Keine Naturkatastrophe: Was Klimawandel mit Unrecht zu tun hat

In ihrem Buch »Klimaungerechtigkeit« zeigt die Physikerin Friederike Otto auf, wie ungerecht die Lasten der Klimakrise verteilt sind

  • Louisa Theresa Braun
  • Lesedauer: 6 Min.
Aufräumen nach der Flut: 2021 wurde das Ahrtal von heftigen Regenfällen verwüstet – doch verantwortlich dafür ist nicht das Klima.
Aufräumen nach der Flut: 2021 wurde das Ahrtal von heftigen Regenfällen verwüstet – doch verantwortlich dafür ist nicht das Klima.

Mit ihrem neuen Buch »Klimaungerechtigkeit« weist Friederike Otto all diejenigen in die Schranken, die CO2-Budgets, -Preise oder -Speichertechnologien als Lösung der Klimakrise feiern. Es gehe beim Klimaschutz überhaupt nicht darum, die Erde oder die menschliche Spezies vor Kohlenstoffdioxid zu retten. »Es geht schlicht und einfach darum, die Würde und Rechte der Menschen – und zwar aller Menschen – zu retten«, schreibt sie. Der Untertitel »Was die Klimakatastrophe mit Kapitalismus, Rassismus und Sexismus zu tun hat« gibt bereits die politische Stoßrichtung vor.

Als Physikerin und Klimatologin trug Otto maßgeblich zur Zuordnungsforschung bei, durch die genau berechnet werden kann, wie viel wahrscheinlicher ein Extremwetterereignis durch den Klimawandel geworden ist. Sie ist Leitautorin des sechsten Berichts des Weltklimarats und seit 2021 am Imperial College in London tätig. Promoviert hat die 41-jährige Deutsche allerdings in Philosophie. Und wie schon dem antiken Platon geht es ihr um Gerechtigkeit.

Extremwetterereignisse – Otto behandelt in ihrem Buch je zwei Fälle der Kategorien Hitze, Dürre, Feuer und Flut aus dem zurückliegenden Jahrzehnt – träfen nicht alle Menschen gleich, schreibt die Autorin. Wer in einer Hitzewelle sein Leben lässt oder sämtliches Hab und Gut in einer Flut verliert, hänge vielmehr von Wohlstand, Infrastruktur und Sozialsystemen ab. »Je reicher wir sind und je privilegierter wir leben, desto weniger anfällig sind wir für die physischen Folgen der Erderwärmung.« Dagegen verschärfe der Klimawandel bereits bestehende soziale Probleme und Ungleichheiten. So habe die Dürre in Madagaskar 2021 aufgrund der Zerstörung sozialer Strukturen unter früherer Kolonialherrschaft zu einer Hungersnot geführt.

Klimaziele wie die 1,5-Grad-Grenze seien keine physikalische Schwelle, ab der das Klima nicht mehr zu retten wäre, sondern vielmehr eine Abwägung darüber, wie viele Tode und Verluste für die Profite des fossilen Kapitalismus in Kauf genommen werden sollen – auch wenn das so natürlich niemand sagt. Man erzähle uns stattdessen, dass »Kohle, Öl und Gas historisch mit der Demokratie und mit den Werten des Westens« verbunden seien. Otto nennt es das »kolonialfossile Narrativ« und bringt auf knapp 300 Seiten die Lüge dahinter zum Vorschein.

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Wie immer, wenn es ums Klima geht, kommt sie um einige Zahlen nicht herum, doch sie haben es in sich: Die Hitzewelle, die 2021 über Nordamerika und Kanada lag und die Otto »das Biest« nennt, sei durch den Klimawandel mehr als 150 Mal wahrscheinlicher geworden. Vor der Industrialisierung sei ein solches Biest »buchstäblich unmöglich« gewesen – in einer zwei Grad Celsius heißeren Welt muss die Region jedoch alle fünf bis zehn Jahre damit rechnen. Die Wahrscheinlichkeit der Buschbrände 2019/2020 in Australien habe sich um den Faktor 30 erhöht, die der Flutkatastrophe im Ahrtal 20221 immerhin um den Faktor neun.

