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Alexej Nawalny: »Rassist«, »Populist« oder »Bündnispartner«?
Der Putin-Kritiker wurde von der Linken höchst unterschiedlich wahrgenommen
Ich habe Alexej Nawalny ein einziges Mal gesehen. In der klirrenden Kälte des uralischen Novembers stand eine rund tausendköpfige Menschenmenge und wartete, bis der Mann, dessen Namen Präsident Wladimir Putin stets auszusprechen vermied, auf die Bühne kam und eine Brandrede darüber hielt, wie korrupt die Führung Russlands sei und wie gut es Russland mit Kapitalismus und Demokratie ginge, aber eben ohne Korruption. Über der Bühne hing ein rotes Transparent mit dem Slogan »Für den Sozialismus«. Nachdem alle Veranstaltungsorte von Perm, der Stadt, wo die beschriebene Szene stattfand, dem Oppositionellen abgesagt hatten, fand sein Auftritt im Hof der »Arbeitersiedlung« statt – ein von der Trotzkistin Anastasia Malzewa initiiertes und für Russland ziemlich einmaliges Wohnprojekt.
Nawalny rannte auf der Bühne auf und ab , redete davon, dass Rechte, Linke, Liberale in einem »schönen Russland der Zukunft« sich über alle Probleme streiten werden. Ihm ging es nicht darum, sich irgendwo zu verorten. Die Frontlinie, die er zeichnete, verlief nicht zwischen links und rechts, sondern zwischen Putin und allen, die an ihm was auszusetzen haben. Es war 2017, im März lösten Nawalnys Enthüllungen über den damaligen Regierungschef Dmitri Medwedew eine landesweite Protestwelle aus. Danach wurde Nawalny endgültig zum Putingegner Nr. 1, zum unbestritten wichtigsten Vertreter der liberalen Opposition und zu jemandem, zu dem alle anderen Oppositionellen eine Position einnehmen mussten. Nawalny konnte mehr Menschen auf die Straße bringen als die anderen Liberalen, als diejenigen Linken, die Putin nicht als das kleinere Übel ansahen, und mehr als die oppositionellen Nationalisten.
Damals wusste ich noch nicht, was mir später, bereits nach Beginn des Ukraine-Krieges ein exilierter Vertreter der Russischen Sozialistischen Bewegung (RSD) erzählte: dass er und ein paar, wenn auch nicht alle seiner Genossen während der Proteste gegen die Wahlmanipulationen 2011-2013 sich mit einem Trinkspruch zuprosteten: »Soll Nawalny Präsident werden und wir werden die starke sozialistische Opposition gegen ihn sein.«
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Sehr wohl wusste ich allerdings, dass für etliche Linke in Russland und im Westen Nawalny vor allem als Rassist und Populist galt, und es dafür etliche Belege gab. Allerdings stand bei einigen Linken im Westen detailliertes Wissen über alle einschlägigen Äußerungen von Nawalny im Kontrast zur Ignoranz gegenüber dem, was andere Politiker so äußerten – ob aus dem Lager der offenen Putin-Befürworter oder auch aus den Reihen der Kommunistischen Partei der Russischen Föderation (KPRF). Hätten sie es zur Kenntnis genommen, würde das Bild von Nawalny als Rechtsaußen der russischen Politik korrigiert werden müssen.
Es gab immer Linke, die schon immer zu wissen meinten, Nawalny sei ein Agent des Westens. Einen Beweis dafür müsste gar nicht erst erbracht werden: Putin sei ein Problem für den Westen; wer ihn von der Macht verdrängen wolle, handele im Auftrag des Westens, wussten die gewieften Kritiker des Imperialismus.
Dass die Reihenfolge eine umgekehrte sein könnte, nämlich dass äußere Mächte diejenigen unterstützen, die ihre Wirksamkeit als Oppositionelle bewiesen haben, wird nicht mit einkalkuliert, denn es würde ja bedeuten, dass die Oppositionshaltung der Akteure sich eben nicht durch finanzielle Zuwendungen der Geheimdienste erklären lässt. Auf sowas lassen sich diejenigen, die eh wissen, »wie der Hase läuft« und Weltgeschehen durch Intrigen und Komplotte erklären, äußerst ungern ein. Die Frage, woher Nawalny das Geld für seine Projekte hatte, beantworteten die einen mit: »Na, aus dem Westen«, ohne weitere Beweise, die anderen hielten schon die Frage an sich für ein unmögliches Zugeständnis an Kremlpropaganda und verwiesen auf die Spenden seiner Anhänger.
Dass Nawalny irgendwann für Teile der von Repression und Ausschluss aus dem politischen Prozess betroffenen linken Opposition nur noch als Hoffnungsträger galt, dass einige Sozialisten bereit waren, ihn zu unterstützen, dass der Feministische Antikriegswiderstand (FAS) seine Onlineplattformen nutzte, sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass er sich nie von nationalistischen, rassistischen, antimigrantischen Äußerungen distanziert hat.
Nawalny wurde manchmal mit dem jungen Boris Jelzin verglichen. Sein Politikstil war extrem personalistisch und so wie der erste russische Präsident hatte er die Neigung, allen alles zu versprechen und sich mit Ideologien, Programmen und dem Aufbau von Parteistrukturen nicht länger aufzuhalten. Nawalny war eine Marke und seine Strukturen kannten keine Fraktionen, sie waren »für Nawalny, gegen Putin«. Insofern war er kein Bruch mit der extrem auf Personen fixierten Politik in Russland. Nawalnys Strukturen – die Stiftung zur Bekämpfung der Korruption, lokale Büros mit dem Namen »Nawalny-Stäbe«, Parteigründungsinitiativen wurden nicht durch programmatische Forderungen, sondern vom Charisma des Anführers getragen. Ob »Nawalnysten« ohne Nawalny als eine politische Organisation weiter existieren werden, bleibt unklar.
Liberale warfen ihm Populismus vor, weil er gerne auch mit sozialen Konflikten oder Versuchen, Gewerkschaften aufzubauen, um die linke Wählerschaft warb. Am Ende sagte er aber etwas, was die Linken in Russland schon seit langem sagen: dass Putin vor allem ein Produkt des Aufbaus des Kapitalismus unter Jelzin sei. Der Autoritarismus und die Korruption der Putin-Zeit lassen sich mühelos zurückverfolgen bis in die 90er Jahre, denen manche Liberale mit Nostalgie nachtrauern.
Die Proteste nach seinem Tod endeten mit der Festnahme von rund 400 Personen. Sein Tod ist erstens ein sehr deutliches Signal an alle oppositionellen Richtungen – niemand ist so wichtig, dass er sich sicher fühlen kann. Ab jetzt gibt es aber auch keinen unbestrittenen »Oppositionellen Nr. 1« mehr: Die Liberalen können zwar aus dem Andenken an Nawalny politisches Kapital schlagen, aber sie können nicht so tun, als wären sie die einzige Kraft, die im Falle des Falles die Macht für sich beanspruchen könnten.
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