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Assange: Um Kopf und Kragen
Bei einer Auslieferung durch Großbritannien an die US-Justiz droht dem Publizisten Julian Assange »lebenslänglich«
Diesen Dienstag und Mittwoch entscheidet sich vor dem Londoner High Court, ob Wikileaks-Gründer Julian Assange in die USA ausgeliefert werden darf oder eine letzte Chance erhält, den Beschluss anzufechten. Das juristische Tauziehen hat eine lange Vorgeschichte.
Das große Wikileaks-Jahr war 2010: das berühmte Video aus einem Kampfhubschrauber der US-Armee im Irak, das Morde an Zivilisten zeigt; Akten über die Kriegsführung dieser Armee in Afghanistan und Irak, die viele weitere Kriegsverbrechen dokumentieren; geheime Telegramme aus Jahrzehnten US-Diplomatie – die junge Enthüllungsplattform sorgte mit brisantesten Enthüllungen für weltweites Aufsehen und Wut in der US-Regierung.
Wegen dieser Enthüllungen ist Wikileaks-Mitgründer Julian Assange angeklagt, wobei Washington erstmals ein über 100 Jahre altes Anti-Spionage-Gesetz gegen journalistische Arbeit einsetzt. Zum vollen Verständnis der krassen Verfolgung von Assange, den Großbritannien seit April 2019 in Isolationshaft hält, sind seine Veröffentlichungen von 2010 nicht ausreichend. Kriegsverbrechen und außenpolitische Analysen sind nichts grundsätzlich Neues. In zwei anderen Fällen ging es hingegen um spektakuläre Veröffentlichungen über vorher unbekannte Fähigkeiten von US-Geheimdiensten.
Da ist zum einen die Vault7-Serie von 2017. Über Monate hinweg veröffentlichte die Plattform interne CIA-Dokumente, die vor allem zeigten, wie sehr sich der US-Geheimdienst darum bemühte, die Menschheit überwachen zu können. Computer, Fernseher, Autos – was ans Internet angeschlossen ist, läuft Gefahr, als Spionagewerkzeug genutzt zu werden. Die Dokumente sollen auch zeigen, dass das US-Konsulat in Frankfurt der europäische CIA-Hauptstützpunkt ist.
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Wenige Wochen nach Beginn dieser Enthüllungen nannte CIA-Chef Mike Pompeo Wikileaks einen »feindlichen Nachrichtendienst«. Im September 2021 beschrieb die Online-Plattform Yahoo nach Gesprächen mit aktuellen und ehemaligen Angestellten von CIA und US-Regierung in einem langen Artikel, welche massive Aggressivität die Vault7-Veröffentlichungen im Geheimdienst ausgelöst hatten, der sie als größtes Datenleck in seiner Geschichte bezeichnete. Sogar die Entführung und Tötung von Assange soll zumindest eruiert worden sein.
Verschärfend wirkte demnach, dass Donald Trump wenige Monate zuvor US-Präsident geworden war – seine neuen Leute im Weißen Haus hatten nicht mehr die Skrupel wie die Obama-Regierung, einen Journalisten wegen seiner Veröffentlichungen zu verfolgen.
2022 wurde der CIA-Informatiker Joshua Schulte schuldig gesprochen, die Vault7-Dokumente an Wikileaks weitergegeben zu haben. Das Online-Magazin »The Dissenter« zitierte Schultes Verteidigungsteam mit der Aussage, von den verhängten 33 Jahren Haft seien mindestens zehn auf den Terrorismusvorwurf zurückzuführen. Demzufolge wurde hier zum ersten Mal der unerlaubte Zugriff auf Daten, die für die sogenannte Nationale Sicherheit wichtig sind, als terroristisch, da hilfreich für Feinde der USA eingestuft. Der schon 2017 verhaftete Schulte war zudem nach eigener Aussage über fünf Jahre lang unter folterähnlichen Bedingungen eingesperrt: Zur Isolation kamen Licht rund um die Uhr, Kälte und Videoüberwachung und die gelegentliche Verweigerung von Mahlzeiten. Solche Haftbedingungen werden schon immer für Julian Assange nach seiner Auslieferung befürchtet, zumal Chelsea (früher Bradley) Manning, die Quelle für das 2010 enthüllte Material, Ähnliches berichtet hat. Auch der Terrorismusvorwurf kann nun Assange treffen.
Der zweite Vorgang, der bei Assanges Verfolgung eine große, wenn auch wenig bekannte Rolle spielen dürfte, betrifft Edward Snowden. Als der Whistleblower im Juni 2013 von Hongkong aus seine brisanten Dokumente über die Überwachung des Internets durch den US-Geheimdienst NSA öffentlich machte, sorgte er nicht dafür, dass sein Aufenthaltsort unerkannt blieb, hatte aber auch keinen Fluchtplan, wie John Goetz einmal festhielt. Der Investigativjournalist des NDR war 2015 Ko-Autor des Dokumentarfilms »Terminal F« fürs dänische und deutsche Fernsehen, in dem die dramatischen Tage zwischen Snowdens Bekanntwerden und Flucht minutiös nachgezeichnet werden. Demnach schickte der Whistleblower einen Hilferuf an Wikileaks, woraufhin die Journalistin Sarah Harrison aus Australien zu ihm kam und ihn mit einem Trick aus dem von der Presse umlagerten Hotel brachte.
Während die US-Behörden alles unternahmen, um Snowdens Ausreise zu verhindern, koordinierte Julian Assange in der ecuadorianischen Botschaft in London, wo er im politischen Asyl lebte, tagelang die Fluchtbemühungen. So buchte er mit Snowdens Kreditkartendaten mehrere Flüge, um die Verfolger zu verwirren. Ohne ihn wäre der planlose und zögerliche Informatiker wahrscheinlich geschnappt worden.
Der britische Journalist Ewen MacAskill vom »Guardian«, der zusammen mit seinem Kollegen Glenn Greenwald nach Hongkong geflogen war, um Snowden zu interviewen, drückt im Film sein Bedauern darüber aus, dass er und seine Zeitung dem Gejagten nicht halfen, nachdem sie seine Informationen veröffentlicht hatten. Diese Selbstkritik kann stellvertretend dafür stehen, dass die Medien an Snowdens Material und Aufenthaltsort viel mehr interessiert waren als an seinem Schutz. Wikileaks hatte zuerst nichts mit ihm zu tun, rettete ihm aber das Leben.
Julian Assange hat immer klargemacht, dass er eine politische Mission hat: Der Staatsapparat soll transparent sein, die Bevölkerung hingegen soll das Recht auf Privatsphäre und Geheimhaltung haben. Dieser Aktivismus unterscheidet ihn und Wikileaks von den meisten anderen Medien (übrigens auch ein Stück weit von Snowden) und macht ihn gefährlicher für die Regierungen. Auf deren Vorhaltung, er sei ein Aktivist, wird oft entgegnet, er leiste wichtige journalistische Arbeit. Tatsächlich wurde Assange schon 2007 Mitglied der australischen Journalismusgewerkschaft. Der springende Punkt ist aber, dass er sowohl Journalist als auch Aktivist ist, und Letzteres hat ihn in Isolationshaft gebracht.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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