Man muss aber weder Physik noch Philosophie studiert haben, um Otto zu folgen. Sie macht Prozesse verständlich und zieht anschauliche Vergleiche – zum Beispiel den zwischen dem Kohlekonzern RWE und einer Bande von Massenmörder*innen –, um dann schnell zum Wesentlichen zu kommen: der Ungerechtigkeit. So sei Südafrika auf die 2015 bis 2017 herrschende Dürre schlecht vorbereitet gewesen, obwohl die Politik seit 2009 von den zu erwartenden Problemen gewusst habe. Trotzdem investierte sie nicht in entsprechendes Wassermanagement, sondern gab das Geld anderweitig aus und nutzte den Klimawandel hinterher »als Ausrede, um von ihren Fehlentscheidungen abzulenken«.

Die Konsequenzen: Wasser wurde um 25 Prozent teurer, Felder konnten nicht mehr bewässert werden, wodurch Ernten aus- und Jobs wegfielen. Unter beidem litten vor allem die Ärmsten, im Westkap seien das fast ausschließlich Schwarze Menschen. Währenddessen hätten sich Reiche für 6000 US-Dollar private Brunnen im Garten bohren lassen.

Im Zusammenhang mit den australischen Buschbränden wird das kolonialfossile Narrativ besonders deutlich: Dort sei es der einflussreichen Fossillobby lange Zeit gelungen, Desinformationen zum Klimawandel und das Märchen von »sauberer Kohle« in den Medien zu platzieren und die Politik zu beinflussen, sodass die Brandwarnungen von Fachleuten ignoriert worden seien. »Der Klimawandel ist kein unverschuldeter Schicksalsschlag, er ist vor allem Unrecht«, schlussfolgert Otto mit Blick auf die erste erfolgreiche Klimaklage, die Überlebende der Buschfeuer gegen die Regierung eingereicht hatten.

Schließlich landet Otto bei ihrer Reise durch die Extremwetter der Welt auch in Deutschland, im Ahrtal 2021. Die Überflutungen seien zwar eine Katastrophe gewesen, »aber keine Naturkatastrophe«. Menschen seien nicht am Regen gestorben, sondern daran, wider besseren Wissens nicht ausreichend gewarnt worden zu sein und niemals ein Gefahrenbewusstsein entwickelt zu haben. Der Irrglaube, in Deutschland sicherer zu sein als anderswo, habe dazu geführt, »dass Deutschland in Sachen Klimagerechtigkeit für die eigene Bevölkerung hinter anderen Ländern zurückhängt«.

Unter Klimagerechtigkeit versteht sie eine gerechte Verteilung der Lasten des Klimawandels. Und die gebe es nicht in einer »nach wie vor patriarchalen und rassistischen Gesellschaft wie der deutschen«, die sich »an den Bedürfnissen relativ wohlhabender weißer Männer« orientiere. So ertranken in der Ahrtal-Flut fast alle Bewohner*innen eines Behindertenwohnheims. Auch in Deutschland sei das kolonialfossile Narrativ stark, da die Klimakrise oft als Problem betrachtet wird, das technisch gelöst werden könne, und nicht als Gerechtigkeitsproblem, das eine Transformation der gesamten Gesellschaft notwendig macht, einen Systemwechsel.

So würden die meisten Menschen »nach dem Diktat weniger Lobbygruppen leben, zur Profitmaximierung einiger weniger und zum Nachteil fast aller anderen«. Ottos Fazit: Um das zu ändern, brauchen wir neue Narrative. Aber nicht die von Kipppunkten und dem Weltuntergang, keine, die Angst machen. Wir sollten erzählen, dass wir aktuell auf viel Freiheit, Wohlstand und Gesundheit verzichten. Und wie viel besser es sich in klimaresilienten, grünen und autofreien Städten leben ließe. Diese Aufgabe delegiert Friederike Otto an soziale Bewegungen und an Kulturschaffende. Mit gutem Recht. Ihr aufrüttelnder moralischer Wegweiser hat bereits die Grundlage geschaffen.

Friederike Otto: Klimaungerechtigkeit. Was die Klimakatastrophe mit Kapitalismus, Rassismus und Sexismus zu tun hat. Ullstein, 336 S., geb., 22,99€.

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