. Die beiden Historiker schalteten sich online aus den USA dazu und wurden simultan übersetzt. 30 Jahre lang durchstöberte Rediker Archive, und immerhin schon 15 Jahre alt ist sein Buch »Das Sklavenschiff«. Doch erst im vergangenen Jahr erschien bei der Assoziation A eine deutsche Übersetzung.
»Der transatlantische Sklavenhandel ist das größte Drama der letzten 1000 Jahre«, urteilt Rediker. »Diese Menschen sind in die Hölle abgestiegen«, sagt er über die Opfer. 400 Jahre dauerte dieser Sklavenhandel an, bei dem Spanien, Portugal, Großbritannien und die Niederlande groß im Geschäft waren, an dem sich zum Beispiel aber auch deutsche Staaten und Dänemark beteiligten. 12,5 bis 13 Millionen Afrikaner wurden in Schiffe gepfercht und nur 10 Millionen erreichten Brasilien, die USA oder die Karibik lebend. Die Leichen wurden unterwegs in den Ozean geworfen. Die Menschen mitgerechnet, die bereits auf dem Weg zu den afrikanischen Häfen ihr Leben einbüßten, summiert sich die Zahl der Todesopfer auf 5 Millionen.
Obwohl schon seit 60 Jahren darüber geforscht wird, lerne man immer noch Neues, erklärt Rediker. Würde er sein Buch »Das Sklavenschiff« heute schreiben, würde er sich mehr als vor 15 Jahren den Sklavenhändlern widmen, die weit weg in London und Amsterdam residierten. Da sein Buch aber schon sehr umfangreich war, hatte er sich einst auf die Sklaven und die Seeleute konzentriert. Zum Verständnis der ökonomischen Zusammenhänge gehören die Profiteure jedoch unbedingt dazu.
»Die Zahlen können die Gewalt darstellen, aber auch verschleiern«, hat Caitlin Rosenthal erkannt. Wie sie in »Sklaverei bilanzieren« offenbart, überlebten auf den Zuckerrohrplantagen der westindischen Inseln nur wenige Sklaven die brutalen Arbeits- und Lebensbedingungen mehr als ein paar Jahre. Bilanzen wurden auf Blankovordrucken erstellt. Es gab auch Aufzeichnungen über die Folterungen – Peitschenhiebe und das extrem schmerzhafte Einreiben der Wunden mit Salz. Der britische Anwalt James Stephen, ein Gegner der Sklaverei, verwendete Anfang des 19. Jahrhunderts die Aufzeichnungen der Plantagen, um die hohe Sterblichkeitsrate zu berechnen und über die grausamen Misshandlungen aufzuklären.
In den Büchern, die der Südstaatler Thomas Affleck zur Bilanzierung anbot, durfte ein Verzeichnis der Menge gepflückter Baumwolle nicht fehlen. Die Plantagenbesitzer tauschten sich in Zeitschriften unter anderem darüber aus, was ein Sklave zu leisten imstande sei. Das erinnert fatal an die Beobachtungen, die der Ingenieur und Begründer der Arbeitswissenschaft Frederick Winslow Taylor in den 1880er Jahren in einer Stahlfabrik in Philadelphia anstellte. Seine Schüler verfolgten Arbeiter mit der Stoppuhr, um das Pensum zu ermitteln, dass bewältigt werden könne. 1911 publizierte Taylor seine »Grundsätze der wissenschaftlichen Betriebsführung«, die wohl keine Firma jemals in Reinform anwendete, wie er selbst einräumte. Die Schrift machte Taylor gleichwohl berühmt und übte einen großen Einfluss auf die Wirtschaft aus.
Ebenfalls 1911 berief der US-Kongress einen Sonderausschuss ein, der bis ins folgende Jahr hinein Arbeiter, Gewerkschafter und Manager anhörte – und als Experten auch Taylor. Wie Caitlin Rosenthal referiert, sagte ein Gießer dem Sonderausschuss, die wissenschaftliche Betriebsführung fühle sich für ihn so an, »als ob es auf Sklaverei hinauskommt«. Wenn Manager mit der Stoppuhr über dem Arbeiter stehen, der sich bückt – dies zu ertragen, sei viel für einen Mann. Ein Funktionär der Maschinenarbeitergewerkschaft argumentierte, dass das System »die Männer praktisch zu Sklaven macht«. Der Sonderausschuss gelangte zu der Erkenntnis, es gebe hier Elemente, die wie die Peitsche eines Sklaventreibers wirken.
Rosenthal kommentiert: »Selbstverständlich ist das Ticken einer Stoppuhr etwas gänzlich anderes als ein Peitschenhieb – oder die gleichzeitige Verwendung von Peitsche und Uhr, wie es auf einigen Plantagen der Fall war. Dennoch ist die Analogie aufschlussreich.«
Der Amerikanische Bürgerkrieg Nord gegen Süd wurde in den Jahren 1861 bis 1865 nicht wegen der Ehre geführt, wie es beispielsweise die Autorin Margret Mitchell in ihrem erschreckend rassistischen und zutiefst bösartigen Roman »Vom Winde verweht« (1936) glauben machen wollte. Es ging darum, dass vier Millionen Sklaven in den Südstaaten zusammen ein Vermögen von mindestens drei Milliarden US-Dollar darstellten, das die Pflanzer zu keinem Preis aufgeben wollten.
Der Bürgerkrieg endete mit der Befreiung der Sklaven – und die Pflanzer suchten nach Alternativen. Sie wollten nicht mit Arbeitskräften verhandeln, sondern weiterhin eine fast unumschränkte Verfügungsgewalt über sie ausüben. Deshalb mieteten sie Sträflinge oder besorgten sich Chinesen in Schuldknechtschaft. Sie versuchten auch, genügsame Einwanderer aus Europa anzuwerben, die sie wie Sklaven hätten einsetzen können. Die ließen sich das aber nicht gefallen und zogen lieber weiter in die Fabriken des Nordens oder in den Wilden Westen.
Caitlin Rosenthal arbeitete als junge Frau zwei Jahre für die Beratungsfirma McKinsey. Sie analysierte Daten von Unternehmen, um für diese Gewinnstrategien zu entwickeln. »Ich hatte das große Glück, dass ich dort während eines Wirtschaftsbooms beschäftigt war«, berichtet sie. »Daher ging es darum, Leute einzustellen, und nicht darum, sie zu entlassen; Geschäftsbereiche auszubauen und nicht darum, Kosten zu senken. Und dennoch hatte ich dabei ein ungutes Gefühl.«
Die Buchhaltung erlaube »sich vom Elend zu distanzieren«, formuliert Rechnungsprüfer Frank Fabel in seinem Nachwort. »Dieses Buch ist ein heilsamer Schock. Es ist manchmal so, als ob unsere Geschichte mit Zahlenreihen Ereignisse eher verdeckt als erklärt.«
Caitlin Rosenthal: Sklaverei bilanzieren. Matthes & Seitz, 411 S., geb., 28 €;
Marcus Rediker: Das Sklavenschiff. Assoziation A, 480 S., br., 24 €.
